Berlin. (dpa) Es war kein Untergang, aber ein Triumph sieht anders aus: Mit
seiner "Parsifal"-Inszenierung hat Operndebütant Bernd Eichinger
in Berlin heftige Ablehnung einstecken müssen.
Der Regisseur und Filmproduzent ("Der Untergang") ertrug am Samstagabend
stoisch die Buhrufe vieler Premierenzuschauer an der Staatsoper Unter den
Linden. Demonstrativ holte Chefdirigent und Publikumsliebling Daniel Barenboim
den Regisseur vor den Vorhang und übte den Schulterschluss mit dem angegriffenen
Kollegen.
Für seinen ersten Ausflug in die Opernwelt hatte sich Eichinger einiges vorgenommen. Das "Bühnenweihfestspiel" ist Richard Wagners wohl sperrigste Oper. Mit seiner Geschichte um die Gralsritter, den leidenden Gralskönig Amfortas und den "edlen Tor" Parsifal, der ihn von seinem Schmerz erlösen soll, zimmerte sich Wagner eine Privatreligion mit vielen Bezügen zu Kulturgeschichte und Theologie zusammen.
Kinomann Eichinger setzt bei seiner Produktion auf bewegte Bilder. Während im Orchestergraben Barenboims Staatskapelle zum satten Wagner-Klang anhebt, laufen die ersten Filmschnipsel: Wie im Planetarium funkeln die Sterne, die blaue Erde kreist am Firmament. Im Graben wummern Trompeten und Posaunen, auf der Leinwand sieht es aus wie in Stanley Kubricks Kultfilm "Odyssee im Weltraum". Als sich der Vorhang hebt, kommt ein dunkler, germanischer Wald zum Vorschein (Bühnenbild: Jens Kilian).
Doch bald schiebt sich eine Flut von Feuerfontänen und Explosionen, Stürmen und Erdbeben vor die Szene. Es sind Bilder von untergehenden Zivilisationen, einstürzenden Hochbauten und Palästen. Zu jedem Seelenzustand zeigt Eichinger Videos und degradiert Wagners Musik zum Soundtrack.
Mit einer Kamerafahrt durch einen Tunnel bebildert Eichinger Wagners metaphysischen Schlüsselsatz "Zum Raum wird hier die Zeit". Eichinger lässt Wagners Musik nicht auf das Bühnengeschehen überspringen. Die stimmlich fabelhaften Darsteller müssen gegen eine Bilderflut ansingen. Am besten gelingt das René Pape als Gurnemanz und Hanno Müller-Brachmann als Amfortas. Doch auch Jochen Schmeckenbecher (Klingsor) und Michaela Schuster erweisen sich als Idealbesetzung.
Am Ende landen Gurnemanz und Kundry als Obdachlose im Central Park. Es schneit und glückliche Familien spazieren vor New Yorks Stadtbild. Die einst so stolzen Gralsritter lungern als Rocker und Punks auf einer Tribüne.
20.03.2005 Von Esteban
Engel
Mar del Plata (dpa) - Sein Film "Der Untergang" feiert weiter Erfolge,
seine erste Oper erntet dagegen Buhrufe: Bernd Eichinger steht zwischen Triumph
und Flop. Für das Drehbuch von "Der Untergang" wurde er zum
Abschluss des Filmfestivals im argentinischen Mar del Plata mit dem Silbernen
Astor ausgezeichnet. Das Regiedebüt Eichingers an der Oper ging am Abend
in Berlin in einem Buhkonzert unter. Mit heftigen Reaktionen quittierte ein
Großteil des Premierenpublikums seine Inszenierung von Wagners "Parsifal".
dpa/online vom 20.03.2005
04:47
Kino-Special: Eichingers
Erfolgsfilm "Der Untergang" (http://navigate.aolsvc.de/redirect/goto.jsp?brand=aolnet&cli=celebrity/WSNews&url=/index.jsp?sg=Film_special_Untergang)
"Der Untergang"-Star Lara: Romantisch, lustig, sexy
Viele Prominente waren zu Eichingers erstem Ausflug in die Opernwelt nach Berlin gekommen. Zu ihnen zählte der Bayreuther-Festspielchef Wolfgang Wagner, Ehefrau Gudrun und Tochter Katharina. Nur wenige Meter entfernt hatte der Regisseur Christoph Schlingensief Platz genommen, dessen skandalträchtige Bayreuther "Parsifal"-Produktion im vergangenen Jahr zu einem Zerwürfnis mit Festspielleiter Wagner geführt hatte. Beide hielten sich nach der viereinhalbstündigen Premiere mit ihrer Meinung zur Eichinger-Inszenierung zurück. "Ich muss noch zehn Tage darüber nachdenken", sagte Wagner.
Zu den bekannten Gesichtern aus der Film- und Fernsehbranche zählten Schauspielerinnen wie Iris Berben, Corinna Harfouch, Katja Flint, Nina Hoss und der Star aus "Der Untergang", Alexandra Maria Lara. Auch Regisseur Tom Tykwer, TV-Produzent Fred Kogel und der Schauspieler Jan Josef Liefers waren in die Staatsoper gekommen.
Gralsritter als New Yorker Rocker-Gang
Eichinger, dessen Hitler-Film "Der Untergang" für einen Oscar nominiert wurde, bei der Vergabe aber leer ausging, lässt das "Bühnenweihfestspiel" um Parsifal und die Gralsritter vor dem Hintergrund untergehender Zivilisationen über mehrere Jahrhunderte spielen. Von der Ritterzeit erstreckt sich die Geschichte um den heiligen Speer, der den siechen Königsnachfolger Amfortas von seinem Leid erlösen soll, bis zur Gegenwart. Die einst stolzen Gralsritter entwickeln sich bei Eichinger zu einer aggressiven Rocker-Gang in New Yorks Hinterhöfen. Für seine Geschichte setzt Eichinger unzählige Filmprojektionen und Lichteffekte ein.
Der Berliner "Parsifal" ist mit Sängern wie René Pape (Gurnemanz), Hanno Müller-Brachmann (Amfortas), Burkhard Fritz (Parsifal), Michaela Schuster (Kundry) und Jochen Schmeckenbecher (Klingsor) hochkarätig besetzt. Die Premiere war Auftakt der Festtage der Staatsoper, zu denen bis zum 28. März auch mehrere Konzerte der Staatskapelle Berlin und des Chicago Symphony Orchestra zählen. (md/dpa)
"Parsifal" als Soundtrack
Mit Buh-Rufen ist am Samstagabend in der Berliner Staatsoper unter den Linden
die Premiere von Wagners "Parsifal" in der Regie von Bernd Eichinger
geendet. Bereits während der Aufführung gab es im Publikum lautstarken
Protest gegen die Inszenierung des Filmregisseurs und -produzenten.
Mit Hilfe von Videoprojektionen verwandelte Eichinger die Bühne zeitweise in eine Kinoleinwand - und ließ die Musik in den Hintergrund treten. Zwischen Wagners Musik und dem von Eichinger inszenierten Bühnengeschehen entstand eine Kluft, die der Regisseur nicht zu schließen vermochte.
Wagners "Bühnenweihfestspiel" endet in New York: Gurnemanz (René Pape) und Kundry (Michaela Schuster) lungern als Obdachlose im Central Park herum. Die Gralsritter sind zu Baseballschläger schwingenden Rockern und Punks geworden, die sich vor einer Tribüne hinfläzen.
Das war dem Berliner Publikum offensichtlich zuviel. Begeisterten Applaus erhielten dagegen Barenboim, die Staatskapelle sowie Sänger und Chor.
(N24.de, Netzeitung)
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Parsifal-Aufführung in Berlin (Foto: AP)
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An der Berliner Staatsoper unter den Linden hat am Samstagabend Wagners "Parsifal"
in der Regie von Bernd Eichinger Premiere gehabt. Am Dirigentenpult stand
Daniel Barenboim. Es handelt sich um die erste Opernarbeit des Filmproduzenten
("Der Untergang", "Der Name der Rose").
Unter den Gästen waren der Bayreuther Festspielchef Wolfgang Wagner und der Regisseur Christoph Schlingensief, der mit seiner "Parsifal"-Inszenierung auf dem Grünen Hügel im vergangenen Jahr einen Skandal provoziert hatte.
Eingeladen waren auch die Schauspielerinnen Iris Berben, Katja Flint, Corinna Harfouch, Sunnyi Melles sowie der Regisseur Tom Tykwer.
Eichinger hat das "Bühnenweihfestspiel" als Rittermärchen interpretiert, das sich vor dem Hintergrund einer untergehenden Zivilisation abspielt. Bei seiner Inszenierung setzt er starke Lichteffekte und Filmprojektionen ein.
Die Sängerbesetzung war hochkarätig: René Pape gab Gurnemanz, während Hanno Müller-Brachmann als Amfortas), Burkhard Fritz als Parsifal und Michaela Schuster als Kundry zu erleben waren.
Mit dem "Parsifal" haben die Festtage an der Staatsoper begonnen. Unter anderem wird der Dirigent und Komponist Pierre Boulez, der am 26. März seinen 80. Geburtstag feiert, mit der Staatskapelle Berlin und dem Chicago Symphony Orchestra auftreten.
(N24.de, Netzeitung)
Mit der Unbedarftheit des Dilettanten inszeniert Bernd Eichinger den Parsifal an der Berliner Staatsoper
Von Christine Lemke-Matwey
Die Szene ist erwartungsgemäß? hollywoodreif. Im Hintergrund: die Ruinen eines antiken Tempels, die Akropolis vielleicht oder Paestum. Davor, mit breit gepanzerten Brüsten: der Chor, das wackre Heer der Hellebardenträger. In deren Mitte wiederum: eine Art Nero oder Cäsar, irren, schmerzverzerrten Blicks, stöhnend, wimmernd, barmend auf seinem Löwenthron und sich alsbald den Lorbeerkranz vom kahlen Kopfe reißend. Amfortas, der Gralskönig, aha. Dessen Vater aber, Titurel, seinerseits ein rechter Bilderbuch-Römer, kennt keine Gnade: Enthüllet den Gral! Also greift sich der Sohn, dieses Inbild des Jammers, krampfend, röchelnd, hyperventilierend, in die linke Brusttasche und zieht ein glibbrig-rotes triefendes Etwas hervor: sein Herz. 750 Gramm frische Rinderleber, schätzungsweise. Nehmet hin mein Blut,/ nehmet hin meinen Leib, singen unterdessen die Knaben aus der Höhe. Richard Wagner, den Mythenverdreher aber das haben wir mit Nietzsche und Bernd Eichinger ja schon immer gewusst , graust es vor gar nix.
Zum Thema
Zitty-Findmaschine:
Termine, Online-Tickets und Infos zum Stück (http://www.zitty.de/event/index.asp?subpage=3&EVID=668)
Als die Innerei schließlich auf einem Opferstock landet und in mundgerechte
Portionen zerteilt wird, richtet sich sogar Christoph Schlingensiefs sorgsam
gegelter Wuschelkopf im ersten Rang links der Berliner Staatsoper etwas auf:
Sushi mal anders und für alle? Kannibalismus, igittigitt, im Bühnenweihfestspiel?
Das christliche Abendmahl beim Wort genommen und all seiner heidnischen Ekligkeit
überführt? Doch Schlingensief konnte sich getrost wieder zurücklehnen:
Sein Parsifal bei den letztjährigen Bayreuther Festspielen,
diese momentweise genialisch gestapelte Weltgerümpelsallegorie zwischen
namibischen Robben und verwesenden Hasen, sie hatte unser aller Erlösungsnotdurft
doch weit mehr ins Mark getroffen. Eichinger und sein Bühnenbildner Jens
Kilian hingegen spielen im Parsifal bloß Memory, haken ab,
was die Menschheitsgeschichte an Zeitreise, an tapetentauglichen Fotofolgen
zwischen Höhlenmalerei und modernen Naturkatastrophen so hergibt. Kaum
jedenfalls haben sich die Hellebardenträger die Mäuler am Fleisch
ihres Herrn blutig gerieben, da verschwinden sie auch schon hinter dem nächsten
Prospekt. Kundry, die Urteufelin, die Höllenrose,
die einst Christus am Kreuz verlachte, in schwarzen Affenfellzotteln vor der
Skyline von Frankfurt, New York, Shanghai. Und Blackout. So geht das mehr
oder weniger den ganzen Abend. Hm.
Was Eichinger uns damit sagen will? Vielleicht, ganz philosophisch, dass er weiß, dass er nichts weiß und nichts versteht, weder von Wagnermusik noch von Theaterregie. Entsprechend bescheiden, also ölgötzengleich, stehen sich die Sänger auf einem ein Meter zwanzig breiten Rampenstreifen viereinhalb Stunden lang die Beine in den Bauch. Und Opas Oper feiert genüssliche Urständ (vgl. dazu auch die Kritik zu Doris Dörries Münchner Rigoletto im Tagesspiegel vom 23. Februar). Im Gegensatz zu seiner Kollegin Dörrie aber verzichtet Eichinger auf alle Mogelpackungskünste, alles poppige zu aktualisieren. Und vielleicht, hoch gegriffen, will er uns auf diese Weise ja zu verstehen geben, dass die Zeit der Interpretationen vorbei ist. Wo Leute vom Fach wie Wieland Wagner, Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny im Angesicht des Parsifal noch Weltpakete schnürten und mit roten Backen nach verborgenen Botschaften buddelten, da gibt sich der Kinomensch Eichinger schlicht naiv.
Man kann das ehrlich nennen oder feige oder dumm. In jedem Fall führt dieser andere, vermeintlich unbescholtene und freie, ja gleichsam erlösende Blick, der Blick des Dilettanten nämlich und das ist eine sich wiederholende Beobachtung zum Thema Filmemacher in der Oper , schnurstracks dorthin zurück, wo die Opernregie vor gut einem halben Jahrhundert begonnen hat, ihr sprichwörtliches Bärenfell abzuschütteln. Das wiederum interessiert alle selbsternannten Opern-Piraten herzlich wenig. Die Welt, sagt Eichinger, und das scheint für das Musiktheater ebenso zu gelten wie fürs Kino, für den Untergang wie für Richard Wagner, sie bedeutet nichts, sondern sie ist. Weg also mit dem rezeptionsgeschichtlichen Müll und Schmus! Back to the facts! Es lebe das Authentische, das Wortwörtliche! Zum Flachbildschirm, jawoll, wird hier die Zeit.
Dies wäre ja nun nichts anderes als ein Konzept ein Konzept aus Konzeptverweigerung. Immerhin. Allein die Umsetzung fällt derart erbärmlich und unfreiwillig lächerlich aus, die handwerkliche Hilflosigkeit schreit dermaßen zum Himmel respektive zum Schnürboden, dass man sich fragt, wie die Dramaturgie des Hauses (für die Peter Mussbach und seine Chefdramaturgin Regula Rapp gemeinsam verantwortlich zeichnen!) diese Aufführung als Festtage-Eröffnungspremiere überhaupt haben durchgehen lassen können. Da wird gleich zu Beginn ein toter Schwan hereingeschleppt, der der ältesten Requisitenmottenkiste des Grünen Hügel entwendet worden sein muss, da starrt Klingsor vor Kundrys großer Verführungsszene im zweiten Akt ungläubig auf ein leeres Hundehalsband (He! Kundry! ... Wie? Schon am Werk?), und da knubbelt sich die finale Gralsgesellschaft in schönster irokesenfrisierter Rockermanier, als hätten Götz Friedrich und Harry Kupfer selig sie ersonnen. Dazwischen, dahinter, dadrüber, dadrunter: Projektionen, Projektionen (Fettfilm). Das Universum als solches. Blubberndes Magma (rot), Wasserspiele (blau). Eine Zeche im Schattenriss, oho, als Parsifal mit Kundrys Kuss erkennt. Kamerafahrten durch die menschliche Speiseröhre. Eine Blumenwiese im Negativ. Und so.
Das Publikum quittierte diese Ohrfeige ins Gesicht einer jeden halbwegs aufgeklärten Wagner-Pflege mit wütenden Saalschlachten. Bravi von der verdutzten Film-Gemeinde (von Tom Tykwer bis zur fest schlummernden Alexandra Maria Lara, von Oskar Röhler bis Sunnyi Melles), Buhs vom Rest. Fast hätte einem Bernd Eichinger schon wieder Leid tun können, zeigte er sich doch erstmals öffentlich ohne Turnschuhe und konnte er doch eigentlich nichts dafür. Denn was hatte man sich erwartet?
Die Sänger jedenfalls genossen ihr uneingeschränktes Rampendasein und sangen auf hohem Niveau: René Pape einen mühelos textverständlichen, sehr sonoren, leicht künstelnden Gurnemanz, Hanno Müller-Brachmann einen arg lyrischen, jeden Vokal mit Bitternis aufpumpenden Amfortas, Jochen Schmeckenbecher einen markigen Klingsor, Burkhard Fritz einen beherzten, erstaunlich konditionsstarken, leider sehr unvorteilhaft kostümierten Parsifal, Michaela Schuster eine ziemlich erotische, auch letzte dramatische Höhenkräfte sicherlich noch gewinnende Kundry und Christof Fischesser einen rollengerecht ungerührten Titurel.
Daniel Barenboim indes
fand mit der Staatskapelle erst im dritten Akt zu sich, schwelgte erst hier
karfreitagszaubrisch zwischen Bach und Mahler, niemals zu laut, auch nie
trotz getragener Tempi zu langsam, die ganze Fülle des chromatischen
Wohllauts verströmend. Seine eklatante Ideenlosigkeit in den ersten beiden
Akten aber wirft böse Fragen auf. Als hätte der Generalmusikdirektor
hier nicht nur mit der Akustik zu kämpfen gehabt, die dem programmatischen
Mischklang der Parsifal-Partitur notgedrungen zuwider läuft,
sondern als wäre er im Blick nach oben regelrecht erschrocken: vor diesem
Etikettenschwindel, vor seiner eigenen Verantwortungslosigkeit. Das wiederum
lässt hoffen.