LITERATUR
Susan Sontag ist tot
Sie gehörte zu den einflussreichsten Intellektuellen der USA und zu den
hartnäckigsten Kritikern der Bush-Regierung. Ihr Themenspektrum reichte
von Politik über Ethik und Gesundheit bis zu Fotografie und Literatur.
Jetzt ist die Schriftstellerin Susan Sontag im Alter von 71 Jahren einem Krebsleiden
erlegen.
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DDP
Susan SontagNew York - Das Sloan-Kettering Cancer Center, in dem Sontag behandelt
wurde, gab den Tod heute bekannt.
Sontag galt als moralisches Gewissen Amerikas. Im vergangenen Jahr erhielt
sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Nachricht von der Auszeichnung
hatte sie damals kalt erwischt. Sie habe die Liste der bisherigen Preisträger
gesehen und gedacht: "Du musst tot sein. Wenn Du den Preis gekriegt hast,
danach ist Schluss", erzählte sie vor einem Jahr auf der Frankfurter
Buchmesse. Die größten Männer und Frauen des Jahrhunderts hätten
diesen Preis gekriegt, "und so sehe ich mich nicht", sagte sie damals.
Susan Sontag wurde 1933 als Kind einer gutbürgerlichen jüdischen
Familie in New York City geboren. Die Eltern lebten zeitweise in China, wo
der Vater einen Pelzhandel betrieb. Susan blieb mit ihrer jüngeren Schwester
bei Verwandten in New York. Nach dem frühen Tod des Vaters - er starb,
als Susan sechs Jahre alt war - heiratete die Mutter ein zweites Mal und zog
mit ihrem Mann zunächst nach Tucson in Arizona und später nach Los
Angeles.
Sontag hatte schon als Kind Interesse an Literatur. Dazu trug auch eine persönliche
Begegnung mit Thomas Mann bei: Im Alter von 14 Jahren war sie bei den Manns
zum Tee eingeladen. Später studierte sie Philosophie und Literaturwissenschaften
an den Universitäten von Berkeley und Chicago. Ihre Promotion schloss
sie 1954/1955 an der Harvard-University ab. Später verbrachte sie auch
ein Jahr zu Studienzwecken in Paris. Bereits damals war ihr Interesse an europäischer
Kultur sehr groß. Sie selbst bezeichnete sich als "europhil",
in der intellektuellen Szene Amerikas galt sie bis zuletzt als Brückenbauerin
zwischen dem alten und dem neuen Kontinent.
Sontag lebte lange Zeit in ihrem Penthouse im New Yorker Stadtteil Chelsea
mit der amerikanischen Starfotografin Annie Leibowitz zusammen. Zuletzt lebte
sie mehrere Monate des Jahres in Europa, oft in Frankreich oder Spanien, manchmal
aber auch in Deutschland. "Ich nenne mich gerne die weltgrößte
Germanistin, die kein Deutsch spricht", sagte sie im vergangenen Jahr.
Und sie fügte hinzu: "Die meisten Schriftsteller, denen ich nahe
stehe, sind keine Amerikaner."
Erfolg vor allem mit Essays
Ihren ersten Roman veröffentlichte Sontag, die in den sechziger Jahren
lange Zeit als Hochschullehrerin arbeitete, 1963. "The Benefactor" ("Der
Wohltäter") handelt von einem Dandy, der sich zwischen Traumwelt
und Wirklichkeit treiben lässt. Aber sehr viel mehr Aufmerksamkeit als
mit ihrem literarischen Schaffen erntete sie mit ihren Essays - das blieb übrigens
bis zuletzt so. In ihren Artikeln beschäftigte sich Sontag mit allen aktuellen
Fragen von Kunst und Literatur. Sie schrieb über Happenings und postabstrakte
Malerei, über Hiroschima und Vietnam, über Pornografie und das prämenstruelle
Syndrom - und machte solche Sujets damals in der Kulturszene hoffähig.
In vielen ihrer Werke beschäftigte sich die Mutter eines 1952 geborenen
Sohnes mit höchst kontroversen Themen. 1968 reiste Sontag für zwei
Wochen nach Vietnam und schrieb anschließend den Bericht "Trip to
Hanoi" ("Reise nach Hanoi"). Nach ihrer Brustkrebsoperation
1975 verarbeitete sie ihre Ängste und Gefühle in dem Essay "Illness
as Metaphor" ("Krankheit als Metapher"). Nach Verhängung
des Kriegsrechts in Polen 1982 setzte sie öffentlich Kommunismus mit Faschismus
gleich, was ihr viel Kritik linker Intellektueller einbrachte. Während
des Krieges in Bosnien-Herzegowina reiste sie zwei Mal für längere
Zeit nach Sarajevo und inszenierte dort im Theater der Jugend die bosnische
Erstaufführung von Samuel Becketts "Warten auf Godot".
Ihr 1992 veröffentlichter Roman "Liebhaber des Vulkans" war
zwar kommerziell erfolgreich, stieß aber auf wenig Zustimmung der Literaturkritiker.
Ganz anders war es dann bei dem Werk "In America". Für die Geschichte
einer polnischen Schauspielerin, die in die USA auswanderte und dort Starruhm
erlangte, erhielt Sontag 2000 den renommierten Literaturpreis National Book
Award.
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 kritisierte sie heftig
die Reaktion der Regierung in Washington. "Die US-Regierung sah den 11.
September als Möglichkeit, die Spielregeln zu ändern", bekräftigte
sie voriges Jahr in Frankfurt ihre Kritik. "Radikale haben die Macht übernommen."