Das erste Mal, wenn eine der Schwestern über das Wasser emporkam, war jede entzückt über all das Neue und Schöne. was sie sah, aber da sie nun als erwachsene Mädchen emporsteigen durften, wann sie wollten, wurde es ihnen gleichgültig, sie sehnten sich wieder nach Hause zurück, und nach eines Monats Verlauf sagten sie, dass es doch unten bei ihnen am allerschönsten sei, man sei da so hübsch zu Hause.

In mancher Abendstunde faßten sich die fünf Schwestern an den Händen und stiegen in einer Reihe über das Wasser hinauf. Herrliche Stimmen hatten sie, schöner als irgendein Mensch, und wenn dann ein Sturm heraufzog, so dass sie annehmen konnten, dass Schiffe untergehen würden, so schwammen sie vor den Schiffen her und sangen so wundersam, wie schön es auf dem Meeresgrunde sei, und sie baten die Schiffer, sich nicht zu fürchten vor dem Untergehn, aber diese konnten die Worte nicht verstehen und glaubten, es wäre der Sturm. Und sie bekamen die Herrlichkeiten da unten auch nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen nur als Tote zu des Meerkönigs Schloß.

Wenn die Schwestern so Arm in Arm am Abend durch die See hinaufstiegen, dann stand die kleine Schwester ganz allein und sah ihnen nach, und es war ihr, als ob sie weinen müßte, aber Seejungfern haben keine Tränen und leiden darum viel schwerer.

"Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre!" sagte sie, "ich weiß, dass ich die Welt da oben und die Menschen, die dort bauen und wohnen, recht in mein Herz schließen werde!"

Endlich war sie fünfzehn Jahre alt.

"Sieh, nun bist du erwachsen," sagte ihre Großmutter die alte Königin-Witwe. "Komm nun und lasse dich von mir schmücken wie deine anderen Schwestern!" Und sie setzte ihr einen Kranz von weißen Lilien ins Haar, aber jedes Blumenblatt war eine halbe Perle: und dann ließ die Alte acht große Austern sich im Schwanze der Prinzessin festklemmen, um ihren hohen Stand zu zeigen.

"Das tut so weh!" sagte die kleine Seejungfer.

"Ja, Adel hat seinen Zwang!" sagte die Alte.

Ach, sie würde so gerne die ganze Pracht abgeschüttelt und den schweren Kranz weggelegt haben, ihre roten Blumen im Garten kleideten sie viel besser, aber das nutzte nun nichts mehr. "Lebewohl," sagte sie und stieg leicht und klar, gleich einer Blase, im Wasser empor. Die Sonne war gerade untergegangen, als sie ihr Haupt aus dem Wasser erhob, aber alle Wolken leuchteten noch wie Rosen und Gold, und mitten in der zartroten Luft strahlte der Abendstern so licht und klar. Die Luft war mild und frisch und das Meer windstill. Da lag ein großes Schiff mit drei Masten. Nur ein einziges Segel war aufgezogen, denn nicht ein Lüftchen rührte sich und rings im Tauwerk und auf den Stangen saßen Matrosen. Da war Musik und Gesang, und als es abends dunkelte, wurden hunderte von bunten Lichtern angezündet; und es sah aus, als ob die Flaggen aller Nationen in der Luft wehten. Die kleine Seejungfer schwamm bis dicht an das Kajütenfenster, und jedesmal, wenn das Wasser sie emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Scheiben sehen, wie viele geputzte Menschen drinnen standen, aber der schönste war doch der junge Prinz mit den großen schwarzen Augen. Er war gewiß nicht viel über sechzehn Jahre; es war sein Geburtstag, und darum herrschte all die Pracht. Die Matrosen tanzten auf dem Deck, und als der junge Prinz heraustrat, stiegen über hundert Raketen in die Luft empor, die leuchteten wie der klare Tag, so dass die kleine Seejungfer ganz erschreckt ins Wasser niedertauchte, aber sie steckte den Kopf bald wieder hervor und da war es, als ob alle Sterne des Himmels auf sie herniederfielen. Niemals hatte sie solche Feuerkünste gesehen. Große Sonnen drehten sich sprühend herum, Feuerfische schwangen sich in die blaue Luft, und alles spiegelte sich in der klaren, stillen See. Auf dem Schiffe selbst war es so hell, dass man jedes kleine Tau sehen konnte, wieviel genauer noch die Menschen. Ach, wie schön war doch der junge Prinz, und er drückte den Leuten die Hand und lächelte, während die Musik in die herrliche Nacht hinausklang.

Es wurde spät, aber die kleine Seejungfer konnte die Augen nicht von dem Schiffe und von dem schönen Prinzen wegwenden. Die bunten Lichter wurden gelöscht, Raketen stiegen nicht mehr empor, und auch keine Kanonenschüsse ertönten mehr, aber tief unten im Meere summte und brummte es. Sie saß inzwischen und ließ sich vom Wasser auf und nieder schaukeln, so dass sie in die Kajüte hineinsehen konnte; aber jetzt bekam das Schiff stärkere Fahrt, ein Segel nach dem anderen breitete sich aus, die Wogen gingen höher, große Wolken zogen herauf, es blitzte in der Ferne. Ein schreckliches Unwetter war im Anzuge, deshalb nahmen die Matrosen die Segel ein. Das große Schiff schaukelte in fliegender Fahrt auf der wilden See. Die Wogen stiegen auf wie große, schwarze Berge, die sich über die Masten wälzen wollten, aber das Schiff tauchte wie ein Schwan zwischen den hohen Wogen nieder und ließ sich wieder emportragen auf die aufgetürmten Wasser.

Der kleinen Seejungfer schien es eine recht lustige Fahrt zu sein, aber den Seeleuten erschien es ganz und gar nicht so. Das Schiff knackte und krachte, die dicken Planken bogen sich bei den starken Stößen, mit denen sich die See gegen das Schiff warf, der Mast brach mitten durch, als ob er ein Rohr wäre, und das Schiff schlingerte auf die Seite, während das Wasser in den Raum drang. Nun sah die kleine Seejungfer, dass sie in Gefahr waren. Sie musste sich selbst in acht nehmen, vor den Balken und Schiffstrümmern, die auf dem Wasser trieben. Einen Augenblick war es so kohlschwarze Finsternis, dass sie nicht das mindeste gewahren konnte, aber wenn es dann blitzte, wurde es wieder so hell, dass sie alle auf dem Schiffe erkennen konnte; jeder tummelte sich, so gut er konnte. Besonders suchte sie nach dem jungen Prinzen, und sie sah ihn, als das Schiff verschwand, in das tiefe Meer versinken. Zuerst war sie sehr froh darüber, denn nun kam er ja zu ihr herunter, aber dann erinnerte sie sich, dass Menschen nicht unter dem Wasser leben können, dass er also nur als Toter hinunter zu ihres Vaters Schloß gelangen konnte. Nein, sterben durfte er nicht; deshalb schwamm sie hin zwischen die Balken und Planken, die auf dem Meere trieben, und vergaß ganz dass sie von ihnen hätte zermalmt werden können. Sie tauchte tief unter das Wasser, stieg wieder empor zwischen den Wogen und gelangte so zuletzt zu dem jungen Prinzen hin, der kaum mehr in der stürmischen See schwimmen konnte, seine Arme und Beine begannen zu ermatten, die schönen Augen schlossen sich, und er wäre gestorben, wenn nicht die kleine Seejungfer dazu gekommen wäre. Sie hielt seinen Kopf über Wasser und ließ sich so von den Wogen mit ihm treiben, wohin sie wollten.

Am Morgen war das Unwetter vorüber, vom Schiffe war nicht ein Span mehr zu sehen, die Sonne stieg rot empor und glänzte über dem Wasser, und es war gerade, als ob des Prinzen Wangen Leben dadurch erhielten, aber die Augen blieben geschlossen. Die Seejungfer küßte seine hohe, schöne Stirn und strich sein nasses Haar zurück, sie dachte, dass er dem Marmorbilde unten in ihrem kleinen Garten gliche, und sie küßte ihn wieder und wünschte, dass er doch leben möchte.

Nun sah sie vor sich das feste Land, hohe blaue Berge, auf deren Gipfel der weiße Schnee schimmerte, als ob Schwäne dort oben lägen. Unten an der Küste waren herrliche grüne Wälder, und vorn lag eine Kirche oder ein Kloster, das wusste sie nicht recht, aber ein Gebäude war es. Zitronen- und Apfelsinenbäume wuchsen dort im Garten, und vor den Toren standen große Palmenbäume. Die See bildete hier eine kleine Bucht, da war es ganz still, aber sehr tief. Bis dicht zu den Klippen, wo der feine weiße Sand angespült lag, schwamm sie mit dem schönen Prinzen, legte ihn in den Sand, und sorgte besonders dafür, dass der Kopf hoch im warmen Sonnenschein lag.

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