GESCHICHTE
Uno beschließt Holocaust-Gedenktag
Die Uno hat den 27. Januar offiziell zum Holocaust-Gedenktag erklärt.
Israels Außenminister Schalom begrüßte den Beschluss als "historische
Entscheidung".
SPIEGEL
ONLINE - 01. November 2005, 19:30
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,382782,00.html
Geschichte
Uno beschließt Holocaust-Gedenktag
Die Uno hat den 27. Januar offiziell zum Holocaust-Gedenktag erklärt. Israels
Außenminister Schalom begrüßte den Beschluss als "historische
Entscheidung".
New York - Der Beschluss der Uno-Vollversammlung werde dem Kampf gegen den Antisemitismus
sowie der Verewigung des Holocaust dienen, sagte Silwan Schalom. Die Vollversammlung
hatte gestern Abend (Ortszeit) eine Resolution angenommen, in der alle Mitgliedstaaten
aufgerufen werden, an diesem Tag an den Judenmord zu erinnern. Die maßgeblich
von Israel, den USA, Russland, Australien und Kanada auf den Weg gebrachte Resolution
wird von fast 100 Staaten auf allen Kontinenten unterstützt. Allerdings
sind darunter keine arabischen Länder aus dem Nahen Osten. Vertreter arabischer
und muslimischer Staaten bedauerten, dass in der Resolution nicht auch andere
große Verbrechen der Menschheit genannt werden.
Uno-Generalsekretär Kofi Annan Annan bezeichnete den Gedenktag als "eine
wichtige Mahnung an die universelle Lektion des Holocaust". Bundesaußenminister
Joschka Fischer begrüßte die Entscheidung der Uno-Vollversammlung. "Das
Gedenken an den Holocaust bedeutet Erinnerung und Mahnung zugleich. Für
uns Deutsche wird das Verbrechen des Holocaust immer das dunkelste Kapitel unserer
Geschichte und Quelle besonderer Verantwortung sein. Wir können, dürfen
und werden uns dieser Verantwortung niemals entziehen", sagte Fischer nach
Angaben des Auswärtigen Amts in Berlin.
Der Präsident der Vollversammlung, Jan Eliasson, sagte, die Erinnerung an
den Schrecken des Holocaust müsse einhergehen mit dem ernsthaften Bestreben,
neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. "Wir können
nicht immer nur wieder sagen 'Nie Wieder'", mahnte der Schwede. Es müssten
dem auch Taten folgen.
Der amerikanische Uno-Botschafter John Bolton griff in seiner Rede vor der Vollversammlung
den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad an, ohne ihn namentlich
zu nennen. In Anspielung auf dessen Äußerung, den "Schandfleck
Israel" tilgen zu wollen, sagte Bolton: "Wenn der Präsident eines
Mitgliedstaates in schamloser und hasserfüllter Weise zu einem zweiten Holocaust
aufrufen kann, indem er sagt, dass Israel, das jüdische Heimatland, von
der Karte getilgt werden muss, dann ist klar, dass nicht alle die Lektionen des
Holocaust gelernt haben."
In Deutschland und anderen Ländern wird dieser Gedenktag heute schon begangen.
Der Holocaust-Tag erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz
durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945. Auschwitz steht symbolhaft für
den Völkermord und die Verfolgung von Millionen von Menschen durch die Nazis.
Der Gedenktag war 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingerichtet
worden.
©
SPIEGEL ONLINE 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
Im
Interview mit Daniel Bax auf den Tagesthemenseiten meint Gideon Levy, Chefredakteur
der Wochenendbeilage der Tageszeitung Ha'aretz: "Israel ist heute ein
viel rassistischeres Land als irgendein Land in Europa. Ein Araber in Israel
zu sein, ist mit mehr Nachteilen und Diskriminierungen verbunden, als irgendwo
auf der Welt ein Jude zu sein."
"
Jeder sollte Israel kritisieren"
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Herr Levy, in seinen letzten Jahren erklärte Israel Jassir Arafat
zum größten Hindernis für den Frieden. Jetzt ist er seit fast
einem Jahr tot - und neue Verhandlungen sind immer noch nicht in Sicht. Warum?
Gideon Levy: Weil Ariel Scharon nicht an Verhandlungen glaubt - so, wie er überhaupt
nicht an Frieden mit den Arabern glaubt. Er vertraut ihnen nicht.
Aber die meisten Palästinenser wählten mit Mahmud Abbas einen moderaten
Politiker als Präsidenten. Er lehnte Selbstmordattentate stets ab.
Sie dürfen nicht vergessen, dass die Hamas nicht teilgenommen hat an diesen
Wahlen. Ich glaube schon, dass es eine pragmatische Mehrheit gibt, die Mahmud
Abbas unterstützt. Aber sie nimmt konsequent ab, weil er keine Ergebnisse
vorweisen kann.
Die Hamas gibt Israel immer wieder Grund, alle Verhandlungen abzulehnen. Haben
Sie Angst vor der Hamas?
Nein, ich habe keine Angst vor der Hamas. Ich habe Angst vor uns selbst. Wir
machen alles, um die Hamas zu stärken. Natürlich gibt es den Terror,
der wirklich beängstigend ist. Es gab Jahre, da hatten Eltern in Israel
Angst, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Das will ich nicht klein reden,
auch ich habe Kinder. Aber es ist eine Frage des Maßstabs.
Die Hamas stellt doch das Existenzrecht Israels in Frage …
Diese Debatte ist doch ein Witz. Israel ist eine regionale Supermacht und seinen
Nachbarn auf jedem Gebiet überlegen. Es gibt keine Waffe auf der Welt,
die Israel nicht besitzt, von der Atombombe bis zu verfeinertem Kriegsgerät.
Stellt die Hamas denn keine Bedrohung für Israel dar?
Sie wäre überhaupt keine Bedrohung, wenn Israel die palästinensischen
Autonomiebehörden in die Lage versetzte, wirklich zu regieren und ihren
Leuten ein paar Fortschritte vorzuweisen. Aber Abbas ist ein General ohne Soldaten.
Es gibt keine Polizeistation und keinen Streifenwagen, die nicht von der israelischen
Armee angegriffen wurden. Wir haben jegliches Symbol der Hoffnung und der Souveränität
zerstört. Und jetzt sagen wir, er soll wirkungsvoll gegen den Terror vorgehen?
Solange die Situation so hoffnungslos ist wie zurzeit, werden radikale Gruppen
weiterhin Zulauf finden. Wenn wir die Hamas bekämpfen wollen, dann sollten
wir das nicht mit Hubschraubern und Kampfflugzeugen tun, sondern indem wir
das Leben der Palästinenser verbessern.
In jüdischen Gemeinden Europas grassiert, aufgrund des Nahostkonflikts,
die Angst vor einem neuen Antisemitismus. Ist die Angst berechtigt?
Sie ist ein Produkt von ehrlicher Paranoia und einem großen Anteil Manipulation.
Paranoia zu haben, bedeutet nicht, dass man keine Feinde hat. Aber indem man
sich selbst ausschließlich zum Opfer erklärt, entlässt man
sich aus jeder Verantwortung. Die späte Golda Meir hat das einmal auf
die Spitze getrieben als sie sagte, nach dem Holocaust hätten die Juden
das Recht zu tun, was immer sie wollten. Das ist natürlich eine extreme
Aussage. Aber ich fürchte, viele Juden und Israelis denken so, auch wenn
sie es vielleicht nicht sagen würden. Ich kann das nicht akzeptieren.
Und was soll "Manipulation" sein?
Natürlich sind auch viele Israelis zu Opfern des Konflikts geworden. Das
bedeutet aber nicht, dass Israel diese Tatsache nicht in zynischer Weise zu
eigenen Zwecken benutzt. Die Agonie und das Leid der Palästinenser kommen
in den israelischen Medien so gut wie gar nicht vor. Nur indem man die andere
Seite ausblendet, kann man sich der Welt als Opfer präsentieren. Israel
ist heute ein viel rassistischeres Land als irgendein Land in Europa. Ein Araber
in Israel zu sein, ist mit mehr Nachteilen und Diskriminierungen verbunden,
als irgendwo auf der Welt ein Jude zu sein. Es ist überhaupt nicht damit
zu vergleichen!
Es scheint, als reagiere Israel lediglich auf den Terror.
Das stimmt - aber das ist eine große Lüge. Israel reagiert auf den
Terror. Und gleichzeitig ruft es neuen Terror hervor. Kürzlich etwa hat
Israel bei seinen Angriffen auf den Gaza-Streifen auch eine Schule beschossen.
Das hätte ein internationaler Skandal sein müssen. Aber niemand kümmert
sich darum.
Warum nicht?
Zum einen haben die internationalen Medien ein wenig das Interesse am Nahostkonflikt
verloren. Zum anderen kaufen sie den Israelis alle möglichen Lügen
ab. Aber es gibt noch immer eine Menge kritischer Stimmen. Es ist immer noch
kein Vergnügen, ins Ausland zu reisen und zu sagen, man sei Israeli.
In Deutschland wird Israels Standpunkt offenbar besser verstanden.
Deutschland ist ein besonderer Fall. Aber ich gehöre zu denen, die meinen,
dass jeder Deutsche das Recht hat, Israel zu kritisieren. Mehr noch: Jeder,
der sich als echter Freund Israels versteht, sollte Israel kritisieren.
Auch in den USA versteht man Israel gut. Als nach dem Gaza-Abzug dort Synagogen
brannten, kritisierte George Bush dies als Beispiel für einen neuen Antisemitismus.
Das ist doch lächerlich. Bush sollte sich einmal anschauen, was Israel
nach 1948 mit über 400 Moscheen auf seinem Gebiet gemacht hat. Manche
wurden zu Restaurants oder Nachtclubs umgewandelt, andere zu Müllhalden.
Es war doch klar, dass die Gebäude nach dem Abzug zerstört werden
würden. Wir hätten sie ja fast selbst zerstört, der Oberste
Gerichtshof hat das unterstützt. Also, warum sollten wir uns beklagen?
Das ist doch absurd. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass Bush wirklich
an Frieden im Nahen Osten interessiert ist.
Ist Druck von außen unabdingbar?
Frieden im Nahen Osten ist nur möglich durch äußeren Druck.
Oder durch noch mehr Blutvergießen.
Noch mehr Blutvergießen? Die Lage schien gerade etwas ruhiger.
Wir befinden uns in einer Zwischenphase. Es ist wie in einem Boxkampf: Jeder
hat sich in seine Ecke zurückgezogen, um Wasser zu trinken und seine Wunden
behandeln zu lassen, bevor es in die nächste Runde geht.
Gibt es noch genug Hass für eine weitere Runde? Die Zweite Intifada ist
vorbei, Selbstmordattentate gibt es viel weniger. Die Palästinenser sind
doch im Grunde besiegt.
Sie sind besiegt, ganz sicher. Aber sie haben nur aufgehört, weil sie
müde und erschöpft sind. Der Hass wird immer stärker, und das
mit gutem Grund. Israel hält in den besetzten Gebieten eines der brutalsten
Besatzungsregimes der Welt aufrecht, und die Siedlungen werden mehr und stärker
ausgebaut. Und das ist schlecht für Israel.
Warum?
Weil das nur die Extremisten stärkt. Die Annahme ist falsch: Je schlechter
es den Palästinensern geht, desto besser geht es Israel. Das Gegenteil
ist richtig: Je besser es den Palästinensern geht, desto besser ist das
für Israel.
Der Terror hat dem Anliegen der Palästinenser schwer geschadet.
Das stimmt. Aber wenn sie sich benehmen, dann kümmert ihr Schicksal niemanden
mehr. Die ersten zwanzig Jahre gab es keinen Terror, keinen Widerstand. Die
Welt wurde erst auf die Palästinenser aufmerksam, als sie in den Siebzigerjahren
damit begannen, Flugzeuge zu entführen. Ich habe Ehud Barak einmal gefragt,
was er tun würde, wenn er Palästinenser wäre. Er war ehrlich
genug zuzugeben, dass er sich einer Terrororganisation anschließen würde.
Hilft die Mauer gegen den Terror?
In gewisser Weise, ja. Aber sie wird nie völlige Sicherheit bieten, und
auf der anderen Seite führt sie zu noch mehr Hass und Verbitterung.
Ist sie nicht ein Zeichen dafür, dass Israel in Zukunft gewillt ist, eine
Grenze zu ziehen und auf Gebietsansprüche zu verzichten?
Was machen dann 200.000 Siedler jenseits dieser Grenze? Sie werden weiterhin
von der Armee beschützt und bekommen öffentliche Gelder. Sie werden
nicht ausgeschlossen. Es wird nur schwieriger, sie zu beschützen.
Mauern sich die Israelis damit nicht selbst ein?
Das stimmt vielleicht auf eine philosophische Art und Weise. Aber Israel befindet
sich ohnehin in einer Art Ghetto, ob mit oder ohne Mauer. Solange die Besatzung
andauert, wird es ein Ghetto sein. Schauen Sie, eine Mauer hat zwei Funktionen:
Man fühlt sich dadurch sicherer, und vielleicht ist man das auch. Und
zweitens: Man sieht den anderen nicht, wenn die Mauer nur hoch genug ist. Das
ist der Trend in Israel: Nicht sehen wollen. Dieser Traum, die Palästinenser
einfach nicht mehr zu sehen, als ob sie nicht existieren würden.
Sie sind öfter in Gaza unterwegs. Wie stellt sich die Lage dort nach dem
Abzug der israelischen Armee dar?
Schlecht wie immer, nichts hat sich grundlegend verändert. Die Tatsache,
dass die Wächter nun das Gefängnis verlassen haben und sich um das
Gefängnis gruppieren, macht für die Gefangenen keinen großen
Unterschied. Gut, das Gefängnis ist jetzt größer.
War der Abzug nicht richtig?
Doch. Aber die Frage ist nicht, ob wir uns hätten zurückziehen sollen
oder nicht. Die Frage ist, ob wir die Palästinenser jetzt in die Lage
versetzen, dort etwas aufzubauen. Wir lassen sie nicht ihren Hafen öffnen
oder ihren Flughafen in Betrieb nehmen, wir schränken ihre Bewegungsfreiheit
ein und lassen sie nicht ins Westjordanland. Das ist der Fehler. Wir sollten
ihnen die Freiheit geben, zu tun, was sie wollen.
Wie, glauben Sie, wird die Landkarte in zwanzig, dreißig Jahren aussehen?
Nach einem Friedensschluss werden wir zu den Grenzen von 1967 zurückkehren.
Wir werden endlich dort angekommen sein, wo wir schon längst sein sollten.
taz Nr. 7808 vom 1.11.2005, Seite 4, 263 Interview DANIEL BAX
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns,
wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin
(BLZ 100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
zurück