Aktuell
ISRAELS GEHEIMGEFÄNGNIS
"Ich wollte nur noch sterben"
Mit verbundenen Augen saßen die Häftlinge in dunklen, fensterlosen
Zellen. Auf die Frage, wo sie sich befänden, lautete die Antwort "auf
dem Mond". Ein Geheimgefängnis, in dem der israelische Inlandsgeheimdienst
Schin Bet wochenlang Palästinenser ohne Kontakt zur Außenwelt festhielt,
bringt Premier Scharon jetzt unter Druck.
REUTERS
Ariel ScharonJerusalem - Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass das
Geheimgefängnis einen Verstoß gegen internationales Recht darstelle.
Israel lehnt Angaben zum Ort des Gefängnisses und deren Insassen ab. Der
Generalstaatsanwalt hat die Existenz des als "Einrichtung 1391" bekannten
Zentrums am 9. Juni bestätigt, nachdem die Menschenrechtsorganisation HaMoked
sich wegen der verschwundenen Gefangenen Baschar und Mohammed Dschodallah an
das Oberste Gericht gewandt hatte.
Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon wies Schin Bet jetzt an,
in den kommenden Tagen eine Liste palästinensischer Sicherheitshäftlinge
auszuarbeiten. Anhand der Liste solle entschieden werden, welche der Gefangenen
freigelassen werden können, berichtete der israelische Rundfunk am Montag
weiter. Scharon hatte der US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice am Sonntag
zugesagt, als Zeichen des guten Willens palästinensische Häftlinge
freizulassen. Zum Ort des Gefängnisses erklärte Israel lediglich,
dass sich das Zentrum auf einem geheimen Militärstützpunkt befinde.
Nähere Angaben würden die nationale Sicherheit gefährden, hieß
es.
Schin Bet habe das Zentrum nur für einen kurzen Zeitraum im April letzten
Jahres genutzt, als der israelische Einmarsch im Westjordanland zu hunderten
Festnahmen und einem Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten für Festgenommene
geführt habe, hieß es in der Erklärung des Generalstaatsanwalts.
Seitdem seien alle palästinensischen Gefangenen von dort weggebracht worden,
und das Zentrum werde "wenn überhaupt, für besondere Umstände"
genutzt, "für Festgehaltene, die nicht Bewohner der (Autonomie-)Gebiete
sind". Es blieb offen, welche Justizbehörde die Einrichtung nun nutzt.
Sowohl die Armee als auch das Büro von Ministerpräsident Ariel Scharon,
das für Schin Bet zuständig ist, lehnten eine Stellungnahme zur Identität
oder der Nationalität der dort Festgehaltenen ab. Auch über die Art
der "besonderen Umstände" wurden keine Angaben gemacht.
"Psychologischer Druck enorm"
Die Namen der in der geheimen Anstalt inhaftierten Gefangenen werden nicht veröffentlicht;
die Betroffenen sind daher weder für Angehörige noch für Anwälte
erreichbar. "Ein geheimes Haftzentrum wäre ein Verstoß gegen
die 4. Genfer Konvention und israelisches Recht", sagte Jael Stein von
der israelischen Menschenrechtsgruppe B'tselem. "Wenn keiner weiß,
wo Häftlinge festgehalten werden, können sie mit ihnen machen, was
sie wollen. Sie können sie foltern und misshandeln oder sie sogar töten,
und keiner wüsste davon."
Der 50-jährige Kleiderhändler Baschar Dschodallah aus Nablus wurde
im November 2002 mit seinem Cousin Mohammed festgenommen, als beide von Jordanien
nach Israel einreisten. Er wurde drei Monate lang festgehalten, davon nach eigenen
Angaben 38 Tage in der geheimen Einrichtung. Sein 23-jähriger Cousin wurde
wegen Mitgliedschaft in der Untergrundorganisation Hamas verurteilt und befindet
sich in israelischer Haft.
Dschodallah war nach eigenen Angaben in einer kleinen Einzelzelle mit einem
Betonbett untergebracht. Wände und Decke seien schwarz angemalt gewesen,
ohne Fenster. "Nur ein ganz schwaches Licht kam von oben, so dass ich nicht
wusste, ob es Tag oder Nacht war." Wenn er aus der Zelle gebracht wurde,
musste er Handschellen und eine dunkle Brille mit einem schwarzen Tuch über
den Augen tragen. Auch wenn Soldaten seine Zelle betraten, musste er sich die
Augen verbinden. Nur den Gefängnisarzt habe er sehen dürfen. Gespräche
unter Gefangenen seien verboten gewesen. Der psychologische Druck sei enorm
gewesen. "Nicht zu wissen, wo ich war, die Isolation, das hat mir wirklich
zugesetzt. Ich wollte nur noch sterben."
Gefangenen zufolge sollen auch Mustafa Dirani und Scheich Abdul-Karim Obeid,
zwei von Israel entführte libanesische Milizführer, in dem Zentrum
festgehalten werden. In einer eidesstattlichen Aussage, die AP in Kopie vorliegt,
beschrieb Dirani eine Einrichtung, die dem Bericht Dschodallahs entspricht.
Israel hält Obeid und Dirani seit 1989 beziehungsweise 1994 als Faustpfand
fest, um das Schicksal des 1986 über Südlibanon abgeschossenen israelischen
Kampfpiloten Ron Arad aufzuklären. Beide werden unter besonderen Sicherheitsgesetzen
ohne Gerichtsverfahren festgehalten. Jahrelang bemühte sich ihr Anwalt
Svi Risch vergeblich um Informationen über ihren Aufenthaltsort. "Ich
hatte keine Ahnung, wo sie festgehalten wurden", sagte er.
Gavin Rabinowitz, AP
IN SPIEGEL ONLINE
· Gazastreifen: Israelisches Militär zieht ab (30.06.2003)
DRUCKVERSION
ARTIKEL VERSENDEN
LESERBRIEF SCHREIBEN© SPIEGEL ONLINE 2003
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet AG
REISE | POLITIK | WIRTSCHAFT
30. Juni 2003
Alles zum
Nahostkonflikt
Flash-Zeittafel
56 Jahre Berichterstattung im SPIEGEL der Zeit
------------------------------------------------------------------------
Aktuell
Israels Geheimgefängnis: "Ich wollte nur noch sterben" Alle
News
------------------------------------------------------------------------
Forum
Nahost:
Neue Hoffnung nach dem jüngsten Friedensplan?
------------------------------------------------------------------------
Analysen, Interviews, Reportagen
US-Außenpolitik:
Bushs ganz persönlicher Nahostkonflikt
Nahost:
George von Arabien
Nahost:
Arafats junge Garde
"Es herrscht nur noch Ohnmacht":
ie israelische Journalistin Amira Hass über ihr Leben in den Palästinensergebieten
Interview zur Israel-Wahl:
"Das war ein Pyrrhus-Sieg"
...und weitere exklusive SPIEGEL-ONLINE-Artikel
------------------------------------------------------------------------
Porträts
Wer welche Rolle spielt
George W. Bush Ariel Scharon Husni Mubarak
Jassir Arafat Mahmud Abbas Scheich Jassin
------------------------------------------------------------------------
Im Web
Klick in die Welt:
Links zu Israel und Palästina
SPIEGEL ONLINE ist nicht verantwortlich für die Inhalte externer Internetseiten.
------------------------------------------------------------------------
Glossar
Ein kleines Nahost-Lexikon:
Von Dschihad bis Wasser
------------------------------------------------------------------------
Länderlexikon
Israel in Fakten und Zahlen
Palästina in Fakten und Zahlen
------------------------------------------------------------------------
Karten der Region
Der Nahe Osten seit 1948
Hasserfüllte Nachbarn
(Flash-Plugin nötig)
------------------------------------------------------------------------
Redaktion: Dominik Baur
[ Home | Politik | Wirtschaft | Netzwelt | Panorama | Kultur | Wissenschaft
| UniSPIEGEL | Sport | Auto | Reise ]
[ Wetter | Marktplatz | Schlagzeilen | Forum | Leserbriefe | Newsletter
| Archiv | Shop ]
[ DER SPIEGEL | SPIEGEL TV | SPIEGEL-Jahrbuch | KulturSPIEGEL
| SCHULE@SPIEGEL ]
[ Impressum | Hilfe | Kontakt | SPIEGEL-Gruppe | Mediadaten ]