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  23.02.2004
Auratisches Toastbrot und Kunst vom Fließband
Warhol, Dalí und Kopien: Der Kunstmarkt ist verzweifelt darum bemüht, einen authentischen Werkbegriff zu retten  Es gibt viele schöne Warhol-Legenden, und eine davon geht so: Irgendwann in den frühen Achtzigern, bei einem Dinner mit Andy, wirft ein Gast die Frage auf, wie man denn einen Original-Siebdruck von einer Fälschung unterscheiden könne. Warhol greift sich eine Scheibe Toast aus dem Brotkorb, kritzelt etwas drauf und wirft’s dem Fragenden quer über den Tisch zu: hier hast du ein Original. Großes Gelächter allerseits. Die Lacher waren natürlich berechtigt, die Frage allerdings auch. Sie beschäftigt die Kunstwelt seit dem Tod Warhols 1987, und heute mehr denn je. Im Düsseldorfer museum kunst palast ist gerade eine große Schau zum Spätwerk eröffnet worden, und noch bis Ende des Monats sind im Frankfurter Museum Moderner Kunst fünfzehn jener über 600 Time Capsules zu sehen – Archivkisten, die Warhol monatlich mit dem Treibgut seines Künstlerlebens füllte. Währenddessen schwelt der Streit der Sammler mit den Nachlassverwaltern, die seit einigen Monaten zum Sturm auf die „unauthentischen“ Versionen der Siebdrucke geblasen haben. Dem englischen Filmproduzenten Joe Simon bescheinigte das Warhol Authentication Board etwa, sein zuvor zweimal offiziell beglaubigtes, für 195 000 Dollar teuer erstandenes Selbstporträt sei kein von Warhol bearbeitetes oder auch nur autorisiertes Werk und daher wertlos. „Bis heute“, schäumt Simon, „weigern sie sich, mir eine Begründung der Entscheidung mitzuteilen.“
Wer sich in Frankfurt über die in Vitrinen ausgebreiteten Stücke beugt – von Clark Gables Schuhen bis zu jenem Zeitungsartikel, aus dem Warhol das Bild der trauernden Jackie Kennedy ausgeschnitten hatte – wird dies vielleicht mit den fiebrig glühenden Augen eines Archivars tun, der verloren geglaubte Faksimiles entdeckt. Sie bergen Unmengen von Hinweisen zur Entstehung berühmter Arbeiten. Aber irgendwann schiebt sich auch hier unweigerlich die Frage ins Bewusstsein: Sind das nun Fußnoten zum Werk – oder selbst Kunstwerke?
Warhol betrieb die Inflationierung aktiv und parodistisch, und bekanntlich soll ja auch der späte Dalí – freudiger Unterzeichner wenn nicht labbriger Brotscheiben, so doch leerer Blätter – keineswegs unbeteiligt gewesen sein an dem Ärger mit den unzähligen Fälschungen seiner Graphiken, die ab den mittleren Achtzigern auftauchten. Im Passauer Museum Moderner Kunst, wo noch bis 14. März das druckgraphische Werk Dalís gezeigt wird, ist man auf der sicheren Seite, indem man Einzelblätter meidet und sich auf die großen geschlossenen Zyklen konzentriert. So lässt sich gerade noch in den vertrauten Begriffen von Meister und Werk zurecht finden. Aber spätestens durch die Schau „Dalí. Cultura de Masses“ in Barcelona (bis 23.Mai, Caixa Forum) wird klar, mit welchem Nachdruck der Meister selbst an der Dalinisierung der Medienwirklichkeit arbeitete.
Mitsubishi, Dalì, Honda
Dass er in den Siebzigern Werbung für japanische Autos macht, ist treffend: Denn er selbst läuft ja zu dieser Zeit längst vom Fließband. Und so ist die Frage nach der Authentizität der Werke irgendwie bigott. Sakral tritt sie auf mit dem alten Schöpferbegriff – wer ist der wahre und einzige Urheber? – und dabei geht es ganz profan um verteuernde Verknappung am Kunstmarkt.
Die Time Capsules werden ab 3. Oktober im Andy Warhol Museum Pittsburgh zu sehen sein, dort wo die Gralshüter des Nachlasses sitzen. Auf der Website des Andy Warhol Art Authentication Board heißt es in unnachahmlicher Mischung aus Juristenprosa und erzbischöflichem Edikt: „Es ist ein Verfahren eingeführt worden zur Authentifizierung von Werken, die Andy Warhol zugeschrieben werden“. So wie im Mittelalter reger Handel mit Heiligenreliquien, mit allerlei gefälschten Tüchlein und Hühnerknochen geführt wurde, bedarf es also auch hier der Stimme göttlicher Färbung, um der Scharlatanerie Einhalt zu gebieten.
Wie aber sieht das „Verfahren“ aus? Die Kriterien sind bislang – oh Mysterium – unklar geblieben. Man beruft sich am Wallfahrtsort, wie könnte es anders sein, auf die allein selig machende Auslegung der überlieferten Schriften. In punkto Time Capsules etwa auf eine Tagebuchnotiz, die Warhol kurz vor seinem Tod seiner Evangelistin Pat Hackett diktierte: „hab ein paar Zeitkapsel-Kisten ins Office gebracht . . . Eines Tages werde ich sie für 4000 oder 5000 Dollar verkaufen. Ich dachte mal 100 Dollar, aber das ist jetzt mein neuer Preis.“ Na wenn da nicht Wasser zu Wein wird. Das ist also doch der tiefere Sinn der „Transfiguration des Gewöhnlichen“, wie es Arthur C. Danto, inspiriert von Warhols Brillo Boxes – den Siebdruckrepliken des marktführenden Topfreinigers –, nannte: Die wundersame Verwandlung geschieht durch die Angabe einer Preisvorstellung.
Dass die jetzige Verwirrung um Kopie und Original dem Katholiken Warhol zu Lebzeiten sicher ein pastorales Lächeln entlockt hätte, macht sie religionsgeschichtlich, pardon, kunsthistorisch nicht weniger bemerkenswert. Der große Prophet heißt hier natürlich Duchamp. Wenn das schlagende Werbeargument für die große MoMa-Schau in der Neuen Nationalgalerie Berlin ist, dass man endlich die großen Meisterwerke im Original zu sehen bekomme, so ist das in einem Fall zumindest problematisch: das Duchampsche Bicycle Wheel von 1913 ist nämlich die dritte Version von 1951. Es könnte nicht anders sein: als Duchamp sich 1915 nach New York einschiffte, ließ er das erste Exemplar in Paris zurück, wo es wohl im Müll landete; und auch die in New York angefertigte zweite Version von 1916 verschwand auf Nimmerwiedersehen. Duchamp selbst brauchte wohl eine Weile, um zu begreifen, was das „Readymade“ wirklich für das auratische Kunstobjekt bedeutete. Es hieß nämlich paradoxerweise nicht, das Kunstwerk als handelbares Einzelstück einfach abzuschaffen: sondern im Gegenteil den Authentifizierungs- und Auratisierungsprozess extrem auf die Spitze zu treiben. Das ist die Pointe des Readymade: vor die Benjaminsche Wahl zwischen auratischem Einzelwerk und technischer Reproduzierbarkeit gestellt, wird ganz einfach der Kurzschluss geschaltet.
Piero Manzoni ließ 1961 neunzig Dosen mit „Merda d’artista“ anfertigen – ihr Preis war ihr Gewicht in Gold. Yves Klein tauscht im Jahr darauf eine „immaterielle Zone anschaulicher Sensibilität“ gegen Goldbarren, die er sogleich in die Seine wirft, bevor der Käufer feierlich seine Quittung verbrennen musste (anders als der Zahnarzt, den Duchamp mit dem auf die „Teeth Loan & Trust Company“ ausgestellten Scheck entlohnte). Luis Camnitzer verkauft Ende der Sechziger seine Unterschrift zentimeterweise (darf’s a bisserl mehr sein?). Und Elaine Sturtevant überbietet sie alle mit der exakten Kopie der Kopie: sie bat bereits Mitte der Sechziger Warhol um dessen Siebdruckfolien, um damit Replikas seiner „Blumenbilder“ zu machen, die ja selbst wiederum auf einer Kodak-Werbung basierten. Warhol willigte selbstverständlich ein (Sturtevant wird im Herbst mit einer großen Schau ebenfalls im MMK Frankfurt gewürdigt).
Time Capsules als Zeitbomben
Sturtevant fertigte 1974 übrigens auch ihre eigene Version des zehn Jahre älteren Fettstuhls von Joseph Beuys. Man hätte sie jüngst vielleicht als Gutachterin heranziehen sollen im Düsseldorfer Prozess um dessen „Straßenbahnhaltestelle“ von 1976. Dort war Ausschlag gebend für die Abweisung der Urheber-Klage seiner Schülerin Beatrix Sassen, dass Beuys deren angeeignete Tonkopf-Arbeit „entscheidend modifiziert“ habe. Das ist im Sinne künstlerischer Appropriation ein sehr ängstliches Urteil. Man sieht sie vor sich, Duchamp, Warhol & Co., wie sie aus dem Künstlerhimmel grinsend herabschauen auf dieses Treiben der Händler, Sammler und Juristen: verzweifelt bemüht, das provozierende Spiel mit dem Markt wieder in die alten Begriffe von Schöpfer und Werk zu zwingen. Warhols 600 Zeitkapseln, von denen bisher nur ein Bruchteil ausgewertet ist, wirken da wie eine posthume Wunderwaffe: sie sind Zeitbomben für den traditionellen Werkbegriff.