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INTERVIEW MIT THILO BODE
" Die Agrarwende ist gescheitert"
Mit vielen schönen Bildern von Zuchtbullen und süßen Ferkelchen will die Grüne Woche in Berlin die Verbraucher von einer gesunden Landwirtschaft überzeugen. Über eine "Wirtschaft im Schatten" und die Schwierigkeiten seiner neu gegründeten Verbraucherorganisation Foodwatch sprach SPIEGEL ONLINE mit Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode.
Peter Schinzler
Fordert "Demokratie auf dem Teller": Thilo BodeSPIEGEL ONLINE: Herr Bode, warum ist Foodwatch nicht eine Sektion der Umweltschutzorganisation Greenpeace geworden?
Thilo Bode: Die Ziele zwischen Umweltschutzverbänden und uns sind nicht widerspruchsfrei. Ein Umweltverband würde beispielsweise fordern, dass Paprika frei von Pestiziden sein muss. Wir als Verbraucherorganisation sagen, die Pestizidbelastung muss draufstehen. Als Verbraucherorganisation müssen wir auch die ökologische Landwirtschaft kritisch unter die Lupe nehmen. Umweltverbände halten sich da zurück. Darüber hinaus haben die meisten unserer Themen wenig mit Ökologie zu tun. Etwa: wie sieht echte Käufertransparenz im Supermarkt aus?
Thilo Bode, 57, war Manager, Chef von Greenpeace Deutschland und später Geschäftsführer der internationalen Dachorganisation der Umweltschutzorganisation. Seit November 2002 ist er Geschäftsführer der von ihm gegründeten Verbraucherorganisation Foodwatch mit der er sich nun um Weizen anstatt um Wale kümmert.
SPIEGEL ONLINE: Aber was ist die Existenzberechtigung von Foodwatch?
Bode: Anhand unseres Essens lassen sich exemplarisch Demokratiedefizite und negative Auswirkungen der Globalisierung zeigen. Warum passieren immer wieder Futtermittelskandale? Weil ins Futter noch immer alles kommt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Futtermittel sind zur globalen Abfalldeponie verkommen. Siehe BSE. Alle Welt regt sich auf, aber es nicht im Bewusstsein, dass man dagegen etwas machen muss. Wir setzen uns für "Demokratie auf dem Teller" ein.
SPIEGEL ONLINE: Wird es spektakuläre Aktionen wie bei Greenpeace geben?
 
IN SPIEGEL ONLINE
·  Internationale Grüne Woche: Wo bitte geht's zum Genfood? (21.01.2004)Bode: Wenn Paprikas belastet sind, können wir uns nicht irgendwo anketten oder von Hubschraubern abseilen. Das muss ja in Relation stehen. Den Begriff spektakulär, wie ihn die Medien so gerne haben, halte ich ohnehin für ein Unwort. Es gibt nur gute oder schlechte Aktionen. Wenn Sie heute auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking ein Banner hochhalten, auf dem steht "Demokratie für China", dann ist das im Sinne akrobatischer Artistik keine spektakuläre Aktion, aber eine, die bei den Menschen ankommt. Nicht die technischen Hilfsmittel oder die Zirkusakrobatik sind wichtig, sondern die hohe Kunst in einem bestimmten Moment die Herzen und die Seelen der Menschen zu erreichen.
SPIEGEL ONLINE: Werden wir von Foodwatch Boykottaufrufe hören?
Bode: Erstmal ist das verboten. Und wenn man sich doch dazu entschließt, dann muss das auch sitzen. Nichts ist schlimmer als ein Boykott, den niemand befolgt.
SPIEGEL ONLINE: Was dann?
DPA
Verbraucherschutz 'light': Grünen-Politikerin KünastBode: Zuerst müssen wir uns den Grundlagen unseres Anliegens widmen. Es gibt einen schönen Spruch: "Eine Lösung für ein Problem, das keiner kennt, macht keinen Sinn". In den ersten zehn Jahren hat sich Greenpeace wesentlich darum gekümmert, Bewusstsein für die Probleme zu schaffen. Die Umsetzung von Lösungen in internationale Konventionen kam erst 15 Jahre später.
SPIEGEL ONLINE: Arbeitet Renate Künast in die richtige Richtung?
Bode: Trotz positiver Ansätze wie das Biosiegel hat die grüne Verbraucherpolitik unsere Erwartungen nicht erfüllt. Die grüne Politik fördert, aber fordert nicht. Die Verbraucherschutzministerin hat sich auf eine "Verbraucherpolitik light" festgelegt: kochen auf der Grünen Woche, streicheln von Öko-Ferkel, sich um die übergewichtigen Kinder kümmern. Doch vor der Agrarlobby und der Nahrungsmittelindustrie geht sie in die Knie. Das so wichtige Verbraucherinformationsgesetz ist beispielsweise vom Tisch. Auch ist das Verbraucherministerium nicht aus größerer Einsicht entstanden, sondern weil die Kühe wahnsinnig wurden.
SPIEGEL ONLINE: Zählen Sie Künast zu den Gegnern von Foodwatch?
DPA
" Wir helfen ihr die Schlachten zu schlagen": Künast auf der Grünen WocheBode: Sie mag uns als ihren Gegner empfinden, aber wir helfen ihr die Schlachten zu schlagen, vor denen sie sich drückt. Wir veröffentlichen beispielsweise die Acrylamidbelastung von Produkten und erreichen damit ein Absinken der Acrylamidgehalte, während das Verbraucherministerium sich mit der Industrie nicht anlegen will.
SPIEGEL ONLINE: Hat sie denn Erfolge vorzuweisen?
Bode: Bei der grünen Gentechnologie kämpft sie bisher vorbildlich für Wahlfreiheit der Verbraucher. Doch ob sie Erfolg haben wird, hängt davon ab, ob sie das Reinheitsgebot beim Saatgut in Brüssel auch tatsächlich durchsetzen kann. Leider ist die groß angekündigte Agrarwende hin zur ökologischen Landwirtschaft gescheitert. Noch immer sind 96 Prozent der Landwirtschaft konventionell. Den Anteil von 20 Prozent für den ökologischen Landbau mit der bisherigen Politik im Jahre 2010 zu erreichen ist völlig unrealistisch.
SPIEGEL ONLINE: Wie dann?
DPA
Schweinemast: Auch die externen Kosten des Schnitzels berechnenBode: Das kann nur gehen, wenn der konventionellen Landwirtschaft etwas zugemutet und diese dem Verursacherprinzip unterworfen wird. Dann erst verringert sich die Preisdifferenz zwischen Öko- und herkömmlichen Produkten. Zudem müssen die Qualitätsunterschiede zwischen den Produktarten für die Verbraucher deutlich gemacht werden, erst dann werden die Verbraucher den Mehrwert der Öko Produkte erkennen. Mit einer Studie über die wahren Kosten eines Schnitzels gehen wir derzeit der Frage nach, warum konventionelle Nahrungsmittel billiger als ökologische sind. Wir vermuten, dass nicht die ökologischen Nahrungsmittel zu teuer sind. Vielmehr sind die konventionellen zu billig, weil die tatsächlichen Kosten nicht in den Preis eingehen.
SPIEGEL ONLINE: Was sind das für externe Kosten?
Bode: Zum Beispiel die Gülle bei Massentierhaltung, die das Trinkwasser verschmutzt und die Algen in der Nordsee zum Blühen bringt. Dafür müssen Hersteller und Produzenten nichts zahlen.
Foto: GMS
Ferienbauernhof: Romantische VerklärungSPIEGEL ONLINE: Und der Verbraucher verhält sich nur nach einfachen Marktprinzipien.
Bode: Der Verbraucher reagiert in diesem Falle auf Preissignale, die nicht die wahren Kosten widerspiegeln. Also muss die Politik für Kostenwahrheit sorgen, nämlich die konventionellen Landwirte für Umweltschäden zu Kasse bitten, anstatt sie noch mit Subventionen zu belohnen. Renate Künast macht es sich zu einfach, wenn sie fordert, die Kinder müssten aufgeklärt werden oder der Verbraucher müsse sich ethisch-moralisch verhalten. Immer wenn Politiker nicht politisch eingreifen wollen, sagen sie: Es liegt an der Erziehung.
SPIEGEL ONLINE: Wie ein Anhänger der Grünen klingen Sie wahrlich nicht.
Bode: Das kann auch nicht Aufgabe einer unabhängigen Verbraucherorganisation sein. Wir müssen der Politik auf die Finger schauen. Man kann zu viel kriegen, wenn man sieht, wie die Agrarlobby bei uns und in Europa auf Kosten der Allgemeinheit ihre Politik durchsetzt. Das fängt im deutschen Parlament an. Die Mehrheit der Mitglieder des Verbraucherausschusses vertritt Interessen der Landwirtschaft. Anachronistisch ist überhaupt, dass eine Interessengruppe wie die Landwirte ein eigenes Ministerium hat. Warum haben wir eigentlich keinen Autominister und kein Chemieministerium?
SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie dann das Thema ins Bewusstsein rücken?
DDP
Putenzüchtung: Das Problem liegt im SystemBode: Leicht wird das nicht. Beispiel Futtermittel: wir essen ja keine Futtermittel, sondern das Schwein, das damit gemästet wurde. Wir müssen also zeigen, welche Interessen hinter der Futtermittelpolitik stecken. Die rechtlichen Möglichkeiten, Futtermittelskandale wirklich zu verhindern sind äußerst begrenzt und müssen verbessert werden. Derzeit muss praktisch erst nachgewiesen werden, dass der Endverbraucher durch verseuchte Futtermittel umgebracht wurde, bevor Schuldige angemessen bestraft werden können. Dabei ist es eben nicht die kriminelle Energie, die etwa bei BSE immer wieder als Begründung herhalten muss, warum es Testschlampereien gegeben hat. Die Probleme sind im System angelegt. Denn wenn es Kriminelle sind, warum werden die dann nicht auch dementsprechend strafrechtlich verfolgt? Auch müssen wir klarmachen, dass der normale landwirtschaftliche Betrieb eben nicht der "Erlebnisbauernhof" ist, den uns eine romantisch verklärte Werbung vorgaukelt. In den meisten Fällen sind es Fabriken, in denen die Tiere entsetzlich gequält werden.
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen, die auf der Verpackung gezeigte Bäuerin Hilde mit glücklichen Kühen, Schweinen und Hühnern gibt es nicht?
Bode:: Diese Bäuerin Hilde würde ich auch gerne mal kennen lernen. Die landwirtschaftliche Wirklichkeit dürfen die Verbraucher nicht sehen. Versuchen Sie doch mal, sich einen Betrieb mit Massentierhaltung anzuschauen. Diese Rechte haben wir nicht. Und das soll Transparenz sein? In einer Putenmast stehen die Tiere so eng zusammen, dass sie nicht umfallen können. Sie können nicht mehr stehen, weil ihnen nicht so viel Brustfleisch angezüchtet worden ist.
SPIEGEL ONLINE: Was tun?
Bode: Neben der Pute in der Fleischtheke muss ein Bild des Tieres hängen, das zeigt, wie es gelebt hat. Ich glaube nicht, dass noch jemand dieses Fleisch kaufen würde.
Das Interview führte Lars Langenau


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23. Januar 2004 
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