Das war eine Pracht, wie man sie auf der Erde nie sehen konnte. Wände und Decke in dem großen Tanzsaal waren aus dickem, aber klarem Glase.
Mehrere hundert riesige Muschelschalen, rosenrote und grasgrüne, standen in Reihen an jeder Seite mit einem blau brennenden Feuer, das den ganzen Saal erleuchtete und durch die Wände hinausschien, so dass die See
draußen ebenfalls hell erleuchtet war. Man konnte all die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern schwammen. Bei einigen schimmerten die Schuppen purpurrot, bei anderen wie Silber und Gold.
Mitten im Saale floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die Meermänner und Meerweiblein zu ihrem eigenen herrlichen Gesang. So süßklingende Stimmen gibt es bei den Menschen auf der Erde nicht. Die kleine
Seejungfer sang am schönsten von allen, und alle klatschten ihr zu, und einen Augenblick lang fühlte sie Freude im Herzen, denn sie wusste, dass sie die schönste Stimme von allen im Wasser und auf der Erde hatte! Aber
bald dachte sie doch wieder an die Welt über sich; sie konnte den schönen Prinzen nicht vergessen und auch nicht ihren Kummer darüber, dass sie nicht, wie er, eine unsterbliche Seele besaß. Deshalb schlich sie sich
aus ihres Vaters Schloß, und während alle drinnen sich bei Gesang und Fröhlichkeit vergnügten, saß sie betrübt in ihrem kleinen Garten. Da hörte sie das Waldhorn durch das Wasser hinunter erklingen, und sie dachte:
"Nun fährt er gewiß dort oben, er, den ich lieber habe, als Vater und Mutter, er, an dem meine Gedanken hängen und in dessen Hand ich meines Lebens Glück legen möchte. Alles will ich wagen um ihn und um eine
unsterbliche Seele zu gewinnen! Während meine Schwestern dort drinnen in meines Vaters Schloß tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der ich mich immer so gefürchtet habe. Aber sie kann vielleicht raten und
helfen!" Nun ging die kleine Seejungfer aus ihrem Garten hinaus zu dem brausenden Malstrom, hinter dem die Hexe wohnte. Diesen Weg war sie nie zuvor gegangen, da wuchsen keine Blumen, kein Seegras, nur der
nackte graue Sandboden streckte sich gegen den Malstrom, wo das Wasser wie brausende Mühlenräder im Kreise wirbelte und alles, was es erfaßte, mit sich in die Tiefe riß. Mitten zwischen diesen zermalmenden Wirbeln
musste sie dahingehen, um in das Reich der Meerhexe zu gelangen. Dann gab es eine ganze Strecke keinen anderen Weg, als über heißsprudelnden Schlamm, den die Hexe ihr Torfmoor nannte. Dahinter lag ihr Haus mitten in
einem seltsamen Walde. Alle Bäume und Büsche waren Polypen, halb Tier, halb Pflanze, sie sahen aus, wie hundertköpfige Schlangen, die aus der Erde wuchsen; alle Zweige waren lange schleimige Arme mit Fingern wie
geschmeidige Würmer, und Glied für Glied bewegten sie sich von der Wurzel bis zur äußersten Spitze. Alles was in ihre Greifnähe kam im Meer, umschnürten sie fest und ließen es nicht wieder los. Die kleine Seejungfer
blieb ganz erschrocken draußen stehen, ihr Herz klopfte vor Angst, fast wäre sie wieder umgekehrt, aber da dachte sie an den Prinzen und an die Menschenseele, und das machte ihr Mut. Ihr langes, wehendes Haar band sie
fest um den Kopf, so dass die Polypen sie nicht daran ergreifen könnten, beide Hände legte sie über der Brust zusammen und schoß von dannen, schnell wie nur ein Fisch durchs Wasser schießen kann, mitten hinein zwischen
die häßlichen Polypen, die ihre geschmeidigen Arme und Finger nach ihr ausstreckten. Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er aufgegriffen hatte mit hundert kleinen Armen festhielt wie mit starken Eisenbanden.
Menschen, die in der See umgekommen waren und tief heruntergesunken waren, sahen als weiße Gerippe aus dem Armen der Polypen hervor. Steuerruder und Kisten hielten sie fest, Skelette von Landtieren und eine kleine
Meerjungfer, die sie gefangen und erstickt hatten, - das erschien ihr fast als das Schrecklichste. Nun gelangte sie an einen großen, mit Schleim bedeckten Platz im Walde, wo große, fette Wasserschlangen sich wälzten
und ihre häßlichen, weißgelben Bäuche zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus errichtet aus ertrunkener Menschen weißen Gebeinen. Da saß die Meerhexe und ließ eine Kröte von ihrem Munde essen, gerade wie Menschen
einen kleinen Kanarienvogel Zucker picken lassen. Die häßlichen, fetten Wasserschlangen nannte sie ihre kleinen Küchlein und ließ sie sich auf ihrer großen, schwammigen Brust wälzen. "Ich weiß schon, was du
willst!" sagte die Meerhexe, "das ist zwar dumm von dir, aber du sollst trotzdem deinen Willen haben, denn er wird dich ins Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern deinen Fischschwanz los sein
und dafür zwei Stümpfe haben, um darauf zu gehen, ebenso wie die Menschen, damit der junge Prinz sich in dich verlieben soll und du ihn und eine unsterbliche Seele bekommen kannst!" Gleichzeitig lachte die Hexe so
laut und scheußlich, dass die Kröte und die Schlangen zur Erde fielen und sich dort wälzten. "Du kommst gerade zur rechten Zeit" sagte die Hexe, "morgen, wenn die Sonne aufgeht, könnte ich dir nicht mehr
helfen, bevor wieder ein Jahr um wäre. Ich will dir einen Trunk bereiten, mit dem sollst du, bevor die Sonne aufgeht, ans Land schwimmen, dich ans Ufer setzen und ihn trinken, dann verschwindet dein Schwanz und
schrumpft zusammen zu dem, was die Menschen hübsche Beine nennen, aber es tut weh, es wird sein als ob ein scharfes Schwert durch dich hindurch ginge. Alle, die dich sehen, werden sagen, du seiest das liebreizendste
Menschenkind, das sie je gesehen hätten! Du behältst deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin wird schweben können, wie du, aber jeder Schritt, den du tust, wird sein, als ob du auf scharfe Messer trätest, so dass dein
Blut fließen muss. Willst du alles dies erleiden, so werde ich dir helfen!" "Ja!" sagte die kleine Seejungfer mit bebender Stimme und dachte an den Prinzen und die unsterbliche Seele. "Bedenke
aber", sagte die Hexe, "hast du erst menschliche Gestalt bekommen, so kannst du nie wieder eine Seejungfer werden! Niemals wieder kannst du durch das Wasser zu deinen Schwestern niedersteigen und zu deines
Vaters Schloß. Und wenn du die Liebe des Prinzen nicht eringst, so dass er um deinetwillen Vater und Mutter vergißt, mit allen seinen Gedanken nur an dir hängt und den Priester eure Hände ineinander legen läßt, so dass
Ihr Mann und Frau werdet, so bekommst du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er sich mit einer anderen vermählt hat, muss dein Herz brechen, und du wirst zu Schaum auf dem Wasser."
"Ich will es!" sagte die kleine Seejungfer und war bleich wie der Tod. "Aber mich musst du auch bezahlen!" sagte die Hexe, "und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast die herrlichste
Stimme von allen hier unten auf dem Meeresgrunde, damit willst du ihn bezaubern, hast du dir wohl gedacht, aber die Stimme musst du mir geben. Das beste, was du besitzest, will ich für meinen kostbaren Trank haben! Ich
muss ja mein eigenes Blut für dich darein mischen, damit der Trank scharf werde, wie ein zweischneidiges Schwert!" "Aber wenn du mir meine Stimme nimmst," sagte die kleine Seejungfer, "was behalte
ich dann übrig?" "Deine schöne Gestalt," sagte die Hexe, "Deinen schwebenden Gang und deine sprechenden Augen, damit kannst du schon ein Menschenherz betören. Na, hast du den Mut schon verloren?
Streck deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie ab, zur Bezahlung, und du bekommst dafür den kräftigen Trank!" "Es geschehe!" sagte die kleine Seejungfer, und die Hexe setzte ihren Kessel auf,
um den Zaubertrank zu kochen. "Reinlichkeit ist ein gutes Ding!" sagte sie und scheuerte den Kessel mit Schlangen ab, die sie zu einem Knoten band. Nun ritzte sie sich selbst in die Brust und ließ ihr
schwarzes Blut hineintropfen. Der Dampf nahm die seltsamsten Gestalten an, so dass einem angst und bange wurde. Jeden Augenblick tat die Hexe neue Sachen in den Kessel, und als es recht kochte, war es, als ob ein
Krokodil weint. Zuletzt war der Trank fertig, er sah aus, wie das klarste Wasser. "Da hast du ihn!" sagte die Hexe und schnitt der kleinen Seejungfer die Zunge ab. Nun war sie stumm und konnte weder singen
noch sprechen. "Sobald du von den Polypen ergriffen wirst, wenn du durch meinen Wald zurück gehst," sagte die Hexe, "so wirf nur einen einzigen Tropfen von diesem Trank auf sie, dann springen ihre Arme
und Finger in tausend Stücke!" Aber das brauchte die kleine Seejungfer gar nicht. Die Polypen zogen sich erschreckt vor ihr zurück, als sie den leuchtenden Trank sahen, der in ihrer Hand glänzte, gerade als ob sie
einen funkelnden Stern hielte. So kam sie bald durch den Wald, das Moor und den brausenden Malstrom. Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen; die Lichter in dem großen Tanzsaal waren gelöscht, sie schliefen
gewiß alle darinnen, aber sie wagte doch nicht noch einmal hinzugehen, nun sie stumm geworden war und sie auf immer verlassen wollte. Es war, als ob ihr Herz vor Kummer zerspringen wollte. Sie schlich sich in den
Garten, nahm eine Blume von jeder Schwester Beet, warf tausend Kußhände zum Schlosse hin und stieg durch die dunkelblaue See empor. weiter |