Lars
von
wir
heute Film nennen. Wollte Wagner einen Film herstellen? Vielleicht. Für
mich würde der „Ring“ als Film seine Vitalität verlieren.
Und die Idee der Oper verraten, die für mich, über die Illusion
hinaus, eben auch Vorführung ist. Wie ein Seiltanz oder ein Zauberkunststück
für den Film ungeeignet sind, so ist es auch mit der Oper. Denn die
Anwesenheit ist eine ungeheuer wichtige Zutat. Oper muß „live“ vorgeführt
werden, mit der einzigartigen Qualität des Augenblicks, für anwesende,
lebendige Menschen, von anwesenden, lebendigen Menschen. Meine Aufgabe stand
nun fest: eine Aufführung, die durch Illusion und Anwesenheit gefühlsmäßige
Qualitäten vermittelt, die ich wie so viele andere in Richard Wagners
Werk „Der Ring des Nibelungen“ gefunden habe. Eine Inszenierung,
zu der der Komponist und Autor sich nicht in der Lage sah. Eine Inszenierung,
zu der ich in den heutigen Opern keine wirklich befriedigende Entsprechung
finden konnte. Ich mußte Ausschau halten nach dem ganz banalen: Banalen:
dem Grundlegenden ... der Illusion! Das grundlegende Grundlegende der Illusion
ist, daß es nicht existiert, genauer gesagt, daß es nur im Bewußtsein
der Zuschauer existiert. Wie aber können wir sie dort zum Leben erwecken?
Ganz einfach, indem wir andeuten. Indem wir Dinge zeigen, die die Zuschauer
dazu bringen, genau die Illusion zu „sehen“, die eben nicht gezeigt
wird. Das ist schlichte Dramaturgie: Wenn A über B zu C führt,
dann zeigen wir A und C und überlassen B dem Zuschauer. Das ist das
schlichte Erfolgsrezept des Zauberkünstlers. Wir sehen die Grundlage
und das Ergebnis, die Verwandlung an sich aber sehen wir nie. Es ist das
angelernte Wissen des Zuschauers um die Reihenfolgen der Handlung, die Magie
und Illusion erschafft. Wir brauchen uns nun nicht weiter den Kopf zu zerbrechen,
um zu dem Schluß zu kommen, daß alles, was am „Ring“ wirklich
interessant ist, nicht gesehen werden kann! Die visuelle Mythologie ist,
wie die Zauberkunst, ein klares „B“! Also folgerte ich, ohne
zu zögern, daß sich die ultimative Inszenierung in totaler Finsternis
abspielen müßte! Indem man keine Personen, Bühnenbilder und
Handlungen zeigt, wird das Publikum in die Lage versetzt, sich davon Bilder
zu machen, einfach aufgrund von Musik und Text, deren Werte nur ein ziemlich
dummer Regisseur in Frage stellen würde. Aber die totale Finsternis
ist für einen Regisseur zwar konsequent, aber auch leicht armselig und
unbefriedigend. Und außerdem enthält Wagners Text ja auch einige
wenige, aber ziemlich wichtige und weitreichende Regieanweisungen. Und, um
diese lange Geschichte nun etwas kürzer zu machen, möchte ich die
Gelegenheit nutzen und meine bühnenmäßige Konklusion vorzustellen!
Eine Konklusion, die ganz und
A über
B zu C: Stellen Sie sich zwei kleine Lichtflecken auf einer Bühne vor.
Oben und unten. Wir sehen die unterste und die oberste Sprosse einer alten
Leiter. Die Leiter ist verfault und unten halbwegs zerbrochen. In einem Thriller
würde jetzt von oben her aus der Dunkelheit Blut heruntertropfen. Während
eine Person die Leiter hochklettert und in der Dunkelheit verschwindet, beginnt
die Leiter, heftig zu beben. Wenn die Person vorher bewaffnet war, dann hat
sie ihre Waffe zu irgendeinem Zeitpunkt in den unteren Lichtflecken fallen
lassen. Es folgt eine Zeit ohne Bewegung an den beiden beleuchteten Leiterenden.
Danach bebt die Leiter im oberen Licht immer mehr. Bis zwei stark behaarte
Hände sich oben aus der Dunkelheit lösen und die Leiter wegreißen.
Vielleicht entpuppt sie sich als ziemlich kurz und hängt durchaus nicht,
wie erwartet, mit dem unteren Leiterstumpf zusammen ... usw. usw. Das soll
nur die gefühlsmäßigen Möglichkeiten andeuten, die die „bereicherte
Dunkelheit“ enthält und die wir alle kennen. Wie wir, indem wir
in den kleinsten Ausdrücken nach dem großen suchen, sehr viel
weiter kommen können als wenn wir es mit dem maximalen Ausdruck versuchten.
Unsere Beobachtung der Person auf der Leiter, in einer zweifellos lebensgefährlichen
und klaustrophobischen Situation irgendwo mitten in der Dunkelheit, läßt
sich ein wenig vergleichen mit den kleinsten Teilchen in der Physik, die
wir nicht direkt betrachten können, sondern auf aufgrund ihrer Auswirkungen
auf Dinge von sichtbarer Größe in ihrer Nachbarschaft. Daß wir
die Atome nicht sehen können, macht die Atomforschung nicht weniger
faszinierend. Aber ehe wir die „bereicherte Dunkelheit“ banalisieren,
möchte ich noch sagen, daß sie sich auf weitaus raffiniertere
Weise nutzen läßt als nur zum Erzählen einer linearen Geschichte.
Was den „Ring“ angeht, so meine ich, daß wir dadurch einen
großen Teil dessen zeigen könnten, wovon Wagner geträumt
hat. Indem wir nicht „demokratisch“ beleuchten, sondern im Gegenteil
stark manipulierend (indem allein wir entscheiden, welche visuelle Informationsmenge
dem Publikum zu irgendeinem Zeitpunkt zur Verfügung gestellt wird) besitzen
wir die Möglichkeit, während der Vorstellung Bühnenbild und
Welt in der Vorstellung des Publikums wachsen und sich verwandeln zu lassen.
Wie bei der Anwendung anderer, klar definierter Techniken müssen wir
mit der „bereicherten Dunkelheit“ behutsam vorgehen. umgehen.
Wenn wir einen begrenzten Lichtbereich einer Person durch eine Landschaft
oder ein Gebäude folgen lassen, dann müssen wir dabei die logischen
Forderungen des Publikums erfüllen. Da wir das Bühnenbild nur in
sehr kleinen Ausschnitten sehen, die gemeinsam im Kopf des Publikums ein
fertiges Bild ergeben sollen, müssen wir Hilfestellung leisten. Wenn
wir ein Zimmer in Höhe des ersten Stocks
wahrgenommen
haben und später an einer anderen Stelle eine Treppe sehen, dann lohnt
es sich, diese beiden Dinge auf logische Weise miteinander zu verbinden.
Das heißt, daß die Person, die das Licht mit sich führt,
zu irgendeinem Zeitpunkt die Treppe in den ersten Stock hochsteigt und damit
unsere Erwartungen an ein naturalistisches Bauwerk erfüllt. Indem wir
dem Publikum solche „Geschenke“ machen, können wir die schrittweise
Sichtbarmachung des Gebäudes nutzen, um Entwicklungen auf dramatischer/psychischer
Ebene darzustellen. Und wenn wir auf diese Weise Zusammenhang und Logik des
Bühnenbildes aufgezeigt haben, können wir Überraschungen einführen,
z.B. eine Geheimtür, durch die zwei bisher strikt getrennte Räume
plötzlich miteinander verbunden sind. Aber diese Methode schenkt uns
auch Möglichkeiten, die eher eine Verlängerung von Traum und Mythologie
bedeuten: Wir können das Publikum, sein Gedächtnis und seine Vorstellungswelt
in die Irre führen, indem wir das Fehlen des Lichtes nutzen, um grundlegende
Größen im Bühnenbild zu ändern. Was alles nur der Vermittlung
der Qualitäten des Werkes dient. Eine Bereicherung der Dunkelheit, in
der sich das ursprüngliche musikalische und textliche Kunstwerk abspielt,
so daß sie sich am Ende als angemessene um nicht zu sagen herausfordernde
Arena dafür erweisen muß. Ein weiterer Vorteil dieser Technik
ist die Möglichkeit, dem Bühnenraum Unendlichkeit zu verleihen
(was gar nicht schlecht ist, wenn wir es mit Mythologie zu tun haben!) Mit
Hilfe der Dunkelheit wird es plötzlich viel leichter, von außen
kommende Bilder in einen glaubwürdigen Zusammenhang mit den Elementen
des Bühnenraums zu bringen. Es bietet sich geradezu an, die Techniken
der Videoprojektion zu nutzen, um in den großen Bühnenbildern
szenographische Bewegung einzuführen und die Bühnenlandschaft drastisch
zu erweitern. Zugleich können wir auf glaubwürdige Weise mehrere
der vielen Spezialeffekte oder „Zaubernummern“ ermöglichen,
die der „Ring“ zu bieten hat. Hier ist es wichtig, wie bei jeglicher
Illusion, die Technik so zu verbergen, daß nicht sichtbar wird, wie
die verschiedenen visuellen Effekte erreicht worden sind. Wir befinden uns
im Land der Andeutungen, und gerade deshalb können wir es uns leisten,
zur raffiniertesten Technik zu greifen, mechanisch wie elektronisch, denn
es kommt niemals zu Effekthascherei, die die Aufmerksamkeit vom Inhalt des
Ganzen ablenken könnte. Ich wollte also den Bühnenraum noch größer
machen, noch eine Abstraktionsebene einführen. Das Publikum ist schließlich
durch Film und Fernsehen an ganz anderes Sehen gewöhnt als zu Wagners
Zeiten, Das heißt, daß ich mit der Technik der Lichtflecken durchaus
aus dem Proszenium bildmäßig ein Äquivalent zur Filmleinwand
oder dem Fernsehschirm
Trier Eine Abtretungsurkunde Logik für Perlhühner Nach zwei Jahren
Arbeit an der nun abgesagten „Ring“-Inszenierung in Bayreuth fühle
ich mich dazu berufen, eine Art Abtretungsurkunde auszuarbeiten, in der ich
einige (finde ich) fruchtbare Gedanken und Ergebnisse präsentiere, zu
denen ich u. a. in Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Karl Juliusson
gelangt bin. Ich möchte zuerst meine Voraussetzung für die Inszenierung
von Opern darstellen: Ich habe keine. Vielleicht abgesehen von einer instinktiven
Neigung zu diesem Medium, und fort von diesem Medium. Wagner jedoch habe ich
immer geliebt. Vor allem seine Musik, und das Monumentale in seinem Leben und
Werk, weniger den Gesang, den ich früher eher leichthin abgetan und als
weniger zugänglich betrachtet habe. Aber vielleicht gerade aufgrund meiner
Vorbehalte war mir recht klar bewußt, daß ich in Bezug auf den „Ring“ etwas
zu bieten gehabt hätte. Ich besaß den Willen und die Liebe, und
ich hatte das Gefühl, meine fehlende Opernbildung in eine Stärke
verwandeln zu können. Oper ist für mich ein seltsames Phänomen,
in dem Gesang als ziemlich natürlich erscheint. Diese Ansicht teile ich
wohl mit den meisten auf diesem Gebiet unkultivierten Personen. Es leuchtet
zwar ein, daß man Geschichten auf unterschiedliche Weise erzählen
kann, und daß eine davon stilisiert und melodisch ist und „Gesang“ heißt.
Aber die Welt, in der eine Geschichte sich abspielt, ausschließlich mit
singenden Individuen zu bevölkern (ohne das ansonsten zu erklären),
ist ein Quantensprung. Ich bin sicher, daß es dafür Erklärungen
gibt (historische und erlebnismäßige), aber, wenn wir von Akzeptanz
auf instinktiver Ebene sprechen, es ist doch schwer. Als ich vor der Aufgabe
stand, den „Ring“ zu inszenieren, mußte ich also einige Schlüsse
in Bezug auf Opern ziehen: eine jegliche Stilisierung braucht ein Ziel. Es
ist klar, daß Musik, die eine Erzählung begleitet, Gefühle
und Stimmungen betonen und zeitweise auch selber erzählerisch fungieren
kann (so wird Musik in Filmen oft eingesetzt, und auch im Film gibt es zumeist
nicht die vagste Erklärung für diese Abstraktion), und deshalb ist
es auch klar, daß die Texte, die von den Sängern vorgetragen werden,
auf dieselbe Weise bereichert werden können. Aber Oper ist nicht nur eine
Bereicherung des Theaters, sie ist selbständig in Form
und
Stil, die dem Ziel dienen, Orte zu erreichen, die auf andere Weise unzugänglich
wären. Sie sollen auf andere Weise unvermittelbare Erlebnisse ermöglichen.
Nun können Erlebnisse ja viele unterschiedliche Formen annehmen ... aber
im Hinblick auf Wagner (und Oper in ihrer traditionellen Form ganz allgemein,
wie mir scheint) sah ich rasch nur eine einzige Möglichkeit, nämlich,
daß das Erlebnis für mich von gefühlsmäßiger Art
sein sollte und müßte. Aber wie kann man einen gefühlsmäßigen
Kontakt zum Publikum erlangen, oder, genauer gesagt, wie kann man es vermeiden,
das Entstehen dieses Kontakts zu verhindern? Man gestattet es dem Publikum,
auf das Gefühlsregister zurückzugreifen, das es aus der Wirklichkeit
kennt, indem man darauf besteht, daß die Vorstellung Wirklichkeit IST.
Eine stilisierte Wirklichkeit, eine poetische Wirklichkeit, in der die Stimmen
Melodie besitzen und die Stille klingt, aber eben doch eine Wirklichkeit. Ich
finde, Wagner sollte gefühlsmäßig erlebt werden. Das war immer
schon so (auch wenn man sich als Publikum natürlich immer zu einer Vielzahl
ebenso guter Erlebnisse erziehen kann), und diese Gefühle können
sich erst einfinden, wenn das Medium als Wirklichkeit akzeptiert wird. Diese
Akzeptanz muß zuerst beim Regisseur stattfinden. Siegfried und Wotan
und Fafner und Brünhilde und alle anderen sind wirklich und leben in einer
wirklichen Welt. Und sie sind in erster Linie KEINE Symbole oder Illustrationen
oder Zierrat oder Abstraktionen. Sie alle besitzen eine Psyche, und durch diese
entstehen Konflikte und damit Einfühlungserlebnisse und Empfindungen des
Publikums. Das war eine lange Einleitung, aber es lohnt sich, gründlich
vorzugehen, sogar bei Logik für Perlhühner. Ich fand nun also, die
Sache mit den Gefühlen verstanden zu haben. Und das alles lag doch schon
im Text und machte es ziemlich unnötig, der Aufführung weitere selbsterfundene
Ebenen hinzuzufügen. Es kann durchaus von großer Wirkung sein, Wagners
so menschliche Gottheiten sich im englischen Industrialismus oder im Dritten
Reich tummeln zu lassen, aber besser wird das Stück davon nicht. Wir brauchen
keine Parallelen! Die sind sogar direkt störend. Überlassen wir Parallelen
und Interpretationen dem Publikum! Wie der unlängst verstorbene Opernkenner
Gerhard Schepelern mir so eindringlich in Erinnerung gerufen hat: „Der
Regisseur soll nicht klüger sein wollen als das Werk!“ Nein, er
muß sich als Diener der ursprünglichen Intentionen sehen, die er
in Text und Musik findet, und je schwieriger eine Aufgabe ist, desto mehr muß er
darauf bestehen. Wenn Fafner dem Publikum eine Gänsehaut bescheren soll,
dann ist es die verdammte Pflicht des Regisseurs, all sein Können für
die Erzeugung dieser Gänsehaut einzusetzen. Wenn Siegfried ein Held war
(wenn auch ein psychologisch gesehen ziemlich nuancierter), dann muß er
als solcher
dargestellt
werden, so unmodern, undankbar und politisch unkorrekt das auch wirken mag.
Gab und gibt es im „Ring“ Humor, dann hat die Inszenierung diesen
Humor zu betonen, statt die vorurteilsbeladenen Vorurteile irgendeines zufälligen
Regisseurs zu bedienen. Wollen wir Wagner, dann wollen wir Wagner. Also stehen
wir dazu. Alles andere wäre feige. Daß sein Werk von solcher Durchschlagskraft
war, daß es jetzt, der Einfachheit halber, oft als fast komisches Klischees
Klischee aufgefaßt wird, können wir ihm doch nicht zur Last legen.
Wenn Wagner seine Inspiration aus der Zeit der Völkerwanderung bezogen
hat, dann muß das das Dogma sein, unter dem ein Regisseur sich ans Werk
macht. Ist Wagners künstlerischer Ausgangspunkt ein Menschenbild, das
wir heute nur mit Mühe hinnehmen können, dann muß die Aufführung
sich seinen ursprünglichen Ansichten fügen, das steht fest: Wagners „Ring“ in
den engen Panzer des modernen Humanismus zu pressen, wäre ebenso irreführend
und falsch, wie sich im Klassiker zu suhlen, indem man Parallelen zieht oder
sich über ihn lustig macht. Wagner hat aus den Mythen einen Mythos geschaffen,
und wer sich davor fürchtet, soll die Finger davon lassen. Aber wie stellt
man sich also einer Inszenierung des „Ring“, wenn man, wie ich,daß man
ein gefühlsmäßiges Verständnis für das ursprüngliche
Werk besitzt, daß man ihm mit Respekt gegenüber tritt? Und wie kann
man der visuellen Darstellung die nötige Wirklichkeit geben? Wagner selbst
hatte Probleme, als sein Festspielhaus vollendet war. Die erste Aufführung
des „Ring“ hatte er selbst inszeniert. Er war nicht zufrieden.
Er war ganz und gar nicht zufrieden! Die musikalische (abstrakte) Welt zu erschaffen,
ist das eine, etwas anderes ist der visuelle (und auf andere Weise konkrete)
Aspekt. Er ärgerte sich über die Sänger mit ihrem manirierten
Gebärdenspiel. Die Größe seiner Idee der fliegenden, brünnentragenden
Walküren erschien ihm in seiner Darstellung auf der Bühne als enttäuschend
verblaßt. Die „Verwirklichung“ machte ihm Probleme. Die Illusion
seiner eigenen mythologischen Welt. Und wir wissen, daß die Illusion
für Wagner wichtig war. Denken wir doch nur an seine Regienotizen zu der
Szene, in der Siegfried gegen Fafner kämpft, in der er bis ins Detail
beschreibt, wie groß die „Flüstertüte“ sein soll,
durch die der Sänger dem gewaltigen Tier eine Stimme verleiht, vor und
nach dem Gnadenstoß. Wagner fand ansonsten, daß bei der Inszenierung
alle künstlerischen Effekte und Stilmittel Verwendung finden sollten.
Man sollte sich auch an anderen Kunstgenres bedienen und eine Symbiose schaffen.
Er sprach von „Gesamtkunstwerken“. Er erfand den versteckten Orchestergraben
(die Musik sollte nicht von den Musikern kommen, sondern einfach so im Raum
existieren). Was Wagner damals erreichen wollte, hat große Ähnlichkeit
mit dem, was
gar
mit dem sogenannten „Schwarzen Theater“ übereinstimmt, die
ich aber lieber so nennen möchte: Inszenierung mit Hilfe der „bereicherten
Dunkelheit“. Die bereicherte Dunkelheit Die moderne Operninszenierung
bedient sich von Anfang bis Ende des maximalen bildlichen Ausdrucks. Sie greift
zu gewaltigen, teilweise abstrakten Bühnenbildern, in denen ein Akt sich
abspielt. Mit etwas Glück bietet die Dekoration unterschiedliche Möglichkeiten,
um die Personen zu positionieren, so daß es doch eine kleine bildliche
Entwicklung gibt. Das Ergebnis ist jedoch unweigerlich, daß die Bühne
innerhalb weniger Augenblicke dem Publikum vertraut und dadurch einfach zu
einem Ort wird, an dem sich alles abspielt. Im schlimmsten Fall zerbricht sich
das Publikum bereits zu einem frühen Zeitpunkt den Kopf über die
Frage, wie man rein praktisch die vielen Mitwirkenden in dieses Bühnenbild
hereinholen, ganz zu schweigen davon, wie man sie wieder hinausschaffen soll.
Das kann für ein Publikum, das seine Zeit totschlagen will, ein unterhaltendes
Element sein, bringt aber die positive Kommunikation eines Zuschauers mit einer
Vorstellung nicht weiter. Nun war das ja nicht immer so. Man muß sich
z.B. vorstellen, daß die Opernaufführungen in den frühen Tagen
des Festspielhauses lichtmäßig ganz anders aussahen. Zu Wagners
Zeit wurde bei Gaslicht gespielt. Erst nach der Einführung des elektrischen
Lichts konnte man wirklich die Gesichter der Sänger unterscheiden (und
Wagner hätte nun erst richtige Probleme mit dem Konkreten bekommen). Wagner
hat also für ein um einiges niedrigeres Lichtniveau geschrieben. Die ursprünglichen
Bedingungen für die Mystik waren dadurch viel besser. Ich hatte nun vor,
zurückzugehen, und nicht nur das. In die Dunkelheit zu gehen, die wir
dank unserer modernen Techniken um einiges präziser und zielgerichteter
einsetzen können. Dieses Konzept ist im Grunde filmisch. Vor allem im
Thriller ist die Technik, anzudeuten, ohne zu zeigen, oft und mit Erfolg benutzt
worden, weshalb sie mit großem Erfolg auf die Computerspiele übertragen
werden konnten. Wir kennen aus beiden Medien das Eintreffen in dem dunklen
Haus, wo der dünne Lichtstrahl einer Taschenlampe die einzige Lichtquelle
darstellt. Und mehr noch gilt das alles für die Wirklichkeit: Nachts bevölkert
die sichere Geborgenheit unserer sonst so vertrauten Umgebung sich unweigerlich
mit Dämonen, mit unheilvollen und mythologischen Kräften. Und wie
wir alle wissen, ist das, was niemals ans Licht kommt, immer viel wirklicher
und entsetzlicher.
machen
und Bilder und Rahmen der Bildfläche seitwärts und vertikal verschieben
könnte, um „Kameraschwenke“ und Kranbewegungen nachzuahmen.
(Auf diese Weise haben wir eine Technik ausgearbeitet, durch die der zweite
Akt der „Walküre“ aus einer einzigen fortlaufenden Illusion
einer vertikalen Bewegung des Bühnenbildes nach oben bestehen könnte,
die der Wanderung auf den Walkürenberg entspräche, während eine
vergleichbare horizontale Bewegung Siegfried zu Fafners Höhle brächte.)
Mit einer Technik, die zu einem maximalen Bühnenbeleuchtungsgrad von 5
% führt (einige Male noch dazu auf mehrere Lichtbereiche verteilt), ist
es klar, daß das Detail wichtig wird. Wenn die „bereicherte Dunkelheit“ den „Ring“ bereichern
soll, indem sie aus „viel weniger“ „viel mehr“ macht,
dann muß die Qualität der Andeutungen ein hohes Niveau erreichen.
In Zusammenarbeit mit Karl Juliusson habe ich durch den Arbeitsprozeß ein
ausgesprochen umfassendes Bildarchiv aus relevanten Natur- und Landschaftsdetails
aufgebaut. Außerdem haben wir recht umfangreiche historische Recherchen
angestellt. Wenn wir bei jedem Meter, den unser Licht sich durch die Bühnenlandschaft
arbeitet, die dramatische und gefühlsmäßige Entwicklung der
Oper kommentieren müßten, dann würden wir ein Archiv mit z.B.
hunderten von unterschiedlichen nordeuropäischen Moosarten und ebenso
vielen Lavaformen benötigen. Denn die mythologische Landschaft kann meiner
Ansicht nach nur aus strikt naturalistischen Elementen zusammengesetzt werden.
Sauerampferblätter und Balkenfugen in der Völkerwanderungszeit müßten
gleichermaßen authentisch wirken, und sei es nur für die Dauer eines
Lichtstrahls und in so kleinem Rahmen, daß möglicherweise nur die
vordersten Zuschauerreihen etwas davon hätten. Ja, es ist so leicht, in
einer Vorstellung, die nicht stattfinden wird, hohe Anforderungen an die Qualität
zu stellen. Aber wenn wir schon über unsere Gedanken sprechen wollen,
dann sahen die wirklich so aus. Größe im Kleinen und Göttlichkeit
in der Natur. So war mein Wagner! Aber um nun endlich auch die Probleme bei
der Ausformung dieses Projekts zu berühren, so ist das „Schwarze
Theater“, das „Zaubertheater“ oder unsere „bereicherte
Dunkelheit“ keine im Umgang einfache Größe. Vor allem nicht,
wenn wir die erwähnten Anforderungen an die Qualität berücksichtigen.
Wenn wir unser Projekt mit dem Ablauf einer modernen, professionellen amerikanischen
Zaubershow auf einer Bühne vergleichen wollen (wo wie in unserem Fall
Anwesenheit und menschliche Leistung wie im Zentrum stehen), dann kann diese
Show mit Technik und Inszenierung leicht Millionen von Dollars kosten. Denn
ein Trick, der NICHT seine optimale Wirkung entfaltet, ist oft tödlich
für die ganze Vorstellung. So ist es auch hier. Der „Ring“ in
meiner Form forderte nicht nur eine peinlich präzise und
teure
Einrichtung und Synchronisierung, von den vielen Videobildschirmen bis zur
avancierten hydraulischen Bühnentechnik, eine Vielzahl von verborgenen
Bühnenarbeitern, (die wegen der Dunkelheit noch dazu mit „Night
Vision“ ausgerüstet werden müßten) und Tausende von sorgfältig
eingesetzten „Licht-Hinweisen“ (das begleitende Licht wurde rasch
verworfen und sollte durch viele lose Lampen ersetzt werden, die das Licht
mit Hilfe von Unmengen von einprogrammierten „Fades“ wandern lassen
sollten), ganz zu schweigen von den Problemen, die sich bei dem bloßen
Versuch ergaben, einfach die göttliche Dunkelheit zu bewahren (im Zuschauerraum,
trotz Bayreuths überdecktem Orchestergraben, und auf der Bühne, wo
das Fehlen von Licht außerhalb der gewünschten Begrenzung sich als
gewaltiges Problem erwies, das sich nicht nur durch „Bobinette“-Vorhänge
lösen ließ, die noch dazu eine katastrophale Auswirkung auf die
Akustik im Saal hatten, usw.). die Vorstellung könnte also jegliche Autorität
verlieren und donnernd zu Boden stürzen, wenn sich in eine der erwähnten
Prozeduren auch nur ein einziger Fehler einschliche. Ich behaupte nicht, daß es
unmöglich gewesen wäre, doch durch meinen krankhaften Drang zum Perfektionismus
(der mich unter anderem seit vielen Jahren daran gehindert hat, in meinen Filmen
im voraus bereits technisch definierte Bilder zu verwenden, also geplante Kameraeinstellungen)
wäre es die Hölle geworden. Aber, wie gesagt, vielleicht werden sich
andere von meinen Überlegungen angeregt fühlen, und gerade deshalb
schreibe ich diesen Text. Ich schreibe ihn aber auch, um meine Gedanken zu
klären und mich von dieser ganzen monströsen Last zu befreien, die
der „Ring“ eben auch ist, vor allem, wenn man sich technisch in
eine „Ecke“ manövriert hat (und sei diedas Konzept noch so
erfolgversprechend, wie ich das ja immer noch glaube), und das war das Gefühl,
das mich vor einigen Monaten überwältigt hat und den eigentlichen
GrundHauptgrund meiner Absage darstellte. 22. Juni 2004 P.S.: Für den
Fall, dass jemand meine Rohentwürfe, die ich für die zwei Werke „Die
Walküre“ und „Siegfried“ erstellt habe, lesen möchte,
werden diese in etwa einem Monat auf der Homepage von Zentropa frei verfügbar
sein (mit freundlicher Genehmigung Wolfgang Wagners und der Bayreuther Festspiele).
www.zentropa.dk