Günter Grass
"
Bush und Blair sind Heuchler"
© Jan Bauer/AP
Bundespräsident Horst Köhler und Literaturnobelpreisträger Günter
Grass auf dem P.E.N.-Kongress
Günther Grass, Literaturnobelpreisträger, Maler und politisch bewegter
Bürger, hat den 72. Internationalen Kongress für Schriftsteller in
Berlin eröffnet - und in seiner Rede die amerikanischen Außenpolitik
vernichtend kritisiert.
Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat die amerikanische Regierung
in einer flammenden Rede kritisiert und ihr vorgeworfen, den Terrorismus zu fördern. "Der
von ihr gewollte und die Gesetze der zivilisierten Welt missachtende Krieg fördert
den Terror und kann nicht enden", sagte der 78-Jährige am Dienstag
zur Eröffnung des 72. Internationalen P.E.N.-Kongresses in Berlin. Die "Verbrechen
der USA" seien "systematisch, konstant, infam und unbarmherzig".
Die rund 450 Delegierten belohnten Grass' Rede mit Bravo-Rufen und Standing Ovations.
Bis Sonntag treffen sie sich zu Tagungen und Literaturveranstaltungen unter dem
Motto "Schreiben in friedloser Welt". Zuvor hatte Bundespräsident
Horst Köhler in einer Ansprache unterdrückten Autoren auf der ganzen
Welt seine Unterstützung versichert. Grass sagte, nicht nur der seit drei
Jahren andauernde Irak-Krieg sei Unrecht. "Abwechselnd und zugleich werden
Diktaturen - und an Auswahl fehlt es nicht - Schurkenstaaten genannt, was in
der Regel das fundamentalistische Machtgefüge in den großmäulig
mit Militärschlägen bedrohten Ländern festigt", erklärte
der Schriftsteller. Gleich, ob Iran, Nordkorea oder Syrien zu Mächten des
Bösen ernannt würden, "dümmer und gefährlicher kann
Politik nicht sein".
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Alle Welt hört weg"
Sogar die Wiederholung eines Kriegsverbrechens, der Einsatz von Nuklearwaffen
werde angedroht. "Doch alle Welt hört weg und gibt sich ohnmächtig." Scharfe
Kritik übte Grass auch an der britischen Regierung. Sie habe "die Komplizenschaft
mit der wie zwangsläufig kriminell handelnden Großmacht USA" nicht
aufgekündigt, selbst angesichts aufgedeckter Lügen und "der Schande
offenkundiger Folterpraxis". Englands Regierung stelle sich taub. "Ob
Bush oder Blair, die Heuchelei ist ihnen ins Gesicht geschrieben."
Grass warf den USA vor, "weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation" betrieben
zu haben, und sich dabei als Streiter für das universelle Gute zu gebärden.
Dies sei ein "glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher
Hypnoseakt", sagte Grass. Die USA hätten nach Ende des Zweiten Weltkriegs
Militärdiktaturen in Indonesien, Griechenland, Brasilien und Chile unterstützt.
In diesen Ländern habe es hunderttausende von Toten gegeben, die alle der
amerikanischen Außenpolitik zuzuschreiben seien. Allerdings scheine das
niemand zu interessieren.
Ihre Meinung
Ist die amerikanische Außenpolitik "kriminell", so wie Grass
behauptet?
"
Schreckliche Zahl"
Geradezu buchhalterisch sei der Westen bemüht, die Opfer von Terroranschlägen
aufzulisten - "und deren Zahl ist schrecklich genug" - aber niemand
zähle die Leichen nach amerikanischen Bomben- und Raketenangriffen. "Gewiss
ist von den bisher sorgfältig gezählten 2400 gefallenen amerikanischen
Soldaten des gegenwärtigen Irak-Krieges jeder Soldat als ein Toter zu viel
zu beklagen, doch kann diese Verlustliste nicht einem rechtswidrig begonnenen
und verbrecherisch geführten Krieg im Nachhinein begründen und gewiss
nicht die übergroße Zahl der getöteten und verstümmelten
Frauen und Kinder aufwiegen, die aus westlicher Sicht mit der barbarischen Umschreibung
'Kollateralschäden' bagatellisiert wird", sagte Grass.
Aufgabe der Schriftsteller sei es, den einzelnen Toten aus der Masse der namenlos
Verscharrten zu lösen, erklärte Grass. So werde er kenntlich als Opfer
eines Vorgangs, "der Krieg heißt und viele Ursachen hat."
Artikel vom 23. Mai 2006