SPIEGEL
ONLINE - 17. März 2006, 06:27
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltraum/0,1518,406388,00.html
Durchbruch
Satellit erblickt die ersten Momente des Alls
Noch nie haben Forscher einen derart intimen Blick auf die Geburt des Universums
geworfen: Erstmals ist es gelungen, Licht aus der ersten Billionstelsekunde
des Alls aufzufangen. Die Daten bestätigen die Theorien über die Entstehung
von Raum und Zeit.
Der Urknall ist das unter Wissenschaftlern beliebteste Konstrukt, um die heutige
Gestalt des Universums zu erklären. Doch der prüfende Blick auf die
ersten Momente des Alls blieb den Forschern verwehrt - bis jetzt. Mit Hilfe
des US-Satelliten WMAP ist es erstmals gelungen, das älteste Licht des
Universums aufzufangen.
NASA/WMAP Science Team
Neues WMAP-Bild der kosmischen Hintergrundstrahlung: Blick auf die ersten Momente
von Raum und Zeit"Ich bin selbst erstaunt, dass wir überhaupt etwas
über die Geschehnisse in der ersten Billionstelsekunde des Weltraums sagen
können", sagte WMAP-Chefwissenschaftler Charles Bennett von der Johns
Hopkins University bei einer Pressekonferenz in Baltimore. "Aber wir können
es." Niemals zuvor sei es möglich gewesen, "die Kindheit des
Universum mit einer solchen Präzision zu verstehen".
Die Messungen von WMAP ("Wilkinson Microwave Anisotropy Probe") liefern
den Wissenschaftlern zufolge den bisher besten Beweis, dass am Anfang aller
Dinge tatsächlich der Urknall stand - und dass das Universum in den ersten
Augenblicken seiner Existenz mit unvorstellbarer Geschwindigkeit gewachsen ist.
Rasantes Wachstum
"Das All hat sich innerhalb einer Billionstelsekunde von der Größe
einer Murmel zur Größe des heute beobachtbaren Universums aufgebläht",
sagte WMAP-Forscher David Spergel von der Princeton University. Das, fügte
Bennett hinzu, sei "ein Wachstumsschub, der jede Mutter und jeden Vater
beängstigen würde".
Für Brian Greene von der New Yorker Columbia University stellen die neuen
WMAP-Ergebnisse einen enormen Durchbruch dar: "Wir treten in eine wundervolle
neue Ära ein", schwärmte der Physiker, der als mathematisches
Genie gilt und mehrere Bestseller über die Entstehung des Alls geschrieben
hat. Die neuen Ergebnisse zeigten, "woher die Sterne und Galaxien kommen":
aus kleinen Unregelmäßigkeiten in Dichte und Temperatur. Sie seien
mit dem Universum gewachsen und hätten dafür gesorgt, dass die Galaxien
und die leeren Räume zwischen ihnen entstanden seien.
Das neu entdeckte Strahlungsmuster, ein Polarisationssignal im Nachglühen
des Urknalls, ist nach Angaben der Wissenschaftler das schwächste jemals
aufgezeichnete kosmologische Signal. Es entspricht weniger als einem Hundertstel
dessen, was der WMAP-Satellit bei seiner ersten spektakulären Messung der
kosmischen Hintergrundstrahlung im Jahr 2003 geliefert hat. Der Satellit kann
Temperaturunterschiede von weniger als einem Millionstel Grad feststellen und
dadurch auch Fluktuationen im Nachglühen des Urknalls entdecken, der vor
immerhin 13,7 Milliarden Jahren stattgefunden hat.
Das Unsichtbare gewogen
Anhand der neuen Daten, die demnächst im "Astrophysical Journal"
veröffentlicht werden sollen, konnten die Forscher nicht nur erstmals das
Licht der ersten Sterne von dem des Urknalls selbst unterscheiden. Sie konnten
auch die Zusammensetzung des Alls mit bisher ungekannter Genauigkeit bestimmen.
Demnach besteht das Universum zu lediglich vier Prozent aus gewöhnlichen
Atomen, die die für Menschen sicht- und messbare Materie ausmachen. 22
Prozent gehen auf das Konto der Dunklen Materie, die bisher noch nie direkt
nachgewiesen wurde, aber existieren muss, da sonst etwa die rotierenden Galaxien
aufgrund der Fliehkraft auseinanderfliegen müssten.
Die restlichen 74 Prozent des Alls gehen auf die nicht weniger geheimnisvolle
Dunkle Energie zurück. Sie wird von Wissenschaftlern dafür verantwortlich
gemacht, dass sich das Universum mit stetig wachsender Geschwindigkeit ausdehnt.
Die neuen WMAP-Messungen zeigen laut Bennett, dass sich die Dunkle Energie ähnlich
wie die kosmologische Konstante wirkt, die Albert Einstein einst als Gegenkraft
zur Gravitation ins Spiel brachte - und später als "größte
Eselei seines Lebens" verwarf.
Markus Becker
------------------------------------------------------------------------
© SPIEGEL ONLINE 2006
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
------------------------------------------------------------------------
Zum Thema:
Zum Thema im Internet:
· Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP)
http://wmap.gsfc.nasa.gov/
------------------------------------------------------------------------