Ostersonntag,
den 20. April
DER SPIEGEL 17/2003 - 20. April 2003
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,245463,00.html
Kunstschätze
Mongolensturm im Stahltresor
Kulturschock in Bagdad. Womöglich 170.000 Kostbarkeiten aus dem Nationalmuseum
sind in Räuberhände gefallen. Droht dem Land der Verlust seines Erbes?
US-Sammler greifen bereits nach den Schätzen aus dem Zweistromland. Neue
Gesetze sollen deren Ausfuhr erlauben.
Am Mittwoch, dem 9. April, im Morgengrauen stießen Truppen der 1. und
3. US-Infanteriedivision ins Zentrum von Bagdad vor. Auf dem Alawi-Platz kam
es zu einer Panzerschlacht. Granaten flogen. Eine knallte direkt in die Fassade
des Nationalmuseums von Bagdad.
DPA
Verwüstetes Magazin im Nationamuseum von Bagdad: Die Diebe wateten durch
Scherben bemalter Keramik28 Galerien hat der Bau. Über 1 500 000 Inventarnummern
zählen zum Bestand - vom Neandertaler-Skelett bis zum islamischen Fernrohr,
dazu Tontafeln, Berichte von Gilgamesch und der Sintflut, die ältesten
Kupfergeräte der Welt. Es sind Nähnadeln, fast 9000 Jahre alt.
Trotzdem schien den US-Militärs die Bewachung der gigantischen Schatztruhe
nicht wichtig genug. Zwar berichten Zeugen von vier Panzern, die am Eingang
Stellung bezogen. Doch plötzlich gab es neue Order. Die Fahrer warfen die
schweren Dieselmotoren an und zogen laut dröhnend ab. Das war am Donnerstag
gegen Mittag. Kurz darauf begann das, was die deutsche Presse als "Heimsuchung"
und "Verbrechen an der Menschheit" einstufte. Mob, vornehmlich aus
dem Armenviertel der Stadt, randalierte in dem Prunkbau, als wär's ein
Fußballstadion. "Bild" verklärte die verschwundene antike
Pracht als "goldene Opfer des Krieges".
Vorbei an verwaisten Checkpoints waren die Plünderer mit Schubkarren ins
Gebäude eingebrochen. "Sie drohten, uns zu töten, wenn wir nicht
alles öffnen", sagt der Angestellte Abdul Rehman Mugeer.
Mohsen Khadim, 50, war zu dem Zeitpunkt des Überfalls als einziger Wachmann
auf dem Gelände. "Die Leute kamen mit Brechstangen, Pistolen und Kalaschnikows",
sagt er. Stracks seien sie durchs linke Tor ins Foyer gestürmt, wo große
Reliefs hängen und die riesigen Fabellöwen aus Ninive stehen.
DPA
Aufwendig rekonstruiert: Mauer von BabylonHarfen aus Edelmetall wurden weggeschleppt,
altbabylonische Becher aus Bergkristall und angeblich auch der Bronzekopf eines
akkadischen Herrschers. Die berühmte Skulptur ist verstümmelt wie
eine Voodoo-Puppe. Die Augen sind ausgestochen, Nase und Ohren wurden mit urzeitlichen
Metallfräsen abgeschnitten.
Volle zwei Tage zog sich das schlimme Treiben hin. "Mehrere hundert Menschen"
seien durch das Gebäude gestromert, berichtet der Museumsarchäologe
Raeed Abdul Reda. Die Diebe wateten durch Scherben bemalter Keramik und schleppten
im Bollerwagen Thorarollen aus der hebräischen Abteilung weg. Einem tönernen
Lö wen am Eingang schlugen sie den Kopf ab.
Beim Angriff auf Iraks Nationalerbe mischten sich auch gerissene Hehler und
Kunstkenner unter die Vandalen. "Ich habe Leute gesehen, die unsere Gipsrepliken
zerschlugen, aber wertvolle Artefakte wie mit Samthandschuhen aus den Vitrinen
hoben", erzählt der Wächter Khadim.
Am nächsten Tag, dem Freitag, kam erneut ungebetener Besuch, diesmal noch
besser organisiert. Autos und Lkws standen vor der Tür. Beladen mit Statuen,
Reliefs und Tontafeln brausten sie davon. Am Ende, so ein Augenzeuge, "zogen
sogar Frauen und Kinder durch die verwüsteten Säle".
Erst am Samstag ebbte die Welle ab. Das Verwaltungsgebäude im rechten Trakt
war mit Papieren übersät. In den Zwischengängen lagen umgestürzte
Statuen und zersplitterte Vitrinen, die in den sechziger Jahren von der Frankfurter
Firma Hahn nach Bagdad geliefert worden waren.
Sichtlich erschüttert traf der Antikenchef Iraks, Jaber Khalil Ibrahim,
am Schauplatz ein und sichtete die Räume. Dann machte er sich kommentarlos
davon.
DER SPIEGELEin GAU: "5000 Jahre Zivilisationsgeschichte wurden zertrampelt",
meint der Berliner Orientalist Hans Nissen. "Ich bin wütend."
Ricardo Eichmann, Orientexperte am Deutschen Archäologischen Institut (DAI),
fühlte sich "verzweifelt".
Doch wohin haben die Plünderer ihre Beute geschleppt? Sind Abertausende
Statuen, Siegel, Elfenbeinringe in Hehlerkreise abgewandert, eingespeist in
dunkle Pipelines, aus denen sich der gefräßige internationale Kunstmarkt
gern versorgt?
Umgehend rief die Unesco für letzten Donnerstag zur Sondersitzung. 20 Orientalisten
und Irak-Archäologen stiegen im Pariser Hauptquartier ab, um erste Maßnahmen
zu besprechen. Der "illegale Export irakischer Antiquitäten"
müsse verhindert werden, warnt der deutsche Unesco-Präsident Walter
Hirche. Rote Listen der gestohlenen Artefakte sollen möglichst bald an
"Sammler, Händler und Auktionshäuser" weitergegeben werden.
Wer hinter dem Überfall steckt, ist noch unklar. Von "individueller
Gier" getrieben habe sich das Volk aus den Armenvierteln bereichert, meint
die "Zeit". Oder steckt dahinter eine Strategie? Museumswächter
Khadim ist sicher, dass unter den Plünderern auch Ausländer waren:
"Ich habe Ägypter gesehen, die zielgerichtet durch die Flure liefen."
In der Aufregung der letzten Woche kursierten noch weit wildere Gerüchte.
Als die stellvertretende Museumsdirektorin Midal Amin am Tatort erschien, klagte
sie das US-Militär an: "Da steckt Absicht hinter."
Gänzlich konnte das Pentagon den Verdacht nicht ausräumen. Zwar nannte
es das Vernachlässigen der Kulturschätze von Bagdad einen "Fehler".
Doch daran mögen viele nicht glauben. Der Grund: Bereits im Dezember hatte
McGuire Gibson, ein Orientalist von der Universität Chicago, dem State
Department Hinweise zum Schutz von rund 4000 archäologischen Stätten
im Irak gegeben. In Listen waren Koordinaten der Ruinen von Ninive, Nimrud und
Assur bis hin zur über 60 Meter hohen Moschee von Samarra eingezeichnet
- als Warnung für die Programmierer der Marschflugkörper. Und natürlich
war auch das - 1966 von deutschen Firmen errichtete - Supermuseum von Bagdad
in der Liste aufgeführt.
DPA
Antikenchef Ibrahim: "Stunde der Räuber"Gleichwohl ließen
die Truppen der Sieger den Mob gewähren. Zwar kreuzten am Freitag, den
11. April für kurze Zeit erneut US-Panzer auf und vertrieben schon durch
das Gedröhne der Antriebsketten die Banden. Doch dann ging die Tragödie
weiter. Der Hausarchäologe Reda: "Ich bat die Militärs, einen
Panzer als Wache hier zu lassen, doch sie lehnten ab."
Noch am Samstagmorgen, heißt es, griffen Diebe in den langen, mit Stein
gefliesten Fluren des Museums nach kleinen sumerischen Elfenbeinschnitzereien.
Erst am Sonntag - die Meldungen auf CNN und BBC überschlugen sich bereits
- wurde der Zug der Schatzräuber gestoppt.
Der Rechtsexperte Knut Ipsen sieht in der schlampigen Bewachung des US-Militärs
sogar einen "völkerrechtswidrigen Akt". Die Plünderungen
hätten "unterbunden werden müssen". In seinen Augen ergibt
sich nun eine paradoxe Situation: "Der Irak könnte die USA und Großbritannien
beim Internationalen Gerichtshof auf Schadensersatz verklagen."
Was in der großen "Stunde der Räuber" ("Tagesspiegel")
wirklich geschah, ist allerdings längst noch nicht geklärt. 170 000
Kunstwerke sollen verschwunden sein. "Grundlegende Ecksteine der westlichen
Zivilisation" seien beschädigt und entwendet worden, meint der US-Kunsthistoriker
John Russell. Seine britische Kollegin Eleanor Robson vergleicht die Aktion
mit dem Ansturm der Mongolen, die 1258 die Metropole am Tigris überrannten.
Doch so schlimm muss es nicht sein. Einige Museumsvitrinen, das beweisen Fotos,
waren schon vor dem Überfall penibel ausgeräumt worden. Die Direktorin
des Hauses, Nawala al-Mutawalli, hatte unmittelbar vor Kriegsbeginn angekündigt,
"so viele Exponate wie möglich" an einem "geheimen Ort"
zu verstauen.
So zeichnete sich letzte Woche ein chaotisches Bild ab. Agenturen meldeten,
dass zu den Raubgütern auch die Stele Hammurabis (1728 bis 1686 vor Christus)
gehöre, auf die die ältesten Gesetzestexte der Welt gemeißelt
sind. Das Original steht in Wahrheit wohlbehalten im Louvre.
Doch es gibt einen weiteren Brennpunkt - die Bank von Bagdad, wo mindestens
10 000 antike Diademe, Kronen,Armreife und andere Goldschätze eingelagert
sind. "Seit 1995 haben die Iraker ihre archäologischen Goldbestände
fast alle in diese Bank gebracht", sagt Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen
Zentralmuseum in Mainz.
Geschützt hinter dicken Stahltüren lagern dort kostbarste Edelfunde
aus drei Jahrtausenden mesopotamischer Geschichte - mindestens 200 Kilogramm
Gold, dazu Lapislazuli, Becher aus Bergkristall und Juwelen.
Vergangenen Mittwoch spielten sich vor der Bank in der Raschidstraße brutale
Szenen ab. Knapp 100 Bewaffnete hatten sich über einen Seiteneingang Zugang
in das Gebäude verschafft, einen Kubus aus Sandstein. Links hinter den
verwaisten Sperrgittern parkten Lkws, auf die die bewaffneten Räuber ihre
Beute luden.
Haben die Stammesbanden, die das Gebäude belagerten, die schweren Safes
knacken können? "Das", so Müller-Karpe, "wäre
ein unvorstellbarer Verlust, der in Billionen Dollar nicht zu beziffern wäre."
Und immer wieder kamen neue Trupps auch ins Museum, das für seine "vielen
kleinteiligen Götterfiguren und Schmuckstücke bekannt ist", wie
Müller-Karpe erklärt. Ein Griff - und die Stücke waren in Tüten
und Hosentaschen verschwunden.
Anfangs sah es so aus, als hätten die Diebe die Kellerräume verschont.
Lange Hallen mit Regalen ziehen sich durch das Untergeschoss. "Diese Magazine
sind nicht leicht zu finden, man erreicht sie nur über einen Fahrstuhl",
erklärt der Marburger Orientalist Walter Sommerfeld. Doch auch diese Speicher
sind geplündert. Trauben von Menschen seien dicht gedrängt im Lift
ins Tiefparterre karjuckelt, berichtet der Wächter Khadim. Genaueres weiß
er nicht.
Keilschriftexperten reagierten auf die Meldung mit Entsetzen. "Im Museumskeller
liegen die Uruk-III-Texte, die älteste Bibliothek der Menschheit",
erklärt der Orientalist Nissen. Es sind etwa 6000 Tontafeln, die der Forscher
mit "Bahlsenkeksen" vergleicht: "Im Regen lösen sie sich
auf."
Von der Direktorin Mutawalli war letzte Woche nichts Verständliches zu
hören. In einem TV-Interview brach sie mehrfach in Weinkrämpfe aus.
Eine erste Abschätzung der Verluste liegt vom Museumsarchäologen Reda
vor: "80 Prozent von dem, was wir haben, ist gestohlen."
"Wahnsinn", lamentiert der DAI-Orientale Eichmann. Sind wirklich alle
Exponate perdu? Der Verlust der Relikte aus dem wohl wichtigsten Kraftfeld des
menschlichen Fortschritts wäre ein ungeheurer Aderlass für die Altertumswissenschaft.
Bereits um 3000 vor Christus schwang sich Mesopotamien zum Schrittmacher der
Kultur auf. Wissenschaftler vom Euphrat rechneten mit der Zahl Pi. Sie erfanden
die Astrologie, das Rad und schufen in Babylon die Hängenden Gärten
der Semiramis - eines der sieben Weltwunder der Antike.
Angefangen hat alles am Persischen Golf. Uruk, Ur, Eridu, Mari, Umma, Lagasch
- das waren die Urstätten urbanen Lebens, in denen der Mensch Abschied
von der Steinzeit nahm. Bambushütten und Ziegelpaläste standen dort.
In den engen Gassen schritten Priester in Zottenröcken aus Tierfell umher.
Reiche Hofdamen ließen sich von Dienern Sonnenschirme halten. Gewirtschaftet
wurde zentral in Form des "theokratischen Kommunismus" - der Tempelwirtschaft.
"Geniale Erfinder" nennt Müller-Karpe die Sumerer. Das Bier und
den Bollerwagen brachten sie hervor. Metallurgie, Glasur, das Rollsiegel, die
schnell drehende Töpferscheibe, aber auch die Schrift - all das sind Pionierleistungen
aus dem Zweistromland.
Die Metropole Uruk (biblisch Erech) überstrahlte alles. Rund 500 Jahre
bevor die Ägypter ihre Pyramiden bauten,lebten in dieser Stadt bereits
100 000 Menschen. Schriftquellen zufolge ließ König Gilgamesch eine
fast zehn Kilometer lange Stadtmauer errichten, bewehrt mit 900 Türmen.
Zuletzt im vergangenen Herbst besuchte die DAI-Archäologin Margarete van
Ess jene staubige Piste, unter der die Ruinen der Urzeit-Metropole liegen. Wind
und Wetter haben alles zerstört. Nur das Eanna-Zikkurat ragt noch zwölf
Meter aus dem Sand.
Einst muss Uruk eine phantastische Atmosphäre ausgestrahlt haben. Während
mandeläugige Frauen an den Fleeten feine Gewänder wuschen, ruderten
Lastkähne mit Kupferbarren oder Weizen durch Kanäle direkt in die
Innenstadt. Wie Reliefbilder belegen, bauten die Sumerer geteerte Schilfboote,
mit hochragendem Bug und Heck.
Ursache für die Explosion des Fortschritts war nicht zuletzt die Bewässerungskunst
der Sumerer. Von Stichkanälen gespeist, wuchsen dort Getreide, Knoblauchknollen
und Datteln in Fülle. Drei Ernten im Jahr warf das Land ab. Laut Bibel
flossen vier Ströme durch den Garten Eden. Zwei davon sind Euphrat und
Tigris.
Die Deutschen haben an der Freilegung dieser versunkenen Welt maßgeblich
mitgewirkt. 1898 klopfte die Berliner "Orient-Gesellschaft" beim Sultan
der Osmanen an. Der vergab die archäologischen Filetstücke an die
Spree. Assur, Uruk und Babylon gerieten unter die Schirmherrschaft von Kaiser
Wilhelm II.
Auch die Briten zeigten im Land der Zikkurate Flagge. In den zwanziger Jahren
stießen sie unter meterdicken Flugsanden auf den "Königsfriedhof
von Ur", der Geburtsstadt Abrahams. Unberührte Grüfte mit platt
gedrückten Skeletten, überreich mit Gold behängt, kamen in den
unterirdischen Kammern zum Vorschein. Es waren die Gebeine von sumerischen Granden,
Prinzen und Hofdamen.
Das Team machte auch eine grausige Entdeckung: Die Könige der Frühzeit
ließen sich mitsamt dem Hofstaat beerdigen. Soldaten, Musikanten und Mundschenke
mussten den Königen ins Jenseits folgen. Ein Herrscher nahm 157 Menschen
mit. Sie starben durch Gift.
Im 2. und 1. Jahrtausend schließlich ballte sich die Macht. Entlang der
grünen Oase am Tigris entstanden Königreiche. Assyrer und Altbabylonier
bauten Wehrburgen wie aus einem Fantasy-Film. Verziert mit brettartigen Bärten
schritten die Großmensch genannten Könige einher. Selbst Ägypten
geriet unter das Joch ihrer Heere.
Noch Alexander der Große erlag der Magie des alten Orient. 323 vor Christus,
nach seinem Indien-Feldzug, zog der Stratege in Babylon ein, damals die reichste
Stadt der Hemisphäre und Zentrum aller Gelehrsamkeit. Hier wollte er seine
Vision verwirklichen, Orient und Okzident zu vermählen.
Nur der frühe Tod des Makedonen verhinderte den Plan. 32-jährig starb
Alexander am Fuß des großen Turms von Babylon (Höhe: 91,5 Meter).
Nach einem Vollsuff - die Quellen sprechen von fünf Litern Wein - fiel
er ins Koma, aus dem er nie mehr erwachte.
Auch Saddam, der moderne Diktator, labte sich gern an der langen und ruhmreichen
Geschichte seines Landes. Ein steinerner Riesen-Saddam mit einem archaischen
Helm ziert den Präsidentenpalast in Bagdad. "Sohn des Nebukadnezar"
ließ er sich von seinen Untergebenen nennen.
Das archäologische Erbe - zumeist ungebrannter Ton, der zu Krümeln
verfiel - zog Saddam häufig mit Beton wieder hoch. Das antike Susa ließ
er wiederherstellen. Der größte antike Nachbau steht in Babylon.
Es ist eine Prozessionsstraße mit hohen Fassaden, zulaufend auf eine Replik
des Ischtar-Tors - das Original steht im Berliner Pergamon-Museum.
All dies bewachte ein schlagkräftiger Antikendienst mit 28 000 Angestellten.
Und Saddam schuf harte Gesetze gegen die Ausfuhr von Antiquitäten. Sie
wurden im Dezember 2002 noch einmal verschärft.
Die Embargo-Politik der Alliierten hat dieses System völlig ausgehöhlt.
Bereits 1991, nach dem letzten Golfkrieg,verlor Bagdad teilweise die Gewalt
über die Provinzen. Zehn Regionalmuseen wurden damals geplündert,
4000 Artefakte kamen abhanden. Die Unesco führt sie in einer Liste als
"Lost Heritage". Nur drei Stücke tauchten wieder auf.
Verarmt durch den Ölboykott, hatte der Antikendienst kaum noch Mittel,
das Treiben in den Flugverbotszonen zu stoppen. Räuber trampelten dort
Zäune nieder und buddelten auf eigene Faust in Nimrud, Ninive und Uruk.
Zuletzt beschäftigte die Behörde kaum mehr als 1000 Leute. "Es
wurden nur noch Hungerlöhne von fünf bis zehn Dollar im Monat gezahlt",
sagt Müller-Karpe, "deswegen lag die Frauenquote bei 90 Prozent."
Westliche Archäologen halfen, wo es ging. Kleine Trupps, meist als "Forschungsgruppen"
getarnt, besuchten das Land.
Im April 2000 gelang es sogar, das geschlossene Museum von Bagdad wieder zu
eröffnen, dessen Bestände durch den letzten Krieg völlig durcheinander
gewirbelt worden waren. Über 100 Westarchäologen reisten an, als der
Irak in einem feierlichen Akt die neue Schausammlung zeigte.
Nur die USA blieben unversöhnlich: "Auf Grund des Embargos durfte
das Museum weder eine Alarmanlage noch eine Klimaanlage einbauen", erzählt
der Orientalist Sommerfeld.
Mit dem Pulverdampf der letzten Wochen hat das Land erneut antike Sub-stanz
verloren. Zwar pinselten irakische Helfer mit blauer und weißer Farbe
das Piktogramm der Stiftung Weltkulturerbe auf die Dächer der 20 wichtigsten
Museen im Land. Gleichwohl gerieten die Antikensammlungen in Tikrit und Mossul
unter schweren Beschuss. In Bagdad wurde der Abassidenpalast bombardiert. Seine
Grundmauern stammen aus dem 9. Jahrhundert.
Doch das sind Peanuts gegen die Raubzüge vom Alawi-Platz, wo das befreite
Volk, bewehrt mit Kuhfüßen einen "Veitstanz der primitivsten
Zerstörungslust" ("Frankfurter Allgemeine") aufführte.
Womöglich lauern aber noch andere Gefahren - und zwar in den USA. Dort
nämlich bereiteten einflussreiche Mäzene einen Deal vor: Sie wollen
ganz legal an die prall gefüllte Schatzkammer aus Sumer.
Bereits am 24. Januar wurden beim State Department zwei elegant gekleidete Männer
vorstellig - Vertreter des "American Council for Cultural Policy".
Der Verein bezeichnet sich selbst als Sammelbecken von "prominenten Sammlern
und Kuratoren". Sein Leiter ist Ashton Hawkins, ehemals Rechtsberater des
Metropolitan Museum in New York.
Der Besuch der Granden, zu denen schwerreicher Geldadel und Ex-Leute vom Getty
Museum gehören, hatte ein klares Ziel. Sie halten das harte irakische Antikengesetz
für zu "zurückhaltend". Ausländische Archäologen,
so das Begehr, müssten in Zukunft schneller Grabungslizenzen erhalten.
Den wichtigsten Punkt bei dem Lobbygespräch nannte schließlich der
Schatzmeister des Vereins, William Pearlstein. Iraks Antikenwunder sollen in
Zukunft auch legal über die Grenze gehen können: "Wir möchten
die Freigabe mancher Objekte für den Export."
MATTHIAS SCHULZ, BERNHARD ZAND
------------------------------------------------------------------------
© DER SPIEGEL 17/2003
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet AG
------------------------------------------------------------------------