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MUSTERPROZESS UM JÜDISCHES EIGENTUM
Landkreis muss Grundstück an Erben zurückgeben
Es ist einer der größten Rückerstattungsfälle in Ostdeutschland, und für 700 weitere Verfahren ist das heutige Urteil von großer Bedeutung: Das Bundesverwaltungsgericht hat den Landkreis Potsdam-Mittelmark verpflichtet, ein 1936 von Juden verkauftes Grundstück nun an deren Erben zu übertragen.
Leipzig - Geklagt hatte eine Erbengemeinschaft. Sie gab an, die Familie habe das Grundstück in der Gemeinde Teltow-Seehof im Jahr 1936 nicht freiwillig verkauft. Die Richter folgten dieser Argumentation und hoben damit ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam auf. Die Entscheidung des obersten deutschen Verwaltungsgerichts ist Grundlage für mehr als 700 weitere Verfahren.
Nach Auffassung des zuständigen 8. Senats haben die Potsdamer Richter bei ihrem Urteil im Oktober 2002 die Reichweite des Vermögensgesetzes verkannt. Trotz unzureichender Beweise seien sie davon ausgegangen, dass die früheren jüdischen Eigentümer nicht unter dem Druck des Nazi-Regimes verkauft hätten. Dafür hätte es jedoch fundierter Beweise bedurft, weil der Gesetzgeber bei Verkäufen jüdischen Eigentums in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 von einem verfolgungsbedingten Verkauf ausgeht. Nur wenn diese gesetzliche Vermutung zweifelsfrei widerlegt sei, könne von der Grundregelung abgewichen werden. Diese Regelung gelte nach der Wiedervereinigung auch auf dem Gebiet der früheren DDR.
Der Anwalt der Kläger bewertete das Urteil als "positiven Beitrag zur juristischen Bewältigung des düstersten Kapitels Deutschlands".
Die frühere Eigentümerfamilie hatte 1933 einen Maklervertrag zur Parzellierung des insgesamt rund 84 Hektar umfassenden Gutes Seehof an der südlichen Stadtgrenze Berlins geschlossen. Bis 1940 wurden rund 1000 Parzellen an Siedler verkauft. Dazu gehört das etwa 3000 Quadratmeter große Grundstück, um das es im Prozess stellvertretend für 705 weitere Verfahren ging, die noch beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig sind.
Bereits 1999 hatte das Bundesverwaltungsgericht zu Gunsten der 18-köpfigen Erbengemeinschaft ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam von Dezember 1997 aufgehoben und den Fall zurückverwiesen. 2002 hatten die Potsdamer Richter jedoch erneut zu Lasten der jüdischen Erben entschieden.


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