http://www.jf-archiv.de/archiv01/201yy34.htm
Der Hass eines Heimatlosen llja Ehrenburgs pathologisches Verhältnis
zu Deutschland
Doris Neujahr
Kein anderer russischer Name – von Stalin abgesehen – löst
bei den Deutschen der Kriegsgeneration einen vergleichbaren Schrecken aus
wie der des Schriftstellers Ilja Ehrenburgs. Zeitzeugen und Geschichtsschreibung
sind sich einig, dass seine Flugblätter und Artikel von der Sorte: "Töte!
Die Deutschen sind keine Menschen!", die regelmäßig in der
Parteizeitung Prawda (Wahrheit) und der Frontzeitung Krasnaja Swesda (Roter
Stern) erschienen, die Exzesse der Roten Armee in Ostdeutschland wesentlich
mit vorbereitet und ausgelöst haben. Der englische Moskau-Korrespondent
Alexander Werth bescheinigte ihm "ein geradezu geniales Talent, den
Hass gegen die Deutschen zu schüren". Die Ausschreitungen der Rotarmisten
waren, wie der Historiker Alfred de Zayas schreibt, nur zum Teil "ein
Ausbruch der Rache für die Greuel, die SS und Einsatzgruppen in der
Sowjetunion begangen hatten". Die Soldaten waren von Ehrenburg und anderen
dazu präpariert worden.
Da erscheint es völlig unerheblich, ob Ehrenburg jenes berüchtigte
Flugblatt vom Herbst 1944, das dazu aufrief, den "Rassehochmut der germanischen
Frauen" zu brechen und sie als "rechtmäßige Beute" zu
nehmen, tatsächlich verfasst hat. Er hat die Urheberschaft stets bestritten,
und das Original ist bis heute nicht aufgetaucht. Schließlich hat die
Rote Armee sich, auch unter dem Einfluss seiner jahrelangen Propaganda, bei
ihrem Vormarsch im Reich genauso verhalten, wie es die Hetzschrift forderte.
Sie stellt nur einen Extrakt aus den vorangegangenen Pamphleten dar, so dass
Ehrenburg zumindest in einem höheren Sinne ihr tatsächlicher Autor
ist.
Ehrenburg hat später selber Unbehagen über sein Wirken zu erkennen
gegeben, und zwar nicht erst in der Autobiographie "Menschen Jahre Leben" (1960/65).
Bertolt Brecht notierte am 25. Mai 1950 über ein Abendessen mit Ehrenburg
und Anna Seghers: "aber dann erzählt Ehrenburg (...), wie in ein
deutsches Dorf als Leiter ein jüdischer Sowjetoffizier gekommen sei,
dessen ganze Familie ausgerottet worden war. e(hrenburg) traf den Offizier
an, wie er den arm um ein kleines deutsches Mädchen hatte, das elternlos
aufgegriffen worden war. dies, und dass er Sorge getragen habe, dass das
Kind zu Bett gebracht wurde, fand e(hrenburg), wie er berichtete, noch nicht
allzu besonders, jedoch habe er die Tränen nicht zurückhalten können,
als der Offizier nach einer Weile aufgesprungen sei und gefragt habe, ob
man auch einen Nachttopf für das Kind beschafft habe."
Man muss kein Experte für Tiefenpsychologie sein, um zu sehen, dass
Ehrenburg hier ein nachträgliches Wunschbild seiner selbst gezeichnet
hatte. Seine Tränen galten der unüberbrückbaren Kluft zwischen
dem Selbstideal auf der einen und der Wirklichkeit und seinem ramponierten
Ruf auf der anderen Seite.
Anna Seghers unternahm es 1961, Ehrenburg anlässlich seines 70. Geburtstages
in seinem Sinne zu rehabilitieren: "Weil er im Innersten sanft und gut
ist, Bücher, Bilder, Lieder und kleine Kinder liebt, hasst er, was das
Junge und Schöne bedroht. (...) Er schrieb hart und scharf, so sehr
er die Menschen liebte, weil er die Menschen liebte, damit die Barbarei ein
Ende nehme. Viele wissen noch, dass die Soldaten der Roten Armee aus den
Zeitungsblättern, auf denen seine Artikeln standen, keine Zigaretten
drehten."
In ihrem Lobgesang schlug Anna Seghers, wie so oft, den Ton der Märchentante
an, die überredet, statt zu analysieren. Zweitens zitiert sie einen
Topos aus den chiliastischen Geschichtsdeutungen, welche die barbarische,
apokalyptische Phase als notwendige Vorstufe des Guten und Schönen beschreiben.
In dieser Perspektive werden noch die Henker zu den eigentlichen Opfern,
weil sie sich uneigennützig als Werkzeuge jener blutigen Notwendigkeiten
zur Verfügung stellen, durch die die Menschheit erlöst wird. Vor
allem aber vermeidet es Seghers, auf die konkreten Vorwürfe an Ehrenburg überhaupt
einzugehen.
1962, in der Auseinandersetzung um die deutsche Ausgabe von Ehrenburgs Autobiographie,
mokierte Marcel Reich-Ranicki sich über die "Heuchelei" und "Schamlosigkeit" der
Debatte. "Es waren Hasserfüllte Artikel", schrieb er mit Blick
auf Ehrenburgs Fronttätigkeit. "Wen kann das wundern?" Seine
rhetorische Frage ging freilich am Kern der Sache vorbei. Man kann einen
Gegner hassen und, zumal im Krieg, töten. Etwas anderes ist es, ihm
seine menschlichen Attribute zu bestreiten. Genau das aber hatte Ehrenburg
getan, was Ernst Nolte veranlasste, seine Aufrufe als "eine Entsprechung
zur biologischen Vernichtungsintention Hitlers" zu bezeichnen.
Ehrenburg hatte zwischen 1908 und 1940 vorwiegend in Westeuropa gelebt, auch
in Deutschland, wo er seine größten literarischen Erfolge errang.
Vor allem in Berlin fühlte er sich wohl: "In Berlin bin ich kein
Exote, kein ’Kosak, der zufällig lesen kann und sogar Romane schreibt‘,
sondern ein Zeitgenosse, ein Mensch der gleichen Zeitheimat, der gleichen
Generation, gezwungen, nach dem Großen Krieg zu leben. Das taten die
Bücher, die soliden, gebundenen Bücher – sie hoben die Grenzen
auf", notierte er 1927. Keine Spur also von Nationalismus, von Klassen-
oder Rassenhass. Ein Marxist im dogmatischen Sinne ist er ohnehin nicht gewesen,
erst recht kein Stalinist. Als er Ende 1937 aus dem Spanienkrieg in die Sowjetunion
reiste, entzog man ihm den Pass, lastete mehrere Monate lang der schwere
Schatten des Terrors auf ihm und stand er Höllenängste aus. Illusionen über
die Verheißungen des "Sowjetstaates" konnte er schwerlich
haben.
Die Ausstellung "Ilja Ehrenburg und die Deutschen", die 1997 im
Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst stattfand, erklärte seine
antideutschen Ausbrüche mit dem "totalen Zivilisationsbruch, dessen
Zeuge er wurde". Natürlich ist es richtig, dass Ehrenburg entsetzt
war über die Greuel an der Ostfront, zumal gegenüber den Juden.
Die primitiven, gewalttätigen Ausformungen seines Hasses sind damit
jedoch nicht erklärt. Dieser Hass hat etwas Selbstzerstörerisches,
weil er seine vielfältigen Erfahrungen mit Deutschland und den Deutschen
total negierte und auslöschte. Um ihn zu erhellen, muss man näher
auf seine Biographie und sein Werk eingehen.
Geboren wurde Ilja Ehrenburg 1891 in Kiew als Sohn einer jüdischen Unternehmerfamilie,
die bald nach Moskau übersiedelte. Hier war er früh auf Seiten
der Bolschewiki politisch tätig, wurde aus dem Gymnasium geworfen und
fünf Monate inhaftiert. Ende 1908 ging er ins Exil nach Paris, wo er
erste schriftstellerische Versuche unternahm. 1917 eilte er ins revolutionäre
Russland zurück, das er aber 1921 wieder Richtung Westen verließ.
In seiner Biographie finden sich all die Lebensstationen, die für linke
Intellektuelle Osteuropas in dieser Zeit typisch sind: Der Bruch des Bürgersohnes
mit seiner Herkunft, das Exil, eine in der jüdischen Herkunft wurzelnde
Prädestination für den Sozialismus, der den Antisemitismus aufzuheben
versprach. Seine baldige Rückkehr in den Westen zeigt zugleich, dass
es dem Individualisten unmöglich war, sich in autoritäre Strukturen
eines Staates oder einer ideologischen Bewegung einzufügen.
Ein Grundthema seiner zahlreichen Bücher ist die Mechanisierung des
Lebens, der ökonomische Zweckrationalismus. Auch Berlin war ihm letztlich
zu "amerikanisch", weshalb er Paris vorzog. Seine Bücher zeigen
seine ungewöhnliche Fabulierkunst, die er jedoch kaum zu bändigen
verstand. Erst nach der französischen Kapitulation 1940 kehrte er in
die Sowjetunion zurück, zwangsweise und tief geschockt vom Hitler-Stalin-Pakt.
Wegen dieses Paktes konnte auch sein NS-kritisches Buch "Der Fall von
Paris" (1940) zunächst nicht erscheinen. Doch am 24. April 1941
teilte Stalin ihm telefonisch mit, dass er die ersten beiden Teile des Manuskripts
gelesen habe und auf die Fortsetzung gespannt sei. Als Ehrenburg ihm seine
Schwierigkeiten mit der Zensur des antifaschistischen Vokabulars wegen erläuterte,
tröstete ihn Stalin: "Schreiben Sie nur, wir beide werden den dritten
Teil schon durchbringen." Ehrenburg verstand die Botschaft. "Es
gibt bald Krieg" , sagte er danach zu Frau und Tochter.
Wenn man sich die persönliche, politische und intellektuelle Entwicklung
Ehrenburgs, seine unstete Existenz, vergegenwärtigt, dann ist es unmöglich,
die folgenden Sätze aus seinem Entwicklungsroman "Julio Jurenito" (1921)
lediglich als Äußerung einer literarischen Figur abzutun: "(...)
das Töten ist eine unangenehme Notwendigkeit. Eine sehr schmutzige Beschäftigung
ohne Begeisterung und ohne Freude. (...) Ob man zum Wohle der Menschheit
einen verrückten Greis oder zehn Millionen Menschen tötet, ist
nur quantitativ verschieden. Aber töten muss man, sonst werden alle
das dumme, sinnlose Leben fortsetzen usw."
In diesen Sätzen mischt sich der mörderische Tonfall der Revolutionäre
von Saint Just bis Lenin mit dem Erlösungspathos elitärer Expressionisten.
Aus ihnen sprach auch der ganze abstrakte Fanatismus des heimatlosen Intellektuellen
Ilja Ehrenburg. Mit dem Kriegsbeginn vom 22. Juni 1941 konnte dieser Fanatismus
sich auf ein konkretes, physisches Ziel richten. Endlich wurde der Heimatlose
vorbehaltlos, inklusive seines sonst so suspekten Individualismus, in eine
Gemeinschaft aufgenommen. Dieser Gemeinschaft wollte er sich Tag für
Tag neu vergewissern – durch verdoppelten Fanatismus.
Der Literaturwissenschaftler Jürgen Rühle hatte Mitte der fünfziger
Jahre eine noch weitergehende Deutung Ehrenburgs geliefert: Danach haben
sich in seinen Tiraden außer der bitteren Enttäuschung über
Deutschland sein Leiden an und der Hass gegen Stalin, die er verdrängen
musste, um zu überleben, einen Ausweg gesucht. "Wer weiß,
ob der große Provokateur nicht mit der physischen Zerstörung der
feindlichen Nation die moralische Zerstörung der eigenen erreichen wollte?
In der Psychoanalyse nennt man das Phänomen Projektion."
Für Stalin war Ehrenburg ein nützlicher Idiot, den er nach getaner
Drecksarbeit fallen ließ. Unter der Überschrift "Genosse
Ehrenburg vereinfacht" warf ihm die Prawda am 14. April 1945 vor, Abarten
des Faschismus und Rassenhasses zu propagieren. Jetzt empfahl Stalin sich
auf Kosten seines Handlangers als künftigen Freund der Deutschen.
Neuere Forschungen haben weitere Hintergründe dieses Artikels erhellt.
Danach war Ehrenburg von einer Fahrt nach Ostpreußen ernüchtert
worden. Am 21. März 1945 beklagte er vor 150 leitenden Kadern der sowjetischen
Militärakademie in Frunse, dass die Kultur der russischen Truppen in
Ostpreußen sehr niedrig sei und die Rotarmisten Willkür, Zerstörungen
und Plündereien ausübten. Der sowjetische Abwehrchef Abakumov berichtete
an Stalin: "Außerdem sagte Ehrenburg: ’Die von Zwangsarbeit
(Herv. i. Orig.) zurückkehrenden Russen sehen gut aus. Die Mädchen
sind wohlgenährt und schön angezogen. Für die Soldaten sind
unsere Artikel in der Presse über die versklavte Stellung der nach Deutschland
verschleppten Personen nicht überzeugend.‘" Abakumov empfahl,
Maßnahmen gegen Ehrenburgs "feindliche Tätigkeit" einzuleiten.
Zu diesen Maßnahmen gehörte die Prawda- Veröffentlichung.
Zum Schluss des Weltuntergangsoratoriums "Dr. Fausti Weheklag",
das Thomas Mann am Ende seines Faustus-Romans als metaphorische Höllenfahrt
seines überdrehten Künstler-Helden entwirft, ertönt ein hohes "g" als
Chiffre der Gnade. Ein solches "g" mag auch in der zitierten Denunziation
Ehrenburgs liegen. Ob es ihm seine Höllenfahrt erspart hat, muss offen
bleiben
Zum Thema
Stefan Karner: Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in
der Sowjetunion 1941-1956, Wien-München 1995 Rezensiert
für H-Soz-u-Kult von:
Pavel Polian,
Researcher at the Institute of Geography of the Russian Academy of Sciences,
Moscow, and a Professor of the Stavropol State University; currently a scientific
employee of the Cologne NS- Documentation Center in Cologne, Germany
Pavel Polian: Forced Migrations of Ethnic Germans from Eastern Europe to
the USSR and Their Repatriation
Author: Pavel Polian (Russian Academy of Sciences Moscow)
Commentator: Marina Niznik (Tel Aviv University)
presented at: Expulsion - Emigration - Repatriation: German Diasporas Since
1945
(Friday, May 21, 16.30 - 18.00)