derStandard.at | Kultur | Bühne | Österreichische Bühnen: Kritiken 05/06 
11. Mai 2006
18:36 MESZ
Das Interview führte Ronald Pohl 
Ein Spiel mit Simultaneität: Edith Clever und Werner Wölbern als ältere Frau und mittelalter Mann in Jon Fosses "Schlaf" - ab Sonntag am Akademietheater
Zur Person
Edith Clever, langjährige Schaubühnen-Charakterdarstellerin, etwa unter der Intendanz Peter Steins, und Muse des Regisseurs Hans-Jürgen Syberberg, unterrichtet heute in Berlin und steht nur noch selten in Großproduktionen auf verschiedenen, zumeist Berliner Bühnen.
Ein ewiger Fluss des Kommens und Gehens
Der deutsche Theaterstar Edith Clever im Interview über die Wiener Arbeit an Jon Fosses "Schlaf"
Wie spielt man ohne Psychologie und ohne Namen ein Drama von Leben und Tod? Der deutsche Theaterstar Edith Clever über die Wiener Arbeit an Jon Fosses "Schlaf".
STANDARD: Der norwegische Dramatiker Jon Fosse arbeitet weit gehend mit Aussparungen. Er versammelt in "Schlaf" verschieden alte Paare simultan auf der Bühne – Frauen und Männer, die nacheinander haschen und einander zum Teil wieder verfehlen.
Edith Clever: Es handelt sich um das Notwendigste, was er hinschreibt. Fosse arbeitet zumindest in diesem Stück sehr rhythmisch und musikalisch. Die ganze Geschichte hat nichts Psychologisches – nur wird trotzdem eben sehr viel erzählt. Es entstehen viele sehr lebendige Situationen. Nur ist er nicht an Psychologie interessiert. Die Figuren haben ja auch keine Namen. Er schafft es, an Dinge zu rühren, die unser Leben wesentlich ausmachen. Wozu der Tod gehört.
STANDARD: Im Grunde hebt er die Zeit auf. Lebensabschnitte stehen gleichberechtigt nebeneinander auf der Bühne ...
Clever: Er stellt uns das hin – aber er bewertet es nicht. Er sagt gar nicht, das ist richtig, das ist falsch – sondern: So ist das Leben! In diesem Stück finden Sie ein glückliches Paar, ein anderes, das von Anfang an ambivalent lebt – die Frau verlässt den Mann schließlich auch. Man gewinnt aber nie das Gefühl, dass das eine Lebensmodell besser wäre als das andere. Es ist eben, wie es ist. Es gibt verschiedene Zeitebenen, Zeitsprünge, es gibt Tote, die nie ganz verschwinden.
Ich spiele die alte Frau, die wir vorher als junge Frau gesehen haben und die Kontakt aufnimmt zu dem verlassenen, sein ganzes Leben durch wartenden Mann. Die Fragen, die sich beim Lesen des Stückes aufdrängen – "Wer lebt jetzt wann? Wo? Ist er tot oder lebendig?" – sie verflüchtigen sich, glaube ich, beim Anschauen und Erleben des Stückes auf der Bühne. Ich habe das Gefühl, dass Luc Bondy der richtige Regisseur für dieses Stück ist. Leise und lebendig. Er sucht die Einfachheit, die Lakonie. Das wird, glaube ich, ein berührender Abend, der etwas vom Tod und vom Leben erzählt.
STANDARD: Wie ist für Sie die Arbeit mit diesem Regisseur?
Clever: Ich hatte in der letzten Zeit zwei verschiedene Arbeitserfahrungen mit Luc Bondy. In Botho Strauß' "Die eine und die andere" im Vorjahr am Berliner Ensemble ging es mir – ich war sehr gut vorbereitet – leichter mit der Rolle. Wir hatten viel Freude aneinander. Wo mir etwas fehlte, konnte Luc mir helfen – mich erden.
Hier in Wien habe ich zunächst sehr gefremdelt. Diese Nicht-mal-Sätze Fosses, die Einfachheit, die dazu notwendig ist – ich bin immer noch im Prozess. Bondy arbeitet sehr entspannt, es gibt keinen Druck – wenn ich den selbst empfinde, weil ich mir schwer tue, so liegt das an mir. Normalerweise lasse ich mich von einem Text führen. Hier muss man die Aussparungen ergründen und füllen. Botho Strauß ist ein hoch empfindlicher, kritischer Beobachter der Gesellschaft und der Zeit – Fosse schaut mehr auf das Fließen, den ewigen Fluss des Kommens und Gehens. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.5.2006)