Aktuell
Alle Artikel BRANDREDE DES SENATORS ROBERT BYRD
"Bushs Politik ist bar jeder Weisheit"
US-Senator Robert C. Byrd hat mit einer Aufsehen erregenden Rede die Außenpolitik
der Bush-Regierung als unbesonnen und arrogant gegeißelt. In scharfer
Form kritisierte er auch das beklemmende Schweigen des US-Senats.
DPA
Byrd: "Offen gesagt, viele Erklärungen dieser Administration sind
skandalös"Hamburg - Seit 45 Jahren ist der Demokrat Robert C. Byrd,
85, als Vertreter West Virginias im US-Senat. In einer Rede, die derzeit in
Deutschland in die Diskussion kommt, forderte er, jeder amerikanische Bürger
müsse sich einmal bewusst machen, wie grausam jeder Krieg ist. "Doch
im Senat herrscht weitgehend Schweigen, geheimnisvolles, bedrohliches Schweigen.
Es gibt keine Debatte, keine Diskussion, keinen Versuch, der Nation das Für
und Wider dieses Krieges darzulegen. Nichts!"
"Wir hüllen uns in passives Schweigen hier im US-Senat, gelähmt
durch unsere eigene Unsicherheit, augenscheinlich erstarrt unter dem Eindruck
der beunruhigenden Ereignisse.
Nur auf den Kommentarseiten unserer Zeitungen findet noch eine stichhaltige
Diskussion über den Sinn oder Unsinn dieses Krieges statt. Der drohende
Krieg stellt einen Wendepunkt in der Außenpolitik der USA dar und möglicherweise
auch ein Wendepunkt in der jüngeren Weltgeschichte.
REUTERS
"Hat die geduldige Kunst der Diplomatie in eine reine Droh- und Verleumdungspolitik
verwandelt": BushDiese Nation ist dabei, ihre revolutionäre Präventivschlag-Doktrin
zu testen und sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt anzuwenden. Sie beinhaltet
die Idee, dass die USA oder jede andere Nation ganz legitim ein Land angreifen,
das sie nicht unmittelbar bedroht, sondern das sie in der Zukunft bedrohen könnte
- hierbei handelt es sich um einen ganz grundsätzlichen Dreh der traditionellen
Vorstellung der Selbstverteidigung.
Diese Doktrin scheint gegen internationales Recht und die Charta der Völkergemeinschaft
zu verstoßen. Sie wird ausprobiert in einer Zeit des weltweiten Terrorismus.
Sie ist Grund dafür, dass sich viele Länder rund um den Globus fragen,
ob sie auf unserer Hitliste stehen - oder auf der eines anderen Landes.
Hochrangige US-Regierungsvertreter weigerten sich jüngst, den Einsatz von
Atomwaffen auszuschließen, als sie einen möglichen Angriff auf den
Irak diskutierten. Was könnte destabilisierender und bar jeder Weisheit
sein, als diese Art von Unsicherheit, besonders in einer Welt, in der vitale
Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen vieler Länder so eng verknüpft
sind?
IN SPIEGEL ONLINE
· Powells Versöhnungsoffensive: "Deutschland ist ein
Freund der USA" (22.02.2003)
· Feldzug gegen Saddam: Irakische Exil-Opposition wirbt Rekruten
(24.02.2003) In unseren bewährten Bündnissen tun sich riesige
Brüche auf, und die Ziele der US-Politik ist plötzlich zum Gegenstand
weltweiter Spekulation geworden, was dem Ansehen der USA schadet.
Anti-Amerikanismus, der auf Misstrauen, falsche Informationen, Verdächtigungen
und eine alarmierende Rhetorik führender US-Politiker zurückzuführen
ist, untergräbt die ehemals feste Allianz gegen den globalen Terrorismus,
wie sie nach dem 11. September existierte."
Die Bush-Regierung komme zwei Jahre nach Amtsantritt nicht gut weg, fährt
der Senator fort. Einen für das kommende Jahrzehnt ursprünglich auf
5,6 Billionen Dollar bezifferten Haushaltsüberschuss habe sie in ein unabsehbar
großes Defizit verwandelt. Und außenpolitisch sei es dieser Administration
nicht gelungen Osama Bin Laden zu fassen.
"Diese Regierung hat die geduldige Kunst der Diplomatie in eine reine Droh-
und Verleumdungspolitik verwandelt. Dies zeigt die Armseligkeit an Intelligenz
und Einfühlungsvermögen unserer Führer, was Auswirkungen über
Jahre haben wird.
Wenn Staatschefs Zwerge geheißen werden, wenn andere Länder als böse
qualifiziert werden, und wenn mächtige europäische Verbündete
als irrelevant bezeichnet werden, dann können diese Rücksichtslosigkeiten
für unsere große Nation nichts Gutes bedeuten.
Wir mögen eine massive militärische Macht darstellen, doch wir können
den weltweiten Krieg gegen den Terrorismus nicht allein führen. Wir brauchen
die Zusammenarbeit mit unseren bewährten Verbündeten genauso wie die
neuerer Freunde, die wir durch unseren Wohlstand gewinnen.
Den USA fehlt es bereits jetzt an Soldaten, daher brauchen wir die Unterstützung
der Nationen, die uns Truppen zur Verfügung stellen und nicht nur ermutigende
Briefe zusenden.
Der Krieg in Afghanistan hat die USA bisher 37 Milliarden Dollar gekostet. Dennoch
gibt es Beweise, dass der Terror in dieser Region wieder aufkeimt. Auch Pakistan
droht destabilisiert zu werden. Die US-Regierung hat den ersten Krieg gegen
den Terror noch nicht beendet, da ist sie bereits scharf darauf, sich in den
nächsten Konflikt zu stürzen, in dem die Gefahren viel größer
sind als in Afghanistan. Haben wir nicht gelernt, dass es nach einem gewonnenen
Krieg gilt, den Frieden zu sichern?
Über die Nachwirkungen eines Krieges gegen den Irak hören wir wenig.
Wo es keine Pläne gibt, blühen die Spekulationen. Werden wir die irakischen
Ölfelder beschlagnahmen? Wem wollen wir die Macht nach Saddam Hussein in
die Hand geben? Wird ein Krieg die muslimische Welt in Flammen setzen mit der
Folge verheerender Angriffe auf Israel? Wird Israel mit seinen Atomwaffen Vergeltung
üben? Wird die jordanische und saudi-arabische Regierung von radikalen
Muslimen gestürzt, unterstützt von Iran, der mit dem Terrorismus viel
enger verknüpft ist, als der Irak? Können Verwerfungen auf dem Weltölmarkt
zu einer weltweiten Rezession führen?
Stachelt unsere unnötig kriegerische Sprache und unsere ausgesprochene
Missachtung anderer Interessen und Meinungen weltweit das Bestreben anderer
Länder an, bald selbst dem Club der Atommächte anzugehören? Lesen
Sie im zweiten Teil, welch verheerendes Zeugnis Byrd der US-Regierung ausstellt
DRUCKVERSION
ARTIKEL VERSENDEN
LESERBRIEF SCHREIBEN© SPIEGEL ONLINE 2003
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet AG
RE