"Du hast doch keine Furcht vor dem Meere, mein stummes Kind!" sagte er, als sie auf dem prächtigen Schiffe standen, das ihn in des
Nachbarkönigs Land führen sollte. Und er erzählte ihr von Sturm und Windstille, von seltsamen Fischen in der Tiefe, und was der Taucher dort gesehen hatte. Sie lächelte bei seiner Erzählung, sie wusste ja besser als nur
irgend ein Mensch im Meere bescheid. In der mondklaren Nacht, als alle schliefen außer dem Steuermann, der am Ruder saß, saß sie an der Brüstung des Schiffes und starrte durch das klare Wasser hinab, und sie
vermeinte, ihres Vaters Schloß zu sehen. Oben darauf stand ihre alte Großmutter mit der Silberkrone auf dem Haupte und starrte durch die wilde Strömung zu des Schiffes Kiel hinauf. Da kamen ihre Schwestern über das
Wasser empor, und sie schauten sie traurig an und rangen ihre weißen Hände. Sie winkte ihnen zu, lächelte und wollte erzählen, dass sie glücklich sei und es ihr gut gehe, aber der Schiffsjunge näherte sich ihr, und die
Schwestern tauchten hinab, so dass er glaubte, das Weiße, das er gesehen, sei Meeresschaum. Am nächsten Morgen fuhr das Schiff in den Hafen bei des Nachbarkönigs prächtiger Stadt ein. Alle Kirchenglocken erklangen,
und von den hohen Türmen wurden die Posaunen geblasen, während die Soldaten mit wehenden Fahnen und blinkenden Bajonetten dastanden. Jeder Tag brachte ein neues Fest. Bälle und Gesellschaften folgten einander, aber die
Prinzessin war nicht da. Sie war weit entfernt von hier in einem heiligen Tempel erzogen worden, sagte man. Dort lehre man sie alle königlichen Tugenden. Endlich traf sie ein. Die kleine Seejungfer stand begierig,
ihre Schönheit zu sehen, und sie musste anerkennen, eine lieblichere Erscheinung hatte sie nie gesehen. Die Haut war so fein und zart, und hinter den langen schwarzen Wimpern lächelte ein Paar dunkelblauer, treuer
Augen. "Du bist es!" sagte der Prinz, "Du, die mich rettete, als ich wie tot an der Küste lag!" und er schloß die errötende Braut in seine Arme. "Oh, ich bin allzu glücklich!" sagte er
zu der kleinen Seejungfer. "Das allerhöchste, auf was ich nie zu hoffen wagte, ist mir in Erfüllung gegangen. Du wirst dich mit mir über mein Glück freuen, denn du meinst es von allen am besten mit mir!" Und
die kleine Seejungfer küßte seine Hand, und sie fühlte fast ihr Herz brechen. Sein Hochzeitsmorgen sollte ihr ja den Tod bringen und sie zu Meeresschaum verwandeln. Alle Kirchenglocken läuteten, Herolde ritten in den
Straßen umher und verkündeten die Verlobung. Auf allen Altaren brannten duftende Öle in kostbaren Silberlampen. Die Priester schwangen die Räucherfässer, und Braut und Bräutigam reichten einander die Hand und nahmen den
Segen des Bischofs entgegen. Die kleine Seejungfer stand in Gold und Seide gekleidet und hielt die Schleppe der Braut, aber ihre Ohren hörten nichts von der festlichen Musik, ihre Augen sahen nicht die heilige
Zeremonie. Sie dachte an ihre Todesnacht und an alles, was sie in dieser Welt verlor. Noch am selben Abend gingen Braut und Bräutigam an Bord des Schiffes. Die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten, und inmitten des
Schiffes war ein königliches Zelt aus Gold und Purpur mit herrlichen Kissen errichtet. Dort sollte das Brautpaar in der kühlen, stillen Nacht schlafen. Die Segel bauschten sich im Winde, und das Schiff glitt leicht
und ohne große Bewegung über die klare See. Als es dunkelte, wurden bunte Lampen entzündet, und die Seeleute tanzten lustige Tänze auf dem Deck. Die kleine Seejungfer musste des ersten Abends gedenken, da sie aus dem
Meere auftauchte und dieselbe Pracht und Freude mit angesehen hatte. Und sie wirbelte mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird, und alle jubelten ihr Bewunderung zu, denn noch nie hatte
sie so wundersam getanzt; es schnitt wie mit scharfen Messern in ihre zarten Füße, aber sie fühlte es nicht, denn weit mehr schmerzte ihr Herz. Sie wusste, an diesem Abend sah sie ihn zum letzten Male, ihn, um dessen
willen sie die Heimat verlassen hatte, für den sie ihre herrliche Stimme hingegeben hatte, und für den sie täglich unendliche Qualen erlitten hatte, ohne dass er es auch nur ahnte. Es war die letzte Nacht, dass sie
dieselbe Luft mit ihm atmete, das tiefe Meer und den blauen Sternenhimmel erblickte. Ewige Nacht ohne Gedanken und Träume wartete ihrer, die eine Seele nicht hatte und sie nimmermehr gewinnen konnte. Und ringsum war
Lust und Fröhlichkeit auf dem Schiffe bis weit über Mitternacht hinaus. Sie lächelte und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte seine schöne Braut, und sie spielte mit seinem schwarzen Haar, und Arm in Arm
gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt. Es wurde ruhig und still auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Ruder. Die kleine Seejungfer legte ihre weißen Arme auf die Schiffsbrüstung und sah nach Osten der
Morgenröte entgegen. Der erste Sonnenstrahl, wusste sie, würde sie töten. Da sah sie ihre Schwestern aus dem Meere aufsteigen, sie waren bleich wie sie selbst; ihre langen schönen Haare wehten nicht mehr im Winde. Sie
waren abgeschnitten. "Wir haben sie der Hexe gegeben, damit sie dir Hilfe bringen sollte und du nicht in dieser Nacht sterben musst! Sie hat uns ein Messer gegeben. Hier ist es! Siehst du, wie scharf es ist?
Bevor die Sonne aufgeht, musst du es dem Prinzen ins Herz stoßen, und wenn sein warmes Blut über deine Füße spritzt, wachsen sie zu einem Fischschwanz zusammen und du wirst wieder eine Seejungfer, kannst zu uns ins
Wasser herniedersteigen und noch dreihundert Jahre leben, ehe du zu totem, kaltem Meeresschaum wirst. Beeile dich! Er oder du musst sterben, bevor die Sonne aufgeht. Unsere alte Großmutter trauert so sehr, dass ihr
weißes Haar abgefallen ist, wie das unsere von der Schere der Hexe. Töte den Prinzen und komm zurück! Beeile dich! Siehst du den roten Streifen am Himmel. In wenigen Minuten steigt die Sonne empor, und dann musst du
sterben!" und sie stießen einen tiefen Seufzer aus und versanken in den Wogen. Die kleine Seejungfer zog den purpurnen Teppich vor dem Zelte fort, und sie sah die schöne Braut, ihr Haupt an der Brust des Prinzen
gebettet, ruhen. Da beugte sie sich nieder, küßte ihn auf seine schöne Stirn, sah zum Himmel auf, wo die Morgenröte mehr und mehr aufleuchtete, sah auf das scharfe Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen,
der im Traume den Namen seiner Braut flüsterte. Sie nur lebte in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Hand der Seejungfer, - dann aber schleuderte sie es weit hinaus in die Wogen. Sie glänzten rot, und wo es
hinfiel, sah es aus, als ob Blutstropfen aus dem Wasser aufquollen. Noch einmal sah sie mit halbgebrochenem Auge auf den Prinzen, dann stürzte sie sich vom Schiffe ins Meer hinab und fühlte, wie ihre Glieder sich in
Schaum auflösten. Nun stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ihre Strahlen fielen so mild und warm auf den todeskalten Meeresschaum, und die kleine Seejungfer fühlte den Tod nicht. Sie sah die klare Sonne, und über ihr
schwebten hunderte von herrlichen, durchsichtigen Geschöpfen. Durch sie hindurch konnte sie des Schiffes weiße Segel sehen und des Himmels rote Wolken, ihre Stimmen waren wie Musik, aber so geisterhaft, dass kein
menschliches Ohr sie vernehmen konnte, ebenso wie kein menschliches Auge sie wahrnehmen konnte. Ohne Flügel schwebten sie durch ihre eigene Leichtigkeit in der Luft dahin. Die kleine Seejungfer sah, dass sie einen
Körper hatte, wie diese Wesen, der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob. "Zu wem komme ich?" fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der anderen Wesen, so geisterhaft zart, dass keine irdische Musik
es wiederzugeben vermag. "Zu den Töchtern der Luft!" antworteten die anderen. Seejungfrauen haben keine unsterbliche Seele und können nie eine erringen, es sei denn, dass sie die Liebe eines Menschen
gewinnen! Von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine unsterbliche Seele, aber sie können sich durch gute Taten selbst eine schaffen. Wir fliegen zu den warmen Ländern, wo
die schwüle Pestluft die Menschen tötet; dort fächeln wir Kühlung. Wir verbreiten den Duft der Blumen durch die Lüfte und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang danach gestrebt haben, alles Gute
zu tun, was wir vermögen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen teil an der ewigen Glückseligkeit der Menschen. Du arme, kleine Seejungfer hast von ganzem Herzen dasselbe erstrebt, wie wir. Du hast gelitten
und geduldet, hast dich nun zur Welt der Luftgeister erhoben und kannst jetzt selbst durch gute Werke dir eine unsterbliche Seele schaffen nach dreihundert Jahren." Und die kleine Seejungfer hob ihre
durchsichtigen Arme empor zu Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Tränen in ihre Augen steigen. Auf dem Schiffe erwachte wieder Geräusch und Leben, sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen,
wehmütig starrten sie in den wogenden Schaum, als ob sie wüßten, dass sie sich in die Wogen gestürzt hatte. Unsichtbar küßte sie die Stirn der Braut, lächelte dem Prinzen zu und stieg dann mit den anderen Kindern der
Luft zu der rosenroten Wolke hinauf, die über ihnen dahinsegelte. "In dreihundert Jahren schweben wir so in Gottes Reich." "Auch noch frühzeitiger können wir dorthin gelangen!" flüsterte eine
der Lufttöchter ihr zu. "Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen, wo Kinder sind, und um jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, das seinen Eltern Freude macht und ihre Liebe verdient, verkürzt Gott
unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir in die Stube fliegen, und wenn wir vor Freude über ein Kind lächeln, so wird uns ein Jahr von den dreihundert geschenkt. Aber wenn wir ein unartiges und böses Kind
sehen, dann müssen wir Tränen des Kummers vergießen, und jede Träne verlängert unsere Prüfungszeit um einen Tag!" |