FAZ

Berliner Ensemble
Königinnendrama: Luc Bondy inszeniert Botho Strauß
Von Gerhard Stadelmaier
25. März 2005 

Irgendwann kommt bei jedem Theaterabend der Moment, wo man die entscheidende Bewegung spürt. Es ist bei unterschiedlichsten Aufführungen immer dieselbe Bewegung. Irgendwer, gleichgültig ob es der Schauspieler, der Bühnenbildner, der Regisseur ist, holt aus. Hat ein unsichtbares Schwert in der Hand. Und versucht einen Knoten zu durchschlagen: zu dem ein Leben, eine Liebe, ein Drama, ein Wahnsinn, ein Witz, ein Schlachten und Morden geschürzt sind. Der Moment dieses heroischen, verzweifelten, komischen Knotendurchhauens kann aus einem Bild bestehen: dann ist er platt. Oder aus einem Einfall: dann ist er matt. Oder aber aus einem einzigen Wort, einem Vers, einem Satz, einer Geste, einem Augenspiel: dann blitzt, funkelt und verstört er. Es ist ja doch der magische Moment, in dem ein ganzes Leben zu erzählen versucht wird: in der Nußschale.
Dorn hielt die Nußschale geschlossen
Umgekehrt aber wird auch eine Nuß daraus: Als vor zwei Monaten Dieter Dorn im Münchner Residenztheater das neue Stück von Botho Strauß, "Die eine und die andere", uraufführte, lag der Witz seiner Inszenierung darin, daß er die Nußschale geschlossen hielt, daß er jedermann (und sich selber auch) das Schwert des großen Alexander aus der Hand nahm, daß er alle gordischen Lebens- und Liebesknoten nicht durchschlagen ließ.
Dorn durchhaute und durchdeutete und erzählte nicht all die verknäuelten Geschichten zwischen Insa, der gescheiterten Pensionswirtin im Oderbruch, und Lissie, der gescheiterten Architekturkritikerin. Zwischen Elaine, die Insas Tochter, und Timm, der Lissies Sohn ist, die aber denselben Vater haben, der erst Insa, dann Lissie verlassen hat. Diese Liebes- und Lebensverknotungen zwischen unmöglichen Paaren, die zueinander verdammt sind, einfach deshalb, weil sie übrigbleiben und nun die einzig möglichen Paare bilden, löste Dorn in der Luft operettenwitziger Schwerelosigkeit auf.
Die große sentimentalische Trauer um den Vater
Er ließ den Figuren durchweg den Charakter von Durchgangswesen, Gegenwartsgespenstern: Durch sie und ihr Hirn- und Herzensgefieder gehen und flirren und rauschen viele mögliche Geschichten. Cornelia Froboess als Insa und Gisela Stein als Lissie: zwei Komplementärgeisterweiber, die eine in der Abgrundgrube der Alkoholikerin, die andere in der Seelenpeingrube einer Männerräuberin und Ehezerstörerin. Beide in großen, lustigen Sprüngen auf einem Megärenball ein Endspiel tanzend, an dessen Ende sie am Frühstückstisch der Pension im Oderbruch ewig sitzen und bleiben werden.
Dieses Ende hat Luc Bondy jetzt bei seiner Inszenierung im Berliner Ensemble gestrichen. Das letzte Wort hat der zarte, sanfte Timm, der Sohn von Lissie, der seinen Vater sucht, ihn kurz in einer schäbigen Automaten-Bar findet und ihn sofort wieder verliert. Unter Karl-Ernst Herrmanns Neonröhren- und Windradhimmel, der sich über einer magischen Straße wölbt, die durch eine Reihe sich ins Unendliche erstreckender rotglühender Markierungspfosten gesäumt ist, steht der Schauspieler Sebastian Rudolph. Zusammen mit dem Bühnenbildner und dem Regisseur führt er das Schwert und durchhaut seinen gordischen Knoten: "Er ist natürlich nicht zurückgekommen..." - so zeigt er in einem kleinen großen Moment das ganze Drama des Lebens und Liebens eines Vaterlosen. Wo Jens Harzer in München den Sarkasmus eines resigniert träumerischen, staunend bösen Bürschchens gegenüber dem Flop-Daddy aufbrachte, genehmigt Bondy seinem Timm-Schauspieler die ungemischte und große sentimentalische Trauer um den Vater. Danach nur noch Dunkel.
Die zauberhafteste Fehlbesetzung der Saison
Wo Dorn hübsch optimistisch die Erlösung der Verstrickten, das luftig Passende im erdenschweren Nicht-mehr-zueinander-Passen inszenierte, schneidet Luc Bondy, der größte Paar-Spezialist unter den Regisseuren, dem Stück ins Fleisch. Das Geniale ist, daß er Fleisch selbst noch unter Marmor freilegt. Unterm Marmor der Edith Clever zum Beispiel. Die Heroine Peter Steins und Syberbergs, die Beschwörerin des Großen und Dunklen und Heiligen, die Hohepriesterin unter den Schauspielerinnen, sitzt in durchbrochen schwarzer, fast sündig transparenter Bluse und im violetten Plisseerock auf einem Gymnastikball. Die zauberhafteste Fehlbesetzung der Saison.
Wo Cornelia Froboess in München alkohollustig unter ihrer Struwwelmähne aufs Weinglas schaute wie zu einem guten Freund, da hebt die Clever das Gefäß, als zelebriere eine alte mongolische Druidin einen heilig berauschten Gottesdienst. So redet und predigt sie von "Verdööörrung" und "Dürrää" und "Hitzääää" und von "Zoooornesadöörn" langgezogen und singend wie von liturgischen Dingen. Und ist doch in ihrem langen, dünnen grauen Priesterinnenhaar eine Frau, die "eine letzte Umarmung" frei hat, die sich wie verrückt nach Streicheln, Küssen, letzter Liebe sehnt. Und ihren Seelenmarmorknoten durchhaut mit dem kühnem Schwung der Tragödin, die in eine gordische Königinnen-Komödie geraten ist, die ungefähr den Titel "Der Raub der Alexandrinerinnen" tragen könnte.
Als schnitten ihre Lippen sich an diesem Wort
Wobei die Clever nicht nur die gescheiterte Kleinwelt-Eroberin, eine späte Schwester des großen Alexander, sondern auch die Trägerin des großen, klassischen alexandrinischen Vers- und Sprachmaßes des siebzehnten Jahrhunderts zu sein scheint. In der Herrscher-Allüre, mit der sie ihre Tochter und deren Männerbekanntschaften ("Du hast einen Hang zu Nägelkauern") abkanzelt, oder in der Trauer, in der sie "meine Spur nicht findet", oder auch in der Freude auf Marc, den Feriengast, "mit dem ich dieses Jahr schlafen werde", wirkt sie wie eine auf sechshebigen Pathos-Füßen durch ihr verlorenes Reich wandelnde und wankende Phädra oder auch Rodogune des Oderbruchs.
Eine Tragödin, die zugleich aber ungeheuer komisch wirkt in ihren Attacken, ihrer Lebensgier: Dann wird der Clever-Marmor zu purem, blutdurchpulstem Fleisch, feinadrig gekörnt. Und wenn sie betont, daß ihre Tochter keineswegs "scharf" auf einen Mann sei, dann klingt "scharf" bei ihr wie eine urkomische Schändung: als schnitten ihre Lippen sich an diesem Wort.
Gegenkönigin Jutta Lampe
Jutta Lampe als Lissie im schwarzen Hosenanzug, die Räuberin der Ehemänner, die Lust nur mit "gebrauchten Herren" empfinden kann ("Orgasmus nur bei Ehebruch"), die Insa einst Henrik weggenommen hat und jetzt noch vor Insa mit Marc im Bett verschwindet, ist hier nicht die Komplementärfigur zu Insa, sondern die Gegenkönigin. Sie hat ihren Lebensschmerz völliger Verlassenheit und Nirgend-dazu-Gehörens nicht mit dem großen Arien-Schrei und dem Koloratur-Ausbruch einer Clever betäubt, die, als sie Lissie und Marc halb nackt in flagranti ertappt, unterm Weh und Ach so klagt und jammert, als habe Medea jetzt den Beweis für Jasons Untreue.
Die Lampe zeigt kühl und nüchtern die Fassade der Frau, die ungerührt das durchhaut, was sie einsteckt: Ihr Schwert scheint im wesentlichen aus ihrem Kopf, das Schwert der Clever dagegen aus deren Herzen zu bestehen. Wo Botho Strauß diesen Zweikampf der beiden Himmelshöllenköniginnen beruhigt und erlöst, verschärft ihn Bondy zu einem Organ-Streit. Wo Strauß eine große, leichte, witztraurige Komödie schrieb, in der eine Gesellschaft von lauter "Nachlassenden" für einen ewigen kleinen Moment innehält im Untergehen und Verdorren, sucht Bondy nach dem Schmerz im Witz.
Eine unnachahmliche Lebens- und Liebesgier
Vielleicht am schönsten und erotischsten hat er ihn in der Elaine der Dörte Lyssewski gefunden, der Insa-Tochter, die mit Luftgeistern Verkehr pflegt, ungeborene Kinder als Starenschwärme durch den Himmel fliegen sieht, sich gerne Schmerzen zufügt, nirgendwo hingehört, auf kuriosen "Dingmenschen-Partys" sich als Christus am Kreuz empfindet, Golgatha spielt, sich Nägel in den Körper haut. In München sprang Juliane Köhler leicht und burschikos über diese seltsame, kalt kitschige Figur hinweg - in die Luft. Dörte Lyssewski holt "die Füchsin", die von aller Liebe, allem Leben separiert ist, aus der Mythen- und Zauberluft herunter in eine unnachahmliche Lebens- und Liebesgier.
Wenn sie in Unterwäsche auf dem Stuhl der "Dingmenschen" sitzt und sich in ihren Golgatha-Phantasien ergeht, wirkt das, als spiele sie Christi Leiden nur: nicht verrückt, sondern verrückt vor Liebe für Timm. Und wenn die beiden Halbgeschwister sich in unmöglicher Liebe trennen, sucht sie kurz und zärtlich und schüchtern des Halbbruders Hand. Eine Wälsungen-Elegie. Wenn sie ihre Schuhe verliert, eine Mütze für Timm strickt, im Kaufhaus an Wühltischen belästigt wird, zu Boden schaut oder nur "Ach, Mutter" sagt, dann durchhaut sie stolz und schön den kompliziertesten aller Knoten: die Person sein zu müssen, die sie nicht sein will. Die Lyssewski scheint dauernd zu sagen und zu spielen: Ich will - ganz anders. Sie ist die wahre Heldin, das lebenspraktische und liebesselige Zukunftsversprechen in Luc Bondys gordischer Königinnen-Komödie, die naturgemäß eine Tragödie ist, über die man glücklich lachen kann.
Text: F.A.Z., 26.03.2005, Nr. 71 / Seite 33

Berliner Zeitung

Im Oderbruch da ist gut unlustig sein
Edith Clever und Jutta Lampe in Botho Strauß' "Die eine und die andere" am Berliner Ensemble
Irene Bazinger


Ein Licht ist angezündet im Berliner Ensemble, das nicht hell macht, sondern als reines Zeichen dient. Es besteht aus Neonröhren, die wie ein schmaler, trotzdem unübersehbarer Rahmen in schlichter Modernität vor das neobarock ausgeschmückte Portal gesetzt sind. Ihre Farbe ist anfangs ein mild abgemischtes Rosa, später werden sie gelb oder rot und weiß gestreift strahlen - doch wie auch immer, der Rahmen vor dem Rahmen verweist auf ein Bild im Bild im Bild.
Schließlich geht es in "Die eine und die andere", dem neuen Stück von Botho Strauß, weit in die Vergangenheit zurück: Außer zu den biographischen Wurzeln seiner Titelheldinnen bis zu Luftgeistern, Kobolden und antiken Göttern. Weshalb der große Bühnenarchitekt Karl-Ernst Herrmann im Einstein-Jahr konsequent an Richard Wagners "Parsifal" erinnert: "Zum Raum wird hier die Zeit".
Botho Strauß, der stets derart passgenau für Theaterleute und Publikum seiner Altersgruppe gedichtet hat, dass meist nur seine aktuellen Dramen gezeigt werden, während die vorherigen verschwinden, wurde 2004 sechzig Jahre. Etwa so alt sind nun die Hauptfiguren aus "Die eine und die andere". Die Uraufführung mit Cornelia Froboess und Gisela Stein inszenierte Dieter Dorn im Januar in München.
Wie er ist auch Luc Bondy ein erprobter Botho-Strauß-Regisseur. Als die Schaubühne noch in Berlin (West) lag, bescherte er ihr mit dessen Stücken - von "Kalldewey, Farce" (1982) über "Die Zeit und das Zimmer" (1989) bis zu "Schlusschor" (1991) - einige hinreißende Abende. Jetzt hat Bondy mit Edith Clever und Jutta Lampe die bedeutendsten Schauspielerinnen jener legendären Ära reaktiviert.
Ihnen hat Strauß, bis 1975 Dramaturg an der Schaubühne, "Die eine und die andere" auf Herz und Nieren geschrieben: Das ironisch-garstige Keif-, Kränk- und Koseduett zweier betagter Weiber, die lebenslänglich ein tückisches Spannungsverhältnis aus Konkurrenz, Missgunst und vogelfreier Zuneigung verband.
Inzwischen sind sie einsam, verloren und verbittert: Insa, die mit ihrer Nachwende-Pension im Oderbruch pleite geht, und die Journalistin Lissie, der gerade gekündigt wurde - worauf ihr nichts besseres einfällt, als bei Insa Unterschlupf zu suchen. Dabei hat sie der einmal einen Mann ausgespannt, von dem jede ein Kind hat.
Und so thronen die beiden ausgemusterten Schlachtrösser dann voll beleidigter Grandezza auf dem geblümten Sofa an der Rezeption. Aus der Konfrontation von Vergangenheit, Gegenwart und dem eitel aufgetischten Gewohnheitsrecht auf die Zukunft schlägt Strauß mit der feinen Komödienklinge die Pointen. "Es gibt so ein Alter, wie du's mir vorwirfst, heute gar nicht mehr", windet sich die Hauswirtin aus der Biologie, "Erfahrungen machen jung."
Edith Clever, im lavendelblassen Faltenrock zur transparenten Bluse, singt als Insa wie eh und je die Vokale aus, verlangt "Ruuuhe" und amüsiert sich über ein Wort wie "Logooo". Jutta Lampe als Lissie schwingt sich, betont jugendlich, auf die Rückenlehne der Couch und stellt die Turnschuhe auf die Polster.
Die "Lebensfeindinnen" sind zueinander verdammt wie Pech zum Schwefel, aber sie haben kein anderes Feuer mehr, um sich zu wärmen. Bald albern sie denn auch munter herum, lachen wie toll und umarmen einander inniglich. Zum bösen Ende wird Lissie trotzdem Insa den letzten Liebhaber wegnehmen, worauf die, von Tränen geschüttelt, ihr und dem untreuen Stammgast als absurde Spontanrache "erst mal die Rechnung" ausfertigt.
Nicht erfolgreicher mit den Männern ist Insas Tochter Elaine, die in trostloser Intimität bei der Mutter wohnt, und zufällig Lissies Sohn Timm in einem Kaufhaus kennen lernt. Dort frönt sie ihrer Lust, sich körperlich misshandeln zu lassen - diesmal im Schlussverkauf mit Messern und Gabeln. Lieber soll es ihr, von Dörte Lyssewski mit unheiligem Ernst als aufrechte Schmerzenskönigin gezeichnet, irgendwo weh tun, als dass sie gar nichts spürt.
Sebastian Rudolph als Timm verdorrt, krampfhaft lächelnd mit hängenden Armen, im toten Winkel der Inszenierung. Er ist auf der Suche nach seinem abgetauchten Vater und wundert sich ständig über die Welt. Im Zuschauerraum wird es hell, als er ihn an einer Landstraße beim Schäkern mit einer jungen Motorradfahrerin findet - und von ihm gleich wieder allein zurückgelassen wird.
Der Abend, der sich laut Programmheft an "einer früheren Fassung" orientiert, endet mit diesem deutlichen Lichtsignal an die schlechten Väter im Publikum: Seht, was eure Kinder für Staubmäuse werden, wenn ihr euch nicht um sie kümmert. In der gedruckten Fassung indes haben die Megären das letzte Wort. Sie werden, wie's klingt, zankend und zeternd und manchmal auch zärtlich zusammenbleiben, bis dass der Tod sie scheidet.
Clever, Lampe, Strauß, Bondy, Herrmann: Es hätte so schön werden können. Aber zu schwer liegt der Duft der gewesenen Triumphe über der Veranstaltung. Bondys aus dem Dunkeln herausmodellierte Elegie verschwindet bald im Rausch der Bilder, mit denen sie kämpft wie kokettiert. Denn er inszeniert hier, als wäre die Zeit seit den späten 1980er-Jahre stehen geblieben - wodurch die Aufführung schnell sehr alt ausschaut. Sie hat einige starke Momente, zwei grandiose Diven und ansonsten die Anmutung eines historisch obskuren, solide aufgeputzten Exponats. Ihr demonstrativ leuchtender Rahmen rückt sie nur noch weiter weg ins Edelkabinett des Theatermuseums

Samstag, den 26. März

noch einmal 68
wieder, die Frauen an die Front
unter sich. Heimspiel. Männer im Hintergrund.
Der Preis ist hoch.
Was haben sie uns fertig gemacht
oder einfach gefehlt , alle.

tagesspiegel


(26.03.2005 )          
Sonny-Girls
Luc Bondy inszeniert Botho Strauß’ „Die eine und die andere“ mit Edith Clever und Jutta Lampe im Berliner Ensemble
Von Peter von Becker


So viele Vorgeschichten. Nie gibt es in der Wirklichkeit die ominöse „Stunde Null“. Nur im Theater oder manchmal in der blitzschlagenden Liebe steht nochmal alles auf Anfang und auf der Kippe: Wenn es auf der Bühne heißt, es werde Licht. Diesmal aber im Berliner Ensemble ist die Vorzeit schier übermächtig, und es beginnt bei keinem imaginären Nullpunkt. Sondern bei über dreieinhalb Jahrzehnten Theatergeschichte und mit einer von vielen Zuschauern nostalgisch, sehnsüchtig oder mindestens gerührt erwarteten Wiederbegegnung.
Edith Clever trifft auf Jutta Lampe. Die Heldinnen der alten Schaubühne, die beiden um den Dichter Torquato Tasso schon 1969 in Peter Steins legendärer Bremer Aufführung wetteifernden Leonoren, sie streiten auch jetzt noch einmal um den einen (oder den anderen) Mann. Das Stück ist von Botho Strauß, der Regisseur heißt Luc Bondy, Bühnenbild Karl-Ernst Herrmann, Dramaturgie Dieter Sturm. Nur Stein selbst fehlt noch, dann hätte Claus Peymann, selber einst an der Schaubühne und 1972 (in Hamburg) Uraufführungsregisseur des ersten Strauß-Stücks „Die Hypochonder“, an seinem Berliner Ensemble jene epochale künstlerische Beziehungskiste wie eine alte, märchenhafte Schatztruhe wieder aufgeschlossen.
Ein schöner Spuk? Für Edith Clever und Jutta Lampe hat Botho Strauß „Die eine und die andere“ geschrieben. Sie waren ja wechselweise auch Protagonistinnen seiner Theatergeschichte(n), von den Berliner „Hypochondern“ im Jahr 1973 über die Triumph-Spiele mit „Groß und klein“, „Kalldewey, Farce“, „Schluss- chor“ oder „Das Gleichgewicht“ – oft verbunden mit dem Namen Luc Bondy. Zwar hat Dieter Dorn, so viel der Vorgeschichte, in München die Uraufführung des neuen Strauß-Stücks inszeniert (Tagesspiegel vom 29. 1. 2005). Kein Schlussduett, denn die grelle, helle Münchner Version mit Cornelia Froboess und Gisela Stein machte umso neugieriger auf Bondys Sicht.
Ein dunkler Gegenentwurf. Nie, nicht einmal wenn von der Sommerhitze des Jahres 2003 die Rede ist, wird es ganz licht auf Karl-Ernst Herrmanns schwarzumspannter, mit farbigen Neonlinien, wenigen Requisiten und bisweilen einer Hängewand mit Rosentapete markierten Bühne. Diese verblichene Blümchenstaffage bildet die Kulisse für Frau Insas heruntergewirtschaftete Fremdenpension auf dem wiedergewonnenen Gut „im Osten“, am bezeichnenden Oder-Bruch. Dort hofft Insa, „die eine“ (Edith Clever), auf eine letzte Umarmung durch den letzten Sommergast; sie trinkt, träumt, döst oder quengelt rum mit ihrer nie ganz abgenabelten Tochter Elaine, einer metaphyselnden Masochistin um die Dreißig (unaufdringlich präsent: Dörte Lyssewski). Beide verbindet ihr Missgeschick mit den Männern, auch mit dem Mann und Vater namens Henrik (in einer Kurzrolle Gerd Kunath), den sich einst Lissie, „die andere“, geschnappt hatte.
Edith Clever, unter graublonden Strähnen und fast ohne Make-up, malt das wunschvolle Unglück in manchmal opernhaft ausgreifenden Gebärden, spielt in dem hohen, gedehnten Ton der Weinseligen und Tränenreichen riskant mit dem Erhabenen und Lächerlichen. Um trockene Sottisen dazwischenzuschießen. Wenn sie ihrer Freundfeindin Lissie alias Jutta Lampe, der Ehebrecherin und Ausspannerin, vorwirft, sie bringe es nie zu einem neuen Modell, sie bekomme immer nur „gebrauchte“ Männer, dann durchzieht Clevers schmaläugiges Wehgesicht plötzlich das Lächeln einer asiatischen Maske. Doch halt!
Diese Lissie, die man jahrelang nicht gesehen hat und der Insa noch immer mit Mordgelüsten oder spöttischen Selbstmordempfehlungen begegnet, sie inszeniert Bondy, sie spielt Jutta Lampe wie fast nicht von dieser Welt. In München war die brillant komödiantische Gisela Stein noch jederzeit der sommerfähnchenbunte Hauch jener „weiblichen Großmacht“, mit der sie Insa vorab beschreibt. Jutta Lampes Lissie aber kehrt hier nicht wieder in Insas oderbrüchige Welt als handfeste femme fatale. Sondern als schwebende Erscheinung aus einem nächtlichen Spinnwebenwald. Sie soll eine frisch gekündigte Architekturkritikerin aus Berlin sein, wohnungs- und mittellos. Daher sucht sie Unterschlupf bei der Gegnerin auf dem Lande.
Von dieser Vorgeschichte zeigt Jutta Lampe allenfalls das Kostüm: mit einem Hosenanzug im berlinisch-kulturbürgerlichen Ganzjahrschwarz. Der Rest ist hier nur eine traumwandlerisch teilnahmslose, elegant melancholische Defensive. Das Lissie-Luder bloß noch Insas Einbildung? Als ihr die andere am Ende dann doch den letzten Spätsommermann weggreift, wirkt die im Text schon fahle Pointe umso künstlicher. In München, bei der Stein, war da noch was im Rollen: das künstlich Sinnliche eine zweite Natur.
Luc Bondy hat seinen Damengipfel so ganz als Elegie des Wiedersehens zelebriert. Auch reife Rosen haben Dornen. Aber vor der Blümchentapete dominiert fast immer Edith Clever. Und Jutta Lampe, wunderlich unberührt, hält sich, wenn sie nicht gerade in einer hübsch essayistischen Museums-Szene über die Vergangenheit der Zukunft philosophiert, mit allem Irdischen zurück. Selbst wenn es noch im Zerbrechen greifbar wäre. Einen Liebes- oder Lebenskrieg zwischen der Einen und der Anderen gibt es hier nicht. Es fehlt, obwohl Strauß einmal eine Art Runden-Ansage macht wie bei einem „Play Strindberg“ oder bei Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, am spielerischen Zweikampf. Im Grunde wären Insa und Lissie die Schwestern des alten Komiker-Kampfpaares Willie Clark und Al Lewis, wären sie die Sonny-Girls, die dämmernden Damen auf dem Liebesboulevard. Das ist im Berliner Ensemble bestenfalls zu ahnen.
Bondys in manchen Details empfindsamer, oft aber auch lähmend lastender Inszenierung fehlt es an Kampfkraft, Reaktionsschnelligkeit – auch an Leichtheit. So gedehnt indes, wirkt das nicht immer tiefgründige oder gar welterhellende Stück selbst zu leicht und durchsichtig. Irgendwie wird das Bondy selbst gemerkt haben; doch statt behutsamer Striche im ganzen, ließ er einfach die Schluss-Szene weg. So sieht man nicht mehr Insa und Lissie „Rücken an Rücken“ – das haben sie anstelle einer frontalen Begegnung ohnehin schon den ganzen Abend gespielt. Sebastian Rudolph als Lissies Sohn Timm hat mit einem Satz über seinen Vater (Insas früheren Mann) das letzte Wort. Er spricht von einer Nimmerwiederkehr. So enden auch Märchen.

Frankfurter Rundschau

ell zweier Großmächte
Edith Clever und Jutta Lampe als "Die eine und die andere" in Luc Bondys Berliner Inszenierung des neuen Stücks von Botho Strauß
VON PETER IDEN

Da sind sie also tatsächlich zusammen auf der Bühne. Weibliche Großmächte der Schauspielkunst beide. Edith Clever als Insa, Jutta Lampe als Lissie. Für sie hat Botho Strauß Die eine und die andere geschrieben, Cornelia Froebess und Gisela Stein hatten das Duo schon vor ihnen gespielt, in Dieter Dorns höchst einlässlicher Münchner Uraufführung des Stücks (siehe "FR" vom 29.1.). Die eine, Insa, beschreibt sich und Lissie, die andere, so: "Zwei Herrscherinnen in ihrem kleinen grenzenlosen Binnenreich. Mit seinen Binnengesetzen. Seinen Binnenlügen. Und Binnenschlachten."
Das bestimmende Gesetz des Frauenpaars um die Sechzig ist das der Zeit. Es ist immer die Zeit, die Geschichte erzeugt - so nun auch in der Inszenierung Luc Bondys am Berliner Ensemble. Es ist die Lebensgeschichte der beiden, die Clever und Lampe jetzt spielen, und zwar als Biographie der Figuren und als die eigene Vita der beiden Schauspielerinnen im Theater: Protagonistinnen waren sie ja schon in Bremen in den späten sechziger Jahren, dann kurz in Zürich und für eine lange Strecke an der Berliner Schaubühne. Es ist schon darum von großem Reiz, wenn sie nun in Berlin von Bondy wieder zusammengeführt werden.
Das Stück vernetzt viele Motive. Strauß durchstreift die Gegenwart und findet Momente, die als Ausdrucksformen der Epoche überraschend vertraut sind: "Niemand passt mehr in ein einzelnes Leben", Gedanke der Flucht von einem zum nächsten und übernächsten. Aber vorgeführt werden auch Funde, die fremd bleiben, rätselhaft - in dem Stück gibt es "Dingmenschen", Leute, die sich für den Inbegriff von Gegenständen halten, eines Nagels, eines Schwamms etwa, und die kreuzigen dann, in der am dichtesten verschlüsselten Szene, eine junge Frau, die eine "Schmerzsüchtige" ist, geleitet von "Luftgeistern". Es ist eine Qualität von Bondys Aufführung, dass sie in dem tiefen, dunklen Phantasie-Raum der von Neon-Lichtleisten eingefassten Bühne Karl-Ernst Herrmanns dem schwer (oder gar nicht) Erklärbaren solcher Passagen gerade nicht ausweicht, dem Stück und dem Theater den Entwurf von Welten zugesteht, die auf den ersten Blick nicht von dieser Welt scheinen.
Den Gegensatz bildet, was konkret und nachvollziehbar erzählt wird. Dazu verengt der Prospekt einer Tapete mit rosa Rosen den Raum, vorne die Sitzgelegenheit eines Sofas. Der Ort ist eine von Insa und ihrer Tochter betriebene, beinahe verwaiste Pension in der Uckermark. Hierhin kommt Lissie, soeben als Architekturkritikerin gekündigt. Sie sucht Zuflucht nicht bei einer Freundin, vielmehr bei einer Rivalin: Zweimal schon hat sie Insa einen Mann abspenstig gemacht und wird das bald ein drittes Mal tun, dann den von Insa für eine letzte Umarmung auserkorenen, letzten Gast der Pension verführen.
Dass die eine Opfer der anderen war (und noch einmal wird), bindet die Frauen aneinander. Diese Nähe, die beide suchen und in der sie (wie Wladimir und Estragon in Becketts Warten auf Godot) am Ende verharren werden, hat aber auch zu tun mit der Einsamkeit: Sie haben die Zeit verbraucht und jetzt verbraucht die Zeit sie. Keine Aussichten mehr.
Und was tut sich nun mit und zwischen den beiden einsamen älteren Damen, Isa und Lissie, also (was szenisch hier im Zentrum steht ) mit und zwischen Edith Clever und Jutta Lampe?
Auf den Grund der Schmerzen
Die Clever ist zuerst da. Schon im Gespräch mit Isas Tochter (der sich nur schwer freispielenden Dörte Lyssewski) macht sie sich die Rolle der doppelt Betrogenen als eine tragische zurecht. Sie will den Ton und den Gestus tiefster Verzweiflung, will auf den Grund der Schmerzen. Kommt Lissie hinzu, steigert sich noch die tragische Erregung, fast ist es, als sähe man aus Klaus Michael Grübers Bacchen an der Schaubühne der siebziger Jahre die Mutter wieder, die im dionysischen Rausch den eigenen Sohn erschlagen hat und, unvergessener Auftritt der Clever, in wahnsinnigem Jammer von dem Kopf des Toten nicht lassen kann.
Das Ausmaß der in die Hysterie reichenden Reaktionen jetzt in der Rolle von Strauß ist verstehbar nur als eine Wirkung der Zeit, die seit dem durch Lissie erlittenen Betrug vergangen ist und die Frau verformt hat: Kein Mann ist das wert, sie selbst hat sich bestimmt als die Verkörperung der Verlassenen (und noch weitergehend: der Vergänglichkeit) schlechthin. Cornelia Froebess hat die Figur in München bodenständiger entwickelt, sie dingfester gemacht, auch Züge einer situativen Komik ermittelt. In Berlin riskiert Edith Clever eine andere Dimension: Hier beklagt ein Mensch auswegloses Menschsein.
Jutta Lampe bezieht ihre Lissie darauf, es ist die einzige Möglichkeit, mit bestechender, beinahe kühler Gefasstheit. Schwarze Hose, schwarzes Blouson-Jäckchen, Sonnenbrille. Bei aller Verunsicherung durch die Situation der gerade gekündigten Journalistin doch ein starker Rest von geschmeidiger Selbstbehauptung, auch des Gefühls erotischer Überlegenheit. Wie nun diese beiden auf dem Sofa mit-und gegeneinander austragen, was geschehen war und was das Geschehene bedeutet für sie in diesem Moment eines unerwarteten Wiedersehens, das ist in vielen Augenblicken ein theatralisches Schauspieler-Ereignis ersten Ranges, durch die Texte von Strauß vorbereitet und von Bondy mit höchster Achtsamkeit für die unterschiedlichen Facetten des Dialogs und die Potenziale der Darsteller instrumentiert. Von Augenblick zu Augenblick wechseln Tonfall und Gesten, zwischen dem keifend Streithaften und erschöpfter Beruhigung, jammervollem Rückblick und momentanem Triumph, jähem Aufbegehren und kleinmütiger Resignation. Jede kennt die Schwachstellen der anderen, die offenen Flanken, die Führung liegt mal bei der einen, dann bei der anderen - es ist ein Kampf , brutal und mit allen Mitteln, und er schließt doch Zärtlichkeiten nicht aus.
Eine Siegerin kann es hier nicht geben. Vom Campingplatz bricht eine Horde ein in die Pension, draußen ist heißer Sommer und die Leute wollen duschen. Nach einem kurzen Zögern lässt Insa sie ein, Bondy zeigt hinter einem Vorhang nur die Beine der Eindringlinge, die da in das Haus und die Geschichte der zwei Frauen schwappen, das Drama wegspülen, das Schicksal von Insa und Lissie - auch nur eines unter vielen. Ende des Duells.
Berliner Ensemble, 29., 30., März, 1., 2. April.


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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 25.03.2005 um 15:52:01 Uhr
Erscheinungsdatum 26.03.2005


24.3.2005
 
Communiqué du Greffier
 
Prononcé public dans trois affaires de Grande Chambre concernant l’Allemagne
 
La Cour européenne des Droits de l’Homme tiendra le mercredi 30 mars 2005 à 10 heures (heure locale) au Palais des Droits de l’Homme à Strasbourg une audience publique pour se prononcer dans les affaires :
 

von Maltzan et autres c. Allemagne (requête no 71916/01),
von Zitzewitz et autres c. Allemagne (no 71917/01) et
Man Ferrostaal et Alfred Töpfer Stiftung c. Allemagne (no 10260/02).
 
Un communiqué de presse sera disponible immédiatement après l’audience sur le site Internet de la Cour (http://www.echr.coe.int).
 
Les requêtes ont été introduites par 68 ressortissants allemands, une ressortissante suédoise et deux personnes morales de droit allemand.
 
Ces affaires portent sur l’une des grandes questions qui se sont posées après la réunification allemande, à savoir les modalités d’indemnisation et de compensation des personnes victimes d’expropriations soit après 1949 en RDA soit, et c’est le cas de la très grande majorité d’entre elles, entre 1945 et 1949, dans l’ancienne zone d’occupation soviétique en Allemagne. Ces modalités d’indemnisation et de compensation sont prévues par la loi du 27 septembre 1994 sur les indemnisations et compensations (Entschädigungs und Ausgleichsleistungsgesetz- EALG).
 
Les requérants personnes physiques dénoncent une atteinte à leur droit de propriété garanti par l’article 1 du Protocole no 1 (protection de la propriété) à la Convention européenne des Droits l’Homme, car le montant des compensations reçues était très largement inférieur à la valeur réelle des biens dont ils avaient été illégalement expropriés. Il considèrent également qu’ils sont victimes d’une discrimination au sens de l’article 14 (interdiction de la discrimination) de la Convention combiné avec l’article 1 du Protocole no 1. Enfin, certains d’entre eux estiment que la durée de la procédure à laquelle ils ont été parties a dépassé le délai raisonnable prévu à l’article 6 § 1 (droit à un procès dans un délai raisonnable) de la Convention.
 
Les requérantes personnes morales soulèvent les mêmes griefs, étant précisé que d’après la loi sur les indemnisations et expropriations de 1994, elles ne disposent ni d’un droit à restitution de leurs biens ni d’un droit à compensation.
 
***
 
Greffe de la Cour européenne des Droits de l’Homme
F – 67075 Strasbourg Cedex
Contacts pour la presse :    Roderick Liddell (téléphone : +00 33 (0)3 88 41 24 92)
                                             Emma Hellyer (téléphone : +00 33 (0)3 90 21 42 15)
                                             Stéphanie Klein (téléphone : +00 33 (0)3 88 41 21 54)
Télécopieur : +00 33 (0)3 88 41 27 91
 
La Cour européenne des Droits de l’Homme a été créée à Strasbourg par les Etats membres du Conseil de l’Europe en 1959 pour connaître des allégations de violation de la Convention européenne des Droits de l’Homme de 1950. Elle se compose d’un nombre de juges égal à celui des Etats parties à la Convention. Siégeant à temps plein depuis le 1er novembre 1998, elle examine en chambres de 7 juges ou, exceptionnellement, en une Grande Chambre de 17 juges, la recevabilité et le fond des requêtes qui lui sont soumises. L’exécution de ses arrêts est surveillée par le Comité des Ministres du Conseil de l’Europe.Freitag den 25.März

Morgenpost
Samstag, 26. März 2005Zickengipfel de luxe
Das BE aalt sich in Vergnügen: Jutta Lampe und Edith Clever als "Die eine und die andere"
Von Peter Hans Göpfert
Insa Breydenbach und Lissie Kelch, die beiden unzertrennlich miteinander verfeindeten Mütter, sind "um die 60" - genau wie ihr Autor Botho Strauß, der diese Frauen im Oderbruch erneut zusammenführt. Insa betreibt dort seit der Wende eine Pension, der inzwischen leider die Stammgäste ausbleiben. Nur ein gewisser Marc Pulczynski wird in diesem heißen Sommer 2003, wie in den zurückliegenden elf Jahren, erwartet. Und die ehemalige Feministin Insa, die sich in peinvoller Vereinsamung nach der definitiven Umarmung sehnt, ist fest entschlossen, daß "es" diesmal passieren soll.

Da aber kreuzt Lissie auf, die eben gefeuerte Architekturkritikerin. Schon zweimal war sie in Insas Leben "die andere". Sie hat ihr einst ihren Mann Henrik weggeschnappt. Sie ist ihre Lebensfeindin. Keinen, hält ihr die damals Verlassene vor, habe Lissie lieben können, der nicht einer anderen gehörte: "Orgasmus nur bei Ehebruch". Selbstverständlich wird Lissie ihr auch diesmal wieder zuvorkommen.
Botho Strauß schreibt eine Komödie über das Altwerden, das Alleinsein, über "kindische Begierdewehwehchen". Damit aber das Lachen nicht am Boulevard haltmacht, ist "Die eine und die andere" mit diversen traumwandlerischen, mythologisch parfümierten und künstlich anmutenden Capriccios angereichert. Hierin spielen Timm und Elaine, beide Ende 20, die Hauptrollen. Denn Insa wie Lissie haben von dem zweifach untreu gewordenen Henrik (der übrigens gesprächsweise viel gegenwärtiger ist als schließlich auf der Bühne) jeweils ein Kind.
Die Aufführung am Berliner Ensemble scheint ganz auf das Strauß-Erlebnis Bekannte Gesichter - beglückende Gefühle zugeschnitten. Luc Bondy, der Strauß-Experte, inszeniert. Und zwei ebenfalls Strauß-erfahrene Königinnen der alten Schaubühne entfalten hier ein weiteres Mal das Wunder schauspielerischer Zweisamkeit. Nie sahen wir den kunstvollen Manierismus von Edith Clever so gelöst wie hier: Mit archaischer Kraft gibt sie dieser verzweifelten Frau durchdringenden Klang; aber als herrliche Komödiantin fährt sie voll lustvoller Häme mit der Rivalin Schlitten. Die Aggressionen flammen, ihre mütterliche Fürsorge funkt prachtvolle Selbstherrlichkeit. Man meint, die Lottekotte aus "Groß und klein" habe es aus Agadir direkt an die Oder verschlagen. Das Publikum aalt sich in Vergnügen.
Ganz anders Jutta Lampe. Mit deutlich sprechenden und nachdenklichen Blicken schätzt Lissie die eifernde Insa auf dem Sofa ab. Auch sie ist eine Verzweifelte, aber sie läßt sich nicht gehen, sie hält ihre Rührung, ihre Bewegtheit in kluger Reserve. Und führt die ungeduldige Insa schließlich in ein Zukunftsmuseum, in dem die Fundstücke der Gegenwart allerdings ziemlich banal aussehen.
Keine Schlammschlacht hassender Furien. Gerade die verbindende Unvergleichlichkeit macht ihre Spannungen so interessant. Bondy verzichtet dann auch konsequent darauf, zum Schluß die zwei ewig aneinander gebundene Feindinnen "Rücken an Rücken" festzunageln. Hier steht die nur flüchtige Begegnung Timms mit seinem verloren gegangenen Vater am Ende. Sie läßt den Abend etwas ins Leere laufen, hat aber dramaturgischen Sinn. Die Kinder der beiden Frauen sind zufällig aneinander geraten. Sie sind sich, liebend und meidend, so nah, so fern wie ein Eislaufpaar. Dörte Lyssewski spielt Insas Rätselkind, das mit Luftgeistern in Verbindung steht. Und sie gibt das verdruckst widerspenstige Tochterwesen, wenn sie im Bannkreis der Mutter gefangen ist, die sich die eigenen Krampfadern als Zornesfalten an die Stirn wünschte. Sebastian Rudolph als Lissies Sohn setzt so viel nervöser Reizung die Ruhe des staunenden Jungen entgegen, der die Nähe zum abwesenden Vater sucht.
Karl-Ernst Herrmann skizziert das brandenburgische Gefilde mit wenigen Andeutungen, leichter, irrealer als vom Autor notiert, mit einer Reihe Windgeneratoren, ein paar Baken, abstrakten und filigranen Gebilden aus Licht und Metall. Bondy inszeniert darin mit leichter Hand. Er gibt seinen wunderbaren Darstellerinnen weiten Raum für komische Entfaltung. Auch die von Strauß mit Mythos, Allegorien, hintersinniger Bedeutung und Selbstzitaten unterpolsterten Szenen wirken hier apart. Aber das Zeitgeist-Design des Autors läßt kalt. Um so lustvoller die Schadenfreude, wenn sich Frust und Wut der Damen entladen. Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Tel.: 28 40 81 55. Termine: 29., 30. 3., 1., 2., 14. 4.
Die eine und die andere Großer Schauspielerinnen-Spaß.

Der Einzige, der nicht mitmachte,
als sie die Kultur des Ostens
und Landes opferten

ftd.de, Do, 24.3.2005, 13:05
Wähler wollen Wulff als CDU-Kanzlerkandidaten
Jeder dritte Bundesbürger bevorzugt nach einer Umfrage Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff als nächsten Kanzlerkandidaten der Union. Besonders die älteren Bürger mögen ihn. Kommt bei älteren Wählern gut an: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff
Bei einer am Donnerstag vorab veröffentlichten Umfrage des Instituts TNS Infratest im Auftrag des Hamburger Magazins "Der Spiegel" sahen 34 Prozent der Befragten Wulff vorne. Am meisten Zustimmung erreichte der 45-jährige Wulff bei den über 60-Jährigen, und zwar 46 Prozent.
Insgesamt 22 Prozent halten CDU-Chefin Angela Merkel für die geeignetste Herausforderin von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber kam auf 17 Prozent. Nur 10 Prozent trauen Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch eine erfolgreiche Kandidatur zu. Befragt wurden laut "Spiegel" 1000 Personen vom 21. bis 23. März.
Zu einem vergleichbaren Ergebnis war bereits eine Anfang Februar veröffentlichte repräsentative Befragung von Führungskräften der Wirtschaft im Auftrag des "Handelsblatt" gekommen: 38 Prozent hielten Wulff für den besten Kandidaten, 22 Prozent votierten für Merkel.
Wulff selbst hat allerdings seine Kandidatur wiederholt ausgeschlossen und sich für Merkel als nächste Herausforderin Schröders ausgesprochen. Auch Schröder selbst hatte am Montag in der N-TV-Sendung "Maischberger" gesagt, dass er mit Merkel als Gegenkandidatin rechne. Offiziell entschieden werden soll diese Frage von den Unionsspitzen voraussichtlich im Herbst.
Rot-Grün verliert weiter in der Wählergunst
Hat derzeit wenig zu lachen: Bundeskanzler Gerhard Schröder
Der negative Trend für die rot-grüne Koalition in Umfragen verfestigt sich. Nach einer von der ARD am Donnerstag veröffentlichen Umfrage des infratest-dimap-Instituts verlor die SPD gegenüber der vorangegangenen Erhebung einen Prozentpunkt auf 30 Prozent. Auch die Grünen sanken von zehn auf neun Prozent.
Dagegen konnte die Union um einen Prozentpunkt auf 44 Prozent zulegen. Zusammen mit der FDP, die sich ebenfalls um einen Prozentpunkt auf sieben Prozent verbesserte, verfügt die Union über die absolute Mehrheit bei der klassischen Sonntagsfrage "Wen würden sie kommendes Wochenende wählen?". Auch in anderen Umfragen lag ein konservativ-liberales Bündnis zuletzt zum Teil deutlich vor der rot-grünen Koalition.
Reform des Stabilitätspaktes kommt schlecht an
Überwiegend schlechte Noten erhält die Bundesregierung auch für die von ihr maßgeblich mit initiierten Reform des Stabilitätspakts der Europäischen Union. Von den Befragten halten es 41 Prozent für negativ, dass der Pakt gelockert wurde, nur 27 Prozent bewerten dies positiv. Die Reform des Paktes vergrößert den Spielraum bei der Einhaltung der Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Gegenzug werden die EU-Staaten zum Sparen in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs aufgefordert.
Die Zukunft der Bundesregierung bewertete eine knappe Mehrheit der Befragten skeptisch. 47 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass das Kabinett von Schröder dieses Jahr nicht überstehen wird. 45 Prozent teilen diese Auffassung nicht.© 2005 Financial Times Deutschland , © Illustration:  AP
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