DER
SPIEGEL 36/2006 - 04. September 2006
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Aufbau Ost
"
Gefühl von Heimat"
Von Markus Deggerich
Sie waren ungeliebt und sind doch zurückgekehrt: Einst enteignete Adelsfamilien
haben in Ostdeutschland ihre alten Güter erneut erworben - und manch rückständigen
Flecken zum Blühen gebracht.
Der Empfang war wenig herzlich. Als der Baron das erste Mal das Haus seiner Vorväter
betrat, landete prompt ein Eulenschiss auf seiner Schulter, und auch der Chef
der LPG begegnete ihm eher unfreundlich: "Was wollt ihr hier?" Ja,
was wollte er da, im 35-Seelen-Dorf Ulrichshusen, kurz nach der Wende, mitten
im Nichts, mitten in Mecklenburg, zwischen Ruinen?
Aufbau Ost: Die Rückkehr der Blaublütigen
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Der Baron, das ist Helmuth Freiherr von Maltzahn, 57, dessen blaues Blut permanent
zu kochen scheint und der keine Angst hat, dass seine blaue Seidenkrawatte, die
er zu den Gummistiefeln trägt, schmutzig werden könnte. Der Spross
des uralten, bis 1194 zurückverfolgbaren Adelsgeschlechts suchte damals
das Schloss Ulrichshusen: einen Renaissance-Bau, über Jahrhunderte in Familienbesitz,
zu DDR-Zeiten als Küche einer LPG genutzt - und nun fast komplett niedergebrannt.
Mit seiner Mutter, seiner Frau Alla und den beiden Töchtern stand er 1990
nur noch vor ein paar Resten des Gebäudes.
Er hätte ein paar Nostalgiefotos für das Familienalbum schießen
können, dem Elend den Rücken zudrehen und sich aus dem Staub machen
in seinen gutbezahlten Job bei einem Kosmetikkonzern im Westen. Doch Maltzahn
entschied anders: "Hier wird wieder aufgebaut." Von seiner Frau ist
ein Seufzen überliefert.
16 Jahre später ist die Gegend um Schloss Ulrichshusen eine Oase im wirtschaftlichen Ödland
Mecklenburg-Vorpommern - mit 50.000 Besuchern im Jahr, einer Arbeitslosigkeit
von nahe null Prozent, dazu ein wichtiger Austragungsort der Musikfestspiele
des Landes. Ein "Vorbild an Innovation, Ideenkraft und Leistungsbereitschaft",
wie der Wirtschaftsminister des verarmten Nordstaates, Otto Ebnet (SPD), lobt.
Die Maltzahns gehören zu jenem Teil des deutschen Adels, der nach dem Ende
der deutschen Teilung in die alte Heimat seiner Familien im Osten zurückgekehrt
ist und dort auf seiner Scholle für ein kleines Wirtschaftswunder gesorgt
hat. Es sind jene Junker, nach dem Krieg geflüchtet oder vertrieben, deren
Land im Zuge einer Bodenreform von den sowjetischen Besatzern kassiert und in
Bauernhand gelegt worden war. Blaublüter, misstrauisch empfangen, die Bankkredite
aufnahmen und sich tapfer durch Bauschutt und Bürokratie schaufelten. Mehr
als hundert Familien versuchten so ihrem Namen alle Ehre zu machen.
Sie kamen nicht als Raubritter. Die einst Enteigneten blieben 1990 von der Rückübertragung
ausgeschlossen; das Bundesverfassungsgericht bestätigte diesen Rechtszustand.
Ein Wiedererwerbsrecht wird ihnen seitdem eingeräumt - sie dürfen ihren
alten Familienbesitz zurückkaufen. "Staatliche Hehlerei" nennt
das Freiherr von Maltzahn mit immer noch reger Wut auf den Einigungsvertrag,
der Nachkriegs-Unrecht quasi legitimierte.
Schließlich hatte seine Familie rund 800 Jahre in Mecklenburg-Vorpommern
gelebt. "Was sind dagegen 40 Jahre DDR?", sagt er. Das Ulrichshusener
Schloss, das Ulrich von Maltzahn 1562 in der Nähe von Waren an der Müritz
errichten ließ, gehörte zu den Prunkstücken der Adelssippe. "Auf
Familientreffen wurde immer über die verlorene Heimat geredet", erinnert
sich Helmuth Freiherr von Maltzahn. Eine nie verheilte Wunde.
Bis die Familie 1993 mit dem Wiederaufbau begann. Während andere Blaublüter
den Boulevard mit Schlagzeilen füllten, stand Familie Maltzahn bis zu den
Knien im Dreck. Im Baumarkt wurde ein Kleingarten-Fertighaus gekauft und neben
die Steinhaufen gepflanzt, die ersten 20 Quadratmeter neue Heimat: "Wir
wollten den Menschen zeigen, dass wir anpacken: Wir gehören zum Ort, und
sie gehören zum Schloss."
Ü
ber vier Millionen Euro haben die Maltzahns im Laufe der Jahre in die Hand genommen
- und investieren immer weiter: "Das ist ein Projekt für Generationen." Gutswirtschaft
werde in Ulrichshusen heute wieder als Gemeinschaftsaufgabe praktiziert, sagt
Maltzahn und sieht darin den eigentlichen Erfolg: "Die Menschen haben nicht
nur Arbeit und Brot. Sie haben ihren Stolz und ihre Identität wieder."
Zurückhaltende Töne liebt der Hausherr nur im Konzert, wenn in seiner
umgebauten Scheune Stars wie Mstislaw Rostropowitsch oder Anne-Sophie Mutter
auftreten. Ansonsten ist der Baron nun Hoteldirektor, Gastronom, Landwirt und
vor allem unermüdlicher Antreiber. "Hermann", brüllt er, "ich
brauche die Zaungitter nächste Woche!" Der Schmied Hermann Röhner,
57, zuckt mit den muskulösen Oberarmen: "Das geht nicht, Chef, da bräuchte
ich jemanden, der zuschneidet." Das Wort "nein" traut sich der
Schmied nicht in den Mund zu nehmen. "Herrrrmann! Das geht! Morgen früh
um sieben komme ich, und du zeigst mir, wie man zuschneidet!" Hermann brummt
noch irgendwas, das nach "Wochenende" klingt, aber da hat sein Auftraggeber
sich längst mit einem Klaps auf die Schulter verabschiedet. Hermann, der
Schmied, klagt nicht. "Der Baron", sagt er, "der weiß wenigstens,
was er will."
Das wird mittlerweile sogar von jenen anerkannt, denen alles Bürgerliche
oder gar Adlige ehedem als arbeiterfeindlich verdächtig war. "Natürlich
sind die meisten zurückgekehrten Adligen politisch schwarz", sagt der
Bundesgeschäftsführer des SED-Nachfolgers Linkspartei, Dietmar Bartsch,
aber wirtschaftlich seien sie ein Gewinn: "Viele engagieren sich und bringen
die Region voran." Und Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident
der DDR, erklärt mit leiser Ironie, in ärmeren Gegenden sei mancher
Einheimische froh, "endlich wieder einen Herrn zu haben, dem er dienen kann".
Die Familien mit dem "von" und "zu" im Namen haben für
diesen Beitrag zum Aufbau Ost mitunter gesicherte Existenzen im Westen aufgegeben
- für den Weg ins Risiko, für die Rückkehr in die eigene Geschichte.
Angezogen von einem unsichtbaren Band, das Familie heißt.
"
Alles war im Eimer", erinnert sich Heinrich Graf von Bassewitz. Am 14. Mai
1992, das Datum wird er nie vergessen, brach er mit seiner Frau Lucy die Tür
des verfallenen Hauses auf Gut Dalwitz auf und wusste gleich: "Ich will
hier zu Hause sein." Zum Glück schien die Sonne, sie machte den Anblick
etwas erträglicher und die Entscheidung - auch für seine südamerikanische
Frau - etwas leichter.
Denn Bassewitz, heute 52, war in seinem Leben nie länger als sechs Jahre
an einem Ort geblieben, mit Stationen in Europa, Afrika und Lateinamerika, zuletzt
als Entwicklungshelfer in Uruguay. Und dann: Dalwitz, die mecklenburgische Schweiz.
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"Es war eben ein Gefühl von Heimat", sagt er. Acht Stuten, zwei
Hengste und sein Erspartes brachte Bassewitz aus Uruguay mit. Gerade mal hundert
Hektar Land, noch dazu mit schlechtem Boden, konnte er anfangs kaufen. Kein Großgrundbesitzer,
kein Junker kehrte da zurück, eher ein Cowboy mit Jeans und Zigarette, der
anpackte.
Bassewitz, ein Doktor der Agrarökonomie, entschied sich für eine extensive
Nutzung seines Bodens und für den ökologischen Landbau, mit Schwerpunkt
auf artgerechter Rinderhaltung. Ohne Antibiotika, Mastfutter oder Wachstumsförderer
sollten die Tiere ihr ganzes Leben im Freien verbringen, was mancher kernige
mecklenburgische Bauernkollege als spinnert belächelte. Die Bassewitz lebten
in einer Ruine ohne Heizung, aber mit Visionen.
Heute ist Heinrich Graf von Bassewitz im Vorstand des Verbandes "Biopark",
dessen Mitglieder rund ein Fünftel der in Deutschland nach ökologischen
Richtlinien bewirtschafteten Fläche bestellen. Er ist Vorsitzender des Fachausschusses
für Ökologischen Landbau im Deutschen Bauernverband und hat noch ein
Dutzend weiterer Ehrenämter inne, vom Verein für eine "Freie Schule" bis
zum Kulturbund seiner neuen Heimat. Er ist ein Macher, ein Funktionär aus
Leidenschaft. Aber wenn er morgens in seinen Geländewagen steigt, um auf
die Weiden zu fahren, ist er einfach nur ein Bauer mit mittlerweile über
tausend Hektar Land, der 20 Arbeitsplätze geschaffen hat. Er steht auf dem
Kartoffelacker, in einer Gegend, in der das Handy des einstigen Weltreisenden
keinen Empfang hat, und sagt dann glückssatte Sätze wie: "Ist
es nicht schön hier? Alles, was es nicht mehr gibt, gibt es hier!"
Adel war verpönt im einstigen Arbeiterund-Bauern-Staat. Den Rückkehren
mit den langen Namen schlug im Osten nach der Wende teilweise offene Feindschaft
entgegen. Selbst dann, wenn die Blaublütigen auf eine antifaschistische
Geschichte verweisen konnten.
Auch beim Auftauchen der Lynars in ihrer brandenburgischen Heimat mischten sich
alte Vorbehalte gegen den Adel mit neuen Ost-West-Konflikten. Beatrix Gräfin
zu Lynar, 62, berichtet sogar von Morddrohungen und Psychoterror, nachdem sie
sich 1991 gegen das sonnige Portugal und für die erdenschwere Lausitz entschieden
hatte. Das Schloss Lübbenau hatte sich seit 1621 in Familienbesitz befunden,
zu DDR-Zeiten war es unter anderem als Schulungsheim genutzt worden. "Für
uns war klar, dass Bodenreform-Land unantastbar war", sagt die Hausherrin, "wir
wollten ja nicht Unrecht mit Unrecht vergelten."
Dass die Lynars ihr Schloss dennoch zurückerhielten, verdanken sie der Wiedervereinigung,
die Enteignungen zur NS-Zeit von Mitgliedern des Widerstandes rückgängig
machte. Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar gehörte zum Widerstandskreis vom
20. Juli, am 29. September 1944 wurde er hingerichtet. Seine Familie, noch im
selben Jahr enteignet, zerstreute sich in alle Welt.
Um das Schloss mitten in der Stadt und die angrenzenden Ländereien begann
nach dem Ende der DDR ein bizarrer juristischer Streit. Die Treuhandanstalt wollte
zunächst das Schloss nicht übergeben und versuchte es zu Geld zu machen
- was nicht gelang. Erst im November 1991 bekam die Familie die Immobilie übereignet: "Aber
da waren alle Fördertöpfe schon leer", klagt Gräfin zu Lynar.
Vom Denkmalschutz gab es nur wenig Geld, aber viele Vorgaben. Von den Menschen
schlug ihnen Neid entgegen. "Viele dachten", sagt die Schlossbesitzerin, "wir
säßen um fünf beim Tee und erteilten ansonsten nur Befehle." So
wisperten die Einwohner über die jungen Männer, die da im Garten aufräumten: "Klar,
dass die sofort ABM-Kräfte kriegen." Doch die ABM-Kräfte waren "alles
Grafen - meine Söhne", sagt die stolze Mutter.
Die Leute aus Lübbenaus Altstadt, so empfand es die Rückkehrerin, hatten
weniger Vorbehalte gegen die neuen alten Schlossbesitzer. Einige brachten sogar
einst geplünderte Gemälde zurück. Die Neustädter aber, und
das ist die Mehrheit der Lübbenauer, kamen erst vor 40 Jahren mit dem Tagebau
her und wurden zum Teil auf dem früheren Land der Grafenfamilie angesiedelt.
Sie empfingen die Lynars als Eindringlinge, als Bedrohung. Sie hatten Angst um
die Miete, den Garten, die Datsche.
Beatrix Gräfin zu Lynar ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen. An
ihrem 50. Geburtstag nähte sie Vorhänge, Silberhochzeit feierte sie
mit ihrem Ehemann mit Kellerentrümpeln und Zimmerdekorieren. "Anfangs
sahen die Räume noch nach Jugendherberge aus - mit Gemeinschaftsklo."
So entstand Stück für Stück, Jahr für Jahr, wieder das alte
Schloss. Millionen haben die Lynars inzwischen investiert, sie machten aus dem
imposanten Gebäude ein Hotel, geben 40 Menschen Arbeit.
Der neue Schlossherr heißt Rochus, ein Enkel von Wilhelm Friedrich, er
ist freundlich, etwas reserviert und erst 34 Jahre alt. Mit Lübbenau verband
er für lange Zeit nur Schwarzweißfotos und alte Geschichten, unerreichbar
im fernen Osten Deutschlands. Er ist in Portugal aufgewachsen, wo sein Vater
Guido für Hoechst gearbeitet hat. Er hat unter anderem in Dublin und Buenos
Aires studiert, sein erster Job als Betriebswirt führte ihn nach Finnland,
Spanien und Brasilien. Und doch ist er vor wenigen Jahren dem Ruf seiner Eltern
gefolgt, in die Gurken-Gegend im Spreewald. Warum? "Wegen der Familie",
sagt er - und er sagt es wie selbstverständlich.
Das Verhältnis der Lübbenauer zu den Lynars ist immer noch kompliziert.
Die Stadtverordnetenversammlung hatte mit Mehrheit entschieden, eine Straße
nach dem Widerstandskämpfer Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar zu benennen.
Doch alte Kader opponierten dagegen, sie sammelten Unterschriften gegen die Umbenennung
der "Poststraße". Die Lokalpolitiker knickten wieder ein.
Die Lynars hielten sich mit Kommentaren zurück. Sie organisieren stattdessen
eine Ausstellung über das Leben ihres Vorfahren, als stille Mahnung. Rochus,
der Enkel, sagt nur: "Durch unsere Arbeit ehren wir unseren Großvater."
Im vergangenen Jahr haben die Lynars mit ihrem Hotel zum ersten Mal eine Null
erwirtschaftet. Der Einzige aus der Familie, sagt die Gräfin zu Lynar, der
ein Gehalt beziehe, sei Sohn Rochus, und da verdiene jeder Polizeibeamte mehr.
Auf dem Weg durch den Park wendet sie sich zum Schloss und seufzt: "Die
Fahne hängt schon wieder schief." Aber sie weht.
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Bodenreform: Bauernland in Junkerhand? (02.09.2006)
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