Gebäude am Amtssitzs von Palästinenserführer Jassir Arafat in Ramallah wurde durch Beschuss, Sprengladungen und gepanzerte Bulldozer platt gemacht, der Erzfeind Israels war wochenlang in seinem ausgebombten Hauptquartier eingeschlossen. Seither sind weite Teile der autonomen Palästinensergebiete wieder unter der Herrschaft des israelischen Militärs; die verschärften Kontrollen und Auflagen haben die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung weiter eingeschränkt.
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Palästinensischer Junge, israelische Panzer: "Frieden, Sicherheit oder einfach Ruhe" Nirgends ist das deutlicher als im Gazastreifen. In dem schmalen Gebietsgürtel zwischen ägyptischer Grenze und der Hafenstadt Ashdod, wo rund 1,3 Millionen Palästinenser leben (und etwa 4000 jüdische Siedler), hat sich die Lage während der Feiertage dramatisch zugespitzt. Nach Feuerüberfällen militanter Palästinenser und muslimischer Extremisten drang die israelische Armee in der Nacht zum Ostersonntag in das Flüchtlingslager von Rafah ein.
Bei der umfangreichsten Operation innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahre, setzte die Armee etwa 35 Panzer und gepanzerte Truppentransporter und Bulldozer ein. Unterstützt von Kampfhubschraubern wurden drei Häuser gesprengt und zwei Tunnel zerstört - über die Stollen wurden laut Armee Waffen von Ägypten in den Gazastreifen geschmuggelt. Bei der "Schlacht", so die Tageszeitung "Haaretz", wurden fünf Palästinenser getötet und 45 verletzt. Auch ein israelischer Soldat kam ums Leben.
Die Militäraktion ist Teil einer neuen, verschärften Gangart der Besatzungsmacht, mit der der Gazastreifen in Sektoren aufgeteilt und lahm gelegt wird: Derzeit versperren südlich der Stadt Gaza Straßensperren, MG-Nester und Panzersperren die Weiterfahrt und zugleich sind auch alle Übergänge aus dem mittleren Sektor zu den Städten und Flüchtlingslagern im Süden unterbrochen. Als Schlupfloch bleibt nur der Fußmarsch am Strand entlang - die einzige Verbindung für den Transport von Gemüse, Brot und Medizin.
WESTJORDANLAND
Kameramann starb im Kugelhagel
Bei einer Schießerei im Westjordanland ist ein palästinensischer Kameramann ums Leben gekommen. Israelische Soldaten hatten eine Journalistengruppe unter Feuer genommen.
Ramallah - Am Rande der historischen Altstadt waren die Soldaten mit jungen Palästinensern zusammengestoßen, die das Vordringen der Truppen mit Steinen, Molotowcocktails und Schusswaffen verhindern wollten. Dabei geriet die Journalistengruppe unter israelischen Beschuss.
Der 43-jährige Nasieh Darwase wurde von einer Kugel in den Kopf getroffen; er war sofort tot. Bei dem Zwischenfall wurden nach Aussagen von Ärzten 17 weitere Palästinenser und drei Fotografen, die für internationale Medien arbeiten, verletzt. Darwase wurde noch am Nachmittag unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt.
Palästinensische Augenzeugen sagten später aus, Soldaten hätten gezielt auf die Journalisten geschossen. Eine Armeesprecherin kündigte eine Stellungnahme zu dem Zwischenfall an.
Seit Beginn des blutigen Konfliktes vor mehr als 30 Monaten sind in den Palästinensergebieten drei Fotografen oder Kameramänner bei der Ausübung ihres Berufes von Soldaten erschossen und mehrere zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.
Ostersonntag, den 20. April

DER SPIEGEL 17/2003 - 20. April 2003
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Kunstschätze
 
Mongolensturm im Stahltresor
Kulturschock in Bagdad. Womöglich 170.000 Kostbarkeiten aus dem Nationalmuseum sind in Räuberhände gefallen. Droht dem Land der Verlust seines Erbes? US-Sammler greifen bereits nach den Schätzen aus dem Zweistromland. Neue Gesetze sollen deren Ausfuhr erlauben.
Am Mittwoch, dem 9. April, im Morgengrauen stießen Truppen der 1. und 3. US-Infanteriedivision ins Zentrum von Bagdad vor. Auf dem Alawi-Platz kam es zu einer Panzerschlacht. Granaten flogen. Eine knallte direkt in die Fassade des Nationalmuseums von Bagdad.
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Verwüstetes Magazin im Nationamuseum von Bagdad: Die Diebe wateten durch Scherben bemalter Keramik28 Galerien hat der Bau. Über 1 500 000 Inventarnummern zählen zum Bestand - vom Neandertaler-Skelett bis zum islamischen Fernrohr, dazu Tontafeln, Berichte von Gilgamesch und der Sintflut, die ältesten Kupfergeräte der Welt. Es sind Nähnadeln, fast 9000 Jahre alt.
Trotzdem schien den US-Militärs die Bewachung der gigantischen Schatztruhe nicht wichtig genug. Zwar berichten Zeugen von vier Panzern, die am Eingang Stellung bezogen. Doch plötzlich gab es neue Order. Die Fahrer warfen die schweren Dieselmotoren an und zogen laut dröhnend ab. Das war am Donnerstag gegen Mittag. Kurz darauf begann das, was die deutsche Presse als "Heimsuchung" und "Verbrechen an der Menschheit" einstufte. Mob, vornehmlich aus dem Armenviertel der Stadt, randalierte in dem Prunkbau, als wär's ein Fußballstadion. "Bild" verklärte die verschwundene antike Pracht als "goldene Opfer des Krieges".
Vorbei an verwaisten Checkpoints waren die Plünderer mit Schubkarren ins Gebäude eingebrochen. "Sie drohten, uns zu töten, wenn wir nicht alles öffnen", sagt der Angestellte Abdul Rehman Mugeer.
Mohsen Khadim, 50, war zu dem Zeitpunkt des Überfalls als einziger Wachmann auf dem Gelände. "Die Leute kamen mit Brechstangen, Pistolen und Kalaschnikows", sagt er. Stracks seien sie durchs linke Tor ins Foyer gestürmt, wo große Reliefs hängen und die riesigen Fabellöwen aus Ninive stehen.
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Aufwendig rekonstruiert: Mauer von BabylonHarfen aus Edelmetall wurden weggeschleppt, altbabylonische Becher aus Bergkristall und angeblich auch der Bronzekopf eines akkadischen Herrschers. Die berühmte Skulptur ist verstümmelt wie eine Voodoo-Puppe. Die Augen sind ausgestochen, Nase und Ohren wurden mit urzeitlichen Metallfräsen abgeschnitten.
Volle zwei Tage zog sich das schlimme Treiben hin. "Mehrere hundert Menschen" seien durch das Gebäude gestromert, berichtet der Museumsarchäologe Raeed Abdul Reda. Die Diebe wateten durch Scherben bemalter Keramik und schleppten im Bollerwagen Thorarollen aus der hebräischen Abteilung weg. Einem tönernen Lö wen am Eingang schlugen sie den Kopf ab.
Beim Angriff auf Iraks Nationalerbe mischten sich auch gerissene Hehler und Kunstkenner unter die Vandalen. "Ich habe Leute gesehen, die unsere Gipsrepliken zerschlugen, aber wertvolle Artefakte wie mit Samthandschuhen aus den Vitrinen hoben", erzählt der Wächter Khadim.
Am nächsten Tag, dem Freitag, kam erneut ungebetener Besuch, diesmal noch besser organisiert. Autos und Lkws standen vor der Tür. Beladen mit Statuen, Reliefs und Tontafeln brausten sie davon. Am Ende, so ein Augenzeuge, "zogen sogar Frauen und Kinder durch die verwüsteten Säle".
Erst am Samstag ebbte die Welle ab. Das Verwaltungsgebäude im rechten Trakt war mit Papieren übersät. In den Zwischengängen lagen umgestürzte Statuen und zersplitterte Vitrinen, die in den sechziger Jahren von der Frankfurter Firma Hahn nach Bagdad geliefert worden waren.
Sichtlich erschüttert traf der Antikenchef Iraks, Jaber Khalil Ibrahim, am Schauplatz ein und sichtete die Räume. Dann machte er sich kommentarlos davon.
DER SPIEGELEin GAU: "5000 Jahre Zivilisationsgeschichte wurden zertrampelt", meint der Berliner Orientalist Hans Nissen. "Ich bin wütend." Ricardo Eichmann, Orientexperte am Deutschen Archäologischen Institut (DAI), fühlte sich "verzweifelt".
Doch wohin haben die Plünderer ihre Beute geschleppt? Sind Abertausende Statuen, Siegel, Elfenbeinringe in Hehlerkreise abgewandert, eingespeist in dunkle Pipelines, aus denen sich der gefräßige internationale Kunstmarkt gern versorgt?
Umgehend rief die Unesco für letzten Donnerstag zur Sondersitzung. 20 Orientalisten und Irak-Archäologen stiegen im Pariser Hauptquartier ab, um erste Maßnahmen zu besprechen. Der "illegale Export irakischer Antiquitäten" müsse verhindert werden, warnt der deutsche Unesco-Präsident Walter Hirche. Rote Listen der gestohlenen Artefakte sollen möglichst bald an "Sammler, Händler und Auktionshäuser" weitergegeben werden.
Wer hinter dem Überfall steckt, ist noch unklar. Von "individueller Gier" getrieben habe sich das Volk aus den Armenvierteln bereichert, meint die "Zeit". Oder steckt dahinter eine Strategie? Museumswächter Khadim ist sicher, dass unter den Plünderern auch Ausländer waren: "Ich habe Ägypter gesehen, die zielgerichtet durch die Flure liefen."
In der Aufregung der letzten Woche kursierten noch weit wildere Gerüchte. Als die stellvertretende Museumsdirektorin Midal Amin am Tatort erschien, klagte sie das US-Militär an: "Da steckt Absicht hinter."
Gänzlich konnte das Pentagon den Verdacht nicht ausräumen. Zwar nannte es das Vernachlässigen der Kulturschätze von Bagdad einen "Fehler". Doch daran mögen viele nicht glauben. Der Grund: Bereits im Dezember hatte McGuire Gibson, ein Orientalist von der Universität Chicago, dem State Department Hinweise zum Schutz von rund 4000 archäologischen Stätten im Irak gegeben. In Listen waren Koordinaten der Ruinen von Ninive, Nimrud und Assur bis hin zur über 60 Meter hohen Moschee von Samarra eingezeichnet - als Warnung für die Programmierer der Marschflugkörper. Und natürlich war auch das - 1966 von deutschen Firmen errichtete - Supermuseum von Bagdad in der Liste aufgeführt.
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Antikenchef Ibrahim: "Stunde der Räuber"Gleichwohl ließen die Truppen der Sieger den Mob gewähren. Zwar kreuzten am Freitag, den 11. April für kurze Zeit erneut US-Panzer auf und vertrieben schon durch das Gedröhne der Antriebsketten die Banden. Doch dann ging die Tragödie weiter. Der Hausarchäologe Reda: "Ich bat die Militärs, einen Panzer als Wache hier zu lassen, doch sie lehnten ab."
Noch am Samstagmorgen, heißt es, griffen Diebe in den langen, mit Stein gefliesten Fluren des Museums nach kleinen sumerischen Elfenbeinschnitzereien. Erst am Sonntag - die Meldungen auf CNN und BBC überschlugen sich bereits - wurde der Zug der Schatzräuber gestoppt.
Der Rechtsexperte Knut Ipsen sieht in der schlampigen Bewachung des US-Militärs sogar einen "völkerrechtswidrigen Akt". Die Plünderungen hätten "unterbunden werden müssen". In seinen Augen ergibt sich nun eine paradoxe Situation: "Der Irak könnte die USA und Großbritannien beim Internationalen Gerichtshof auf Schadensersatz verklagen."
Was in der großen "Stunde der Räuber" ("Tagesspiegel") wirklich geschah, ist allerdings längst noch nicht geklärt. 170 000 Kunstwerke sollen verschwunden sein. "Grundlegende Ecksteine der westlichen Zivilisation" seien beschädigt und entwendet worden, meint der US-Kunsthistoriker John Russell. Seine britische Kollegin Eleanor Robson vergleicht die Aktion mit dem Ansturm der Mongolen, die 1258 die Metropole am Tigris überrannten.
Doch so schlimm muss es nicht sein. Einige Museumsvitrinen, das beweisen Fotos, waren schon vor dem Überfall penibel ausgeräumt worden. Die Direktorin des Hauses, Nawala al-Mutawalli, hatte unmittelbar vor Kriegsbeginn angekündigt, "so viele Exponate wie möglich" an einem "geheimen Ort" zu verstauen.
So zeichnete sich letzte Woche ein chaotisches Bild ab. Agenturen meldeten, dass zu den Raubgütern auch die Stele Hammurabis (1728 bis 1686 vor Christus) gehöre, auf die die ältesten Gesetzestexte der Welt gemeißelt sind. Das Original steht in Wahrheit wohlbehalten im Louvre.
Doch es gibt einen weiteren Brennpunkt - die Bank von Bagdad, wo mindestens 10 000 antike Diademe, Kronen,Armreife und andere Goldschätze eingelagert sind. "Seit 1995 haben die Iraker ihre archäologischen Goldbestände fast alle in diese Bank gebracht", sagt Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz.
Geschützt hinter dicken Stahltüren lagern dort kostbarste Edelfunde aus drei Jahrtausenden mesopotamischer Geschichte - mindestens 200 Kilogramm Gold, dazu Lapislazuli, Becher aus Bergkristall und Juwelen.
Vergangenen Mittwoch spielten sich vor der Bank in der Raschidstraße brutale Szenen ab. Knapp 100 Bewaffnete hatten sich über einen Seiteneingang Zugang in das Gebäude verschafft, einen Kubus aus Sandstein. Links hinter den verwaisten Sperrgittern parkten Lkws, auf die die bewaffneten Räuber ihre Beute luden.
Haben die Stammesbanden, die das Gebäude belagerten, die schweren Safes knacken können? "Das", so Müller-Karpe, "wäre ein unvorstellbarer Verlust, der in Billionen Dollar nicht zu beziffern wäre."
Und immer wieder kamen neue Trupps auch ins Museum, das für seine "vielen kleinteiligen Götterfiguren und Schmuckstücke bekannt ist", wie Müller-Karpe erklärt. Ein Griff - und die Stücke waren in Tüten und Hosentaschen verschwunden.
Anfangs sah es so aus, als hätten die Diebe die Kellerräume verschont. Lange Hallen mit Regalen ziehen sich durch das Untergeschoss. "Diese Magazine sind nicht leicht zu finden, man erreicht sie nur über einen Fahrstuhl", erklärt der Marburger Orientalist Walter Sommerfeld. Doch auch diese Speicher sind geplündert. Trauben von Menschen seien dicht gedrängt im Lift ins Tiefparterre karjuckelt, berichtet der Wächter Khadim. Genaueres weiß er nicht.
Keilschriftexperten reagierten auf die Meldung mit Entsetzen. "Im Museumskeller liegen die Uruk-III-Texte, die älteste Bibliothek der Menschheit", erklärt der Orientalist Nissen. Es sind etwa 6000 Tontafeln, die der Forscher mit "Bahlsenkeksen" vergleicht: "Im Regen lösen sie sich auf."
Von der Direktorin Mutawalli war letzte Woche nichts Verständliches zu hören. In einem TV-Interview brach sie mehrfach in Weinkrämpfe aus. Eine erste Abschätzung der Verluste liegt vom Museumsarchäologen Reda vor: "80 Prozent von dem, was wir haben, ist gestohlen."
"Wahnsinn", lamentiert der DAI-Orientale Eichmann. Sind wirklich alle Exponate perdu? Der Verlust der Relikte aus dem wohl wichtigsten Kraftfeld des menschlichen Fortschritts wäre ein ungeheurer Aderlass für die Altertumswissenschaft. Bereits um 3000 vor Christus schwang sich Mesopotamien zum Schrittmacher der Kultur auf. Wissenschaftler vom Euphrat rechneten mit der Zahl Pi. Sie erfanden die Astrologie, das Rad und schufen in Babylon die Hängenden Gärten der Semiramis - eines der sieben Weltwunder der Antike.
Angefangen hat alles am Persischen Golf. Uruk, Ur, Eridu, Mari, Umma, Lagasch - das waren die Urstätten urbanen Lebens, in denen der Mensch Abschied von der Steinzeit nahm. Bambushütten und Ziegelpaläste standen dort.
In den engen Gassen schritten Priester in Zottenröcken aus Tierfell umher. Reiche Hofdamen ließen sich von Dienern Sonnenschirme halten. Gewirtschaftet wurde zentral in Form des "theokratischen Kommunismus" - der Tempelwirtschaft.
"Geniale Erfinder" nennt Müller-Karpe die Sumerer. Das Bier und den Bollerwagen brachten sie hervor. Metallurgie, Glasur, das Rollsiegel, die schnell drehende Töpferscheibe, aber auch die Schrift - all das sind Pionierleistungen aus dem Zweistromland.
Die Metropole Uruk (biblisch Erech) überstrahlte alles. Rund 500 Jahre bevor die Ägypter ihre Pyramiden bauten,lebten in dieser Stadt bereits 100 000 Menschen. Schriftquellen zufolge ließ König Gilgamesch eine fast zehn Kilometer lange Stadtmauer errichten, bewehrt mit 900 Türmen.
Zuletzt im vergangenen Herbst besuchte die DAI-Archäologin Margarete van Ess jene staubige Piste, unter der die Ruinen der Urzeit-Metropole liegen. Wind und Wetter haben alles zerstört. Nur das Eanna-Zikkurat ragt noch zwölf Meter aus dem Sand.
Einst muss Uruk eine phantastische Atmosphäre ausgestrahlt haben. Während mandeläugige Frauen an den Fleeten feine Gewänder wuschen, ruderten Lastkähne mit Kupferbarren oder Weizen durch Kanäle direkt in die Innenstadt. Wie Reliefbilder belegen, bauten die Sumerer geteerte Schilfboote, mit hochragendem Bug und Heck.
Ursache für die Explosion des Fortschritts war nicht zuletzt die Bewässerungskunst der Sumerer. Von Stichkanälen gespeist, wuchsen dort Getreide, Knoblauchknollen und Datteln in Fülle. Drei Ernten im Jahr warf das Land ab. Laut Bibel flossen vier Ströme durch den Garten Eden. Zwei davon sind Euphrat und Tigris.
Die Deutschen haben an der Freilegung dieser versunkenen Welt maßgeblich mitgewirkt. 1898 klopfte die Berliner "Orient-Gesellschaft" beim Sultan der Osmanen an. Der vergab die archäologischen Filetstücke an die Spree. Assur, Uruk und Babylon gerieten unter die Schirmherrschaft von Kaiser Wilhelm II.
Auch die Briten zeigten im Land der Zikkurate Flagge. In den zwanziger Jahren stießen sie unter meterdicken Flugsanden auf den "Königsfriedhof von Ur", der Geburtsstadt Abrahams. Unberührte Grüfte mit platt gedrückten Skeletten, überreich mit Gold behängt, kamen in den unterirdischen Kammern zum Vorschein. Es waren die Gebeine von sumerischen Granden, Prinzen und Hofdamen.
Das Team machte auch eine grausige Entdeckung: Die Könige der Frühzeit ließen sich mitsamt dem Hofstaat beerdigen. Soldaten, Musikanten und Mundschenke mussten den Königen ins Jenseits folgen. Ein Herrscher nahm 157 Menschen mit. Sie starben durch Gift.
Im 2. und 1. Jahrtausend schließlich ballte sich die Macht. Entlang der grünen Oase am Tigris entstanden Königreiche. Assyrer und Altbabylonier bauten Wehrburgen wie aus einem Fantasy-Film. Verziert mit brettartigen Bärten schritten die Großmensch genannten Könige einher. Selbst Ägypten geriet unter das Joch ihrer Heere.
Noch Alexander der Große erlag der Magie des alten Orient. 323 vor Christus, nach seinem Indien-Feldzug, zog der Stratege in Babylon ein, damals die reichste Stadt der Hemisphäre und Zentrum aller Gelehrsamkeit. Hier wollte er seine Vision verwirklichen, Orient und Okzident zu vermählen.
Nur der frühe Tod des Makedonen verhinderte den Plan. 32-jährig starb Alexander am Fuß des großen Turms von Babylon (Höhe: 91,5 Meter). Nach einem Vollsuff - die Quellen sprechen von fünf Litern Wein - fiel er ins Koma, aus dem er nie mehr erwachte.
Auch Saddam, der moderne Diktator, labte sich gern an der langen und ruhmreichen Geschichte seines Landes. Ein steinerner Riesen-Saddam mit einem archaischen Helm ziert den Präsidentenpalast in Bagdad. "Sohn des Nebukadnezar" ließ er sich von seinen Untergebenen nennen.
Das archäologische Erbe - zumeist ungebrannter Ton, der zu Krümeln verfiel - zog Saddam häufig mit Beton wieder hoch. Das antike Susa ließ er wiederherstellen. Der größte antike Nachbau steht in Babylon. Es ist eine Prozessionsstraße mit hohen Fassaden, zulaufend auf eine Replik des Ischtar-Tors - das Original steht im Berliner Pergamon-Museum.
All dies bewachte ein schlagkräftiger Antikendienst mit 28 000 Angestellten. Und Saddam schuf harte Gesetze gegen die Ausfuhr von Antiquitäten. Sie wurden im Dezember 2002 noch einmal verschärft.
Die Embargo-Politik der Alliierten hat dieses System völlig ausgehöhlt. Bereits 1991, nach dem letzten Golfkrieg,verlor Bagdad teilweise die Gewalt über die Provinzen. Zehn Regionalmuseen wurden damals geplündert, 4000 Artefakte kamen abhanden. Die Unesco führt sie in einer Liste als "Lost Heritage". Nur drei Stücke tauchten wieder auf.
Verarmt durch den Ölboykott, hatte der Antikendienst kaum noch Mittel, das Treiben in den Flugverbotszonen zu stoppen. Räuber trampelten dort Zäune nieder und buddelten auf eigene Faust in Nimrud, Ninive und Uruk.
Zuletzt beschäftigte die Behörde kaum mehr als 1000 Leute. "Es wurden nur noch Hungerlöhne von fünf bis zehn Dollar im Monat gezahlt", sagt Müller-Karpe, "deswegen lag die Frauenquote bei 90 Prozent." Westliche Archäologen halfen, wo es ging. Kleine Trupps, meist als "Forschungsgruppen" getarnt, besuchten das Land.
Im April 2000 gelang es sogar, das geschlossene Museum von Bagdad wieder zu eröffnen, dessen Bestände durch den letzten Krieg völlig durcheinander gewirbelt worden waren. Über 100 Westarchäologen reisten an, als der Irak in einem feierlichen Akt die neue Schausammlung zeigte.
Nur die USA blieben unversöhnlich: "Auf Grund des Embargos durfte das Museum weder eine Alarmanlage noch eine Klimaanlage einbauen", erzählt der Orientalist Sommerfeld.
Mit dem Pulverdampf der letzten Wochen hat das Land erneut antike Sub-stanz verloren. Zwar pinselten irakische Helfer mit blauer und weißer Farbe das Piktogramm der Stiftung Weltkulturerbe auf die Dächer der 20 wichtigsten Museen im Land. Gleichwohl gerieten die Antikensammlungen in Tikrit und Mossul unter schweren Beschuss. In Bagdad wurde der Abassidenpalast bombardiert. Seine Grundmauern stammen aus dem 9. Jahrhundert.
Doch das sind Peanuts gegen die Raubzüge vom Alawi-Platz, wo das befreite Volk, bewehrt mit Kuhfüßen einen "Veitstanz der primitivsten Zerstörungslust" ("Frankfurter Allgemeine") aufführte.
Womöglich lauern aber noch andere Gefahren - und zwar in den USA. Dort nämlich bereiteten einflussreiche Mäzene einen Deal vor: Sie wollen ganz legal an die prall gefüllte Schatzkammer aus Sumer.
Bereits am 24. Januar wurden beim State Department zwei elegant gekleidete Männer vorstellig - Vertreter des "American Council for Cultural Policy". Der Verein bezeichnet sich selbst als Sammelbecken von "prominenten Sammlern und Kuratoren". Sein Leiter ist Ashton Hawkins, ehemals Rechtsberater des Metropolitan Museum in New York.
Der Besuch der Granden, zu denen schwerreicher Geldadel und Ex-Leute vom Getty Museum gehören, hatte ein klares Ziel. Sie halten das harte irakische Antikengesetz für zu "zurückhaltend". Ausländische Archäologen, so das Begehr, müssten in Zukunft schneller Grabungslizenzen erhalten.
Den wichtigsten Punkt bei dem Lobbygespräch nannte schließlich der Schatzmeister des Vereins, William Pearlstein. Iraks Antikenwunder sollen in Zukunft auch legal über die Grenze gehen können: "Wir möchten die Freigabe mancher Objekte für den Export."
MATTHIAS SCHULZ, BERNHARD ZAND

 
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© DER SPIEGEL 17/2003
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