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06. März 2005 Druckversion | Versenden | Leserbrief
SCHÜSSE AUF ITALIENER
" Zeit"-Chefredakteur zweifelt an US-Angaben
" Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hat Zweifel an der offiziellen Darstellung des Zwischenfalls bei der Befreiung von Giuliana Sgrena im Irak geäußert. Auch die italienische Reporterin stellt den Vorfall anders dar als die amerikanische Armee. Inzwischen traf der Leichnam des Spezialagenten, der Sgrena schützen wollte, in Rom ein.
DDP
" Zeit"-Chefredakteur di Lorenzo: "Wir als Journalisten dürfen uns nicht auf die offizielle Darstellung verlassen"Hamburg - "Es klingt doch absurd, dass angeblich in mehreren Phasen alles getan worden ist, um das Fahrzeug zu warnen, und dann wird einfach geschossen", sagte die Lorenzo der "Bild am Sonntag". "Wir als Journalisten dürfen uns nicht auf die offizielle Darstellung verlassen." Er berichtete, wie die Redaktion der Wochenzeitung die Freilassung ihrer Mitarbeiterin verfolgte: "Extremer könnte das Wechselbad der Gefühle gar nicht sein. Freitag gegen 19 Uhr haben wir voller Freude auf die Freilassung angestoßen. Und dann kommt diese unglaubliche Nachricht." Laut der "Zeit" wurden insgesamt 400 Kugeln auf das Fahrzeug mit den Italienern abgefeuert.
Auch Sgrena selbst erhob Anschuldigungen gegen die amerikanische Armee. Nach US-Militärangaben war der Wagen auf einen Kontrollpunkt zugerast. Als der Fahrer auf eine Aufforderung zum Anhalten nicht reagiert habe, sei das Feuer eröffnet worden. Sgrena beschrieb die Geschwindigkeit des Autos im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Ansa und in ihrer Zeitung "Il Manifesto" dagegen als "normal".
Die US-Streitkräfte erklärten zudem, die Soldaten hätten versucht, den Wagen mit Handsignalen und Lichtblitzen zum Anhalten zu bewegen. Danach seien Warnschüsse abgegeben worden. In einem Interview mit dem Fernsehsender Italiana La 7 TV sagte Sgrena dagegen, es habe keine solchen Signale gegeben. "Uns war zuerst überhaupt nicht klar, woher die Schüsse kamen", sagte sie. "Es war nicht der Kontrollpunkt, sondern eine Patrouille, die auf uns schoss, nachdem sie uns mit einem Scheinwerfer angestrahlt hatte."
" Feuer und Kugeln regneten auf uns nieder und brachten die fröhlichen Stimmen für immer zum Schweigen", schrieb Sgrena für ihre Zeitung aus dem Krankenhaus. Der Fahrer habe gerufen, dass sie Italiener seien. Dann habe sich Calipari über sie geworfen und "sofort habe ich seinen letzten Atemzug gespürt, als er starb", schrieb sie weiter. In diesem Moment habe sie sich an die Worte ihrer Entführer erinnert, die sie zu größter Vorsicht ermahnt hätten, "weil die Amerikaner nicht wollen, dass du zurückkehrst".
Die Organisation Reporter ohne Grenzen verlangte, der Vorfall müsse von den Vereinten Nationen untersucht werden. Bislang hat nur die italienische Staatsanwaltschaft die Untersuchung aufgenommen.
Weder die italienischen noch die amerikanischen Behörden äußerten sich zu den genauen Umständen der Freilassung der 56-jährigen Journalistin. Nach Angaben eines irakischen Abgeordneten floss ein Lösegeld in Höhe von einer Million Dollar. Judaam Jussef Kanna sagte im belgischen Fernsehen, im lägen entsprechende Informationen vor.
Leiche des italienischen Agenten überführt
DPA
Flughafen Campino bei Rom: Italiens Präsident Ciampi am Sarg von CalipariIn der Nacht wurde der Leichnam des im Irak getöteten italienischen Geheimdienstbeamten Nicola Calipari nach Italien überführt. Der in eine italienische Flagge gehüllte Sarg traf am frühen Sonntagmorgen an Bord einer Militärmaschine auf dem römischen Flughafen Ciampino ein. Zugegen waren neben Caliparis Witwe und den beiden Kindern auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, Ministerpräsident Silvio Berlusconi, weitere Regierungsmitglieder und Geistliche.
Beim Anblick des Sarges, der von einer Ehrengarde aus dem Flugzeug getragen wurde, brachen Familienangehörige des Toten in Tränen aus. Ciampi legte beide Hände auf den Sarg und verharrte für zwei Minuten ohne Regung, bevor er erlaubte, dass der Sarg in einen Leichenwagen gehoben wurde. Sieben landesweit ausstrahlende Fernsehsender übertrugen die Szenen live.

SPIEGEL ONLINE - 06. März 2005, 09:23
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,345029,00.html
Anti-Terrorkampf
 
Bush gab CIA Persilschein für Verhöre
Die Direktive ist streng geheim. US-Präsident George W. Bush hat einem Zeitungsbericht zufolge der CIA kurz nach den Anschlägen vom 11. September erlaubt, Terrorverdächtige ohne förmliches Verfahren in andere Länder zu schaffen, um sie dort zu verhören.
REUTERS
Bush bei der Amtseinführung des Heimatschutzministers Michael Chertoff: Freifahrtsschein für die CIANew York - Der Geheimdienst habe nach dem 11. September 2001 bis zu 150 Verdächtige zu Verhören in Länder wie Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, Jordanien und Pakistan gebracht, meldet die "New York Times". Offenkundig wollte das Weiße Haus über die Details nicht informiert werden. Die CIA müsse nicht von Fall zu Fall eine Genehmigung durch das Präsidialamt einholen, heißt es in dem Erlass von George W. Bush.
In den vergangenen Monaten hatte dieses Vorgehen zunehmend Kritik hervorgerufen. Frühere Häftlinge berichteten von einer menschenunwürdigen Behandlung. Menschenrechts-Gruppen erklärten, die Praxis verstoße gegen Anti-Folter-Prinzipien der USA.
Drei Fälle nennt die "New York Times": * Maher Arar, ein in Syrien geborenen Kanadier, war zwei Wochen nach dem 11. September auf dem Kennedy Flughafen in New York festgenommen und nach Syrien transportiert worden. Dort sei er geschlagen worden, berichtete er. Ein Jahr später sei er ohne Anklage freigelassen worden.
* Der Deutsche Khaled el-Masri, gebürtig im Libanon, wurde im Dezember 2003 in Mazedonien aus einem Bus gezerrt und nach Afghanistan geflogen. Er berichtet, er sei geschlagen und unter Drogen gesetzt worden, fünf Monate später sei auch er ohne Anklage freigelassen worden.
* Mamdouh Habib, ein Australier der in Ägypten geboren wurde. Er wurde einige Wochen nach dem 11.-September-Anschlägen festgenommen und zunächst nach Ägypten, dann nach Afghanistan und schließlich nach Guantanamo auf Kuba gebracht. Auch Habib berichtet von Schlägen, Misshandlungen und Elektroschocks während seiner Haft. 40 Monate nach seiner Festnahme wurde er ohne Anklage freigelassen.
Ein Regierungsvertreter sagte der Zeitung, das Vorgehen sei nur bei Gefangenen angewendet worden, die verdächtigt wurden, Kenntnisse über terroristische Aktivitäten zu haben. Sie seien mit dem Versprechen ins Ausland gebracht worden, dass sie keine Folter zu befürchten hätten. "Wir bekommen Zusicherungen. Und wir überprüfen diese Zusicherungen doppelt, um sicher zu sein, dass diese Menschen anständig und unter Einhaltung der Menschenrechte behandelt werden", sagte er. Dass es Misshandlungen gegeben habe, schloss er nicht aus, gestorben sei aber niemand. Nicht ist hundertprozentig, außer wir überwachen sie selbst 24 Stunden pro Tag."
Der Regierungsvertreter verteidigte die Richtlinie als wichtiges Werkzeug im Anti-Terrorkampf. "Die Informationen, die wir bekamen, haben terroristische Operationen unterbrochen. Sie haben Leben in den USA und andernorts gerettet und zu Festnahmen von anderen Terroristen geführt."
 
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