Rezension des neuen Grass: "Beim Häuten der Zwiebel"
Seht, wie meine Augen tränen
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Liebhaber von grober Kost
Das hat nicht nur moralisch etwas Dröhnendes, etwas von großer Oper und hohem C, es wirkt vor allem ästhetisch penetrant. Denn es bleibt ja nicht bei der Zwiebel-Metapher. Es muss ja auch noch der Bernstein her, der alles Vergangene in sich schließt und bewahrt. Wenn Grass mit der Zwiebel nicht weiterkommt, greift er zum Bernstein: „Der Bernstein gibt vor, mehr zu erinnern, als uns lieb sein kann.“
Man muss aber, um der Wahrheit willen, sagen, dass dies das Bauprinzip von allen Grass-Romanen ist. Immer steht in ihrem Zentrum ein einigermaßen grob geschnitztes Ding-Symbol, im Lichte dessen recht simplen Symbolgehalts alles Erzählte beleuchtet und gedeutet wird. Mal ist’s eine Schnecke (SPD, Reform, Fortschritt), mal ein Butt (Frauenemanzipation), dann eine Rättin (Menschheitsapokalypse wegen Umweltzerstörung), dann eine Unke (deutsch-polnische Versöhnung). Im „Weiten Feld“ war es ein Paternoster (die ewige Wiederkehr der deutschen Geschichte), zuletzt ein Krebs (das seitlich Umständliche unserer Erinnerung). Vom Krebs zur Zwiebel ist es nur ein kleiner Schritt.
Schwein im Trockenkurs
Die bislang allein diskutierten Passagen über seine Zeit bei der Waffen-SS machen nur einen kleinen Teil des Buches aus. Vom Stoff her ist es übrigens überaus interessant. Wie verhält sich ein junger Mann, der eben noch glühend an den Führer und das Prinzip „Jugend muss von Jugend geführt werden“ geglaubt hat, nach der Kriegsgefangenschaft im Trümmerland zwischen Bayern und Niedersachsen - eineinhalb Jahre nicht wissend, ob seine Eltern und seine Schwester überlebten, ob es sein heimatliches Danzig überhaupt noch gibt?
Es gibt manche schöne Passage in diesem Buch, so wenn er das Bild seiner Mutter zeichnet oder erzählt, wie er für sie, die einen Kolonialwarenladen besaß, in dem viel angeschrieben wurde, als kleiner Steppke erfolgreich Schulden eintrieb. Oder die hinreißenden Seiten über einen Trocken-Kochkurs, bei dem im Kriegsgefangenenlager ein gelernter Koch und sogenannter Beutedeutscher aus Bessarabien ohne alle Zutaten, nur durch Worte, seinen gelehrigen Schülern mit den knurrenden Mägen beibringt, auf wie viele Arten man ein Schwein oder eine Gans zubereiten kann: „Aber bittscheen, Herrschaften, noch is Meglichkait von Schwain nich fertig.“
Dieser Koch ist kein Vertreter der leichten Küche. Das hat Grass geprägt. „Habe ich Gäste“, schreibt er, „kommt grobe Kost auf den Tisch.“ Ein bisschen gilt das auch literarisch. Grass berichtet von seinen Schreibanfängen und erzählt von einer Phase, in der er „Prosa, die, von Kafka gespeist, an Magersucht krankte“, schrieb. Davon kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Grass’ Stil ist nicht cholesterinarm.
Man könnte ihn einen verschärften Bauern-Barock nennen: Es wimmelt von Adjektiven. Redundanz ist das oberste Prinzip. Diese Prosa hat etwas Krud-Artifizielles, etwas Ausgeschnitztes, Manieristisches, pedantisch Groteskes (Grimmelshausen hat ihm eben schon an der Wiege gesungen!). Überhaupt gilt für Grass’ Bücher das Mischungsverhältnis: Auf eine Einheit Denken kommen dreißig Einheiten Bilderwust. Die Literaturkritik hat das früher gerne sein überschäumendes Erzähltemperament genannt. In der Welt des Motorsports nennt man das übertourig. Sein Stil besteht fast ausschließlich aus Metaphern, kaum einmal ein normales Wort ist darunter gestreut. Die Lektüre dieser poetischen Essenz ist nur dem Lutschen von Brühwürfeln vergleichbar.
Günter Grass vorzuwerfen, dass er als Jüngling an das Dritte Reich geglaubt hat, ist absurd. Über sein langes Schweigen aufschreien mag, wer ihn zuvor zur moralischen Ikone erhöht hat - es hat aber etwas Tantenhaftes. Die Rückgabe des Nobelpreises zu verlangen ist lächerlich. Und wer jetzt auch das bisherige literarische Werk demoliert sieht, der möge bitte über seinen Literaturbegriff Auskunft geben. Eines aber kann man sagen: Die literarische Form, die Grass für sein Eingeständnis bemüht hat, enthält entschieden zu viele Metaphern. Und solche erhellen die Abgründe des Lebens meistens nicht.
(SZ vom 19.08.2006)Artikel drucken
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