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SPIEGEL ONLINE - 17. Juni 2003, 16:11
URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,253318,00.html
Anti-Terrorkampf
 
Guantánamo - Bucht der Verzweifelten
Monate der Unsicherheit haben sie hoffnungslos gemacht. Den einzigen Ausweg aus ihrem Schicksal sahen manche der in Guantánamo Bay inhaftierten Taliban-Kämpfer und mutmaßlichen al-Qaida-Terroristen nur noch im Selbstmord - andere leiden unter schweren Depressionen.
AP
Neubau von Gefängnissen für die Häftlinge im Camp DeltaKabul - Einige der 32 Afghanen und drei Pakistaner, die in den vergangenen drei Monaten aus dem Lager auf Kuba freigelassen wurden, beklagen neben menschenunwürdigen Verhältnissen, dass sie nie darüber informiert wurden, weshalb sie sich überhaupt in Gefangenschaft der Amerikaner befanden. Geschweige denn, dass sie jemals eine Anklage zu Gesicht bekamen.
Die psychologisch belastende Situation eines ungewissen Schicksals, die ständigen Verhöre und die Sprachbarrieren zwischen den Gefangenen aus 40 Ländern ließen manchen den Freitod süßer erscheinen, als ihr Dasein zeitlich unbestimmt in den vier Quadratmeter kleinen Zellen zu fristen.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langen die Situation in den Gefängnissen auf dem Militärsstützpunkt. Doch ihre Handhabe ist minimal: Die USA gestehen den Häftlingen nicht den Status von Kriegsgefangenen zu, sondern halten sie als "ungesetzliche Kombattanten" rechtlich vogelfrei.
Es machten Gerüchte die Runde, dass dies ein Gefängnis sei, das für 150 Jahre angelegt ist, sagt Suleiman Schah. Der Taliban-Kämpfer aus dem Süden Afghanistans brachte 14 Monate in dem Lager zu. Offensichtlich unschuldige Gefangene wollten die Amerikaner für ihren Zwangsaufenthalt in der Karibik finanziell entschädigen. Doch davon hat bis heute keiner der entlassenen "Fußsoldaten" etwas gesehen.
Am Rande des Wahnsinns
Journalisten der "New York Times" (NYT), die jetzt mehrere der Freigelassenen in ihrer Heimat interviewten, fanden zwar keine Berichte von körperlichen Misshandlungen vor. Aber allein die Enge der Zellen trieb einige an den Rand des Wahnsinns, andere in Depressionen. Zudem verfügten ihre Zellen zwar über ein Holzdach, aber von den Seiten waren ihre Gefängnisse schutzlos der Umwelt ausgesetzt.
"In dieser Enge schliefen, aßen, beteten wir und benutzten die Toilette", klagt Schah. Jeder verfügte über zwei Decken und einen Gebetsteppich. "Wir schliefen und aßen auf dem Boden", sagt er. Lediglich einmal in der Woche durften die Gefangenen ein Duschbad von einer Minute nehmen. Nach viereinhalb Monaten hätten sie sich ernsthaft über die Verhältnisse beschwert und die Nahrung verweigert. So konnten die zeitweise 680 Gefangenen pro Woche wenigstens eine Fünf-Minuten-Dusche und zehn Minuten Bewegung in einer neun Meter langen Zelle durchsetzen.
"Ich habe versucht, mich umzubringen", sagt der 20 Jahre alte Schah Muhammad, ein Pakistaner, der im November 2001 im Norden Afghanistans festgenommen, an die Amerikaner ausgeliefert und im Januar vergangenen Jahres nach Guantánamo Bay geflogen wurde. "Ich habe es vier Mal versucht, weil ich meines Lebens so überdrüssig war."
Dabei verstoße es gegen den Islam, den Freitod zu wählen, fügt er hinzu. Aber das Leben sei dort so unerträglich gewesen, dass es viele der Mitgefangenen versucht hätten. "Sie haben mich als Schuldigen behandelt, dabei war ich doch unschuldig", sagte Schah Muhammad der NYT.
28 Selbstmordversuche
DPA
Gefangener im Camp X-RayIn den 18 Monaten seit Eröffnung des Lagers gab es laut offiziellen Angaben 28 Selbstmordversuche von 18 Gefangenen - die meisten in diesem Jahr, sagt der Sprecher des Lagers, Oberst Warren Neary. Keiner habe sich wirklich umbringen können, doch ein ehemaliger Lehrer hat nach Angaben seines Anwaltes bei einem Suizidversuch ernsthafte Hirnschädigungen erlitten.
Unter den Gefangenen sind neben vielen Afghanen mehr als 50 Pakistaner, etwa 150 Saudi-Araber und drei Jugendliche unter 16 Jahren. Die meisten von ihnen wurden in Afghanistan gefangen genommen, sagt Najeef Bin Mohammed Ahmed al-Nauimi. Al-Nauimi war frührer Justizminister des Golfstaates Qartar und vertritt heute fast 100 der Gefangenen.
Seine Klienten sind überwiegend Saudis, aber auch 14 Häftlinge aus Kuweit. Zudem befinden sich in dem Lager auf dem US-Militärstützpunkt auf Kuba noch 83 Jemeniten und vereinzelte Gefangenen aus Kanada, Großbritannien, Algerien, Australien und ein Mann mit schwedischer Staatsbürgerschaft.
Nach Angaben von Lagersprecher Neary wurden bislang insgesamt 41 Personen entlassen. In Kürze sollen die ersten zehn Gefangenen vor ein Militärgericht gestellt werden, kündigten US-Regierungsvertreter diesen Monat an.
Islamisches Gebet ertönt fünfmal am Tag
Mittlerweile haben sich die Lebensbedingungen für die Gefangenen etwas verbessert. Am Anfang gab es in den Zellen keinen Schutz vor der Sonne, nun ist das behoben und es gibt dort auch fließendes Wasser und ein Bett. Auch wurde in den ersten fünf Monaten auf einen islamischen Gebetsruf verzichtet. Jetzt wird über die Lautsprecher des Gefängnisses fünf Mal am Tag zum obligatorischen Gebet gerufen. Außerdem dürfen die Gefangenen mittlerweile ihre Zellen zweimal in der Woche für 15 Minuten verlassen. Zudem erfolgen die früher regelmäßigen und langen Verhöre nur noch sporadisch.
Rustam, ein Taliban-Kämpfer aus dem Süden Afghanistans sagt den Reportern der NYT, auch er habe mehrmals versucht, sich aufzuhängen. Er sei in einem Block mit Arabern und Usbeken eingesperrt gewesen, die der 22-Jährige als "verrückt" bezeichnet. Sie hätten andauernd ihre Köpfe an die Wände geschlagen und die US-Soldaten beleidigt. Das habe er nicht mitmachen wollen - doch verlegt wurde er erst nach einem Selbstmordversuch.
Obwohl US-Militärs offiziell nicht eingestehen wollen, dass diese Verhältnisse zu Depressionen führen können, bemängelt auch Jamie Fellner die langen Inhaftierungszeiten ohne Anklage. Die Direktorin der Menschenrechtskommission der Uno bestätigt, dass sich die lange andauernde Unsicherheit für die Gefangenen "psychologisch ernorm stressvoll" auswirke.
Der Pakistaner Schah Muhammad beklagt sich darüber, dass er nur von Arabern umgeben war, deren Sprache er nicht verstand. Der 20-Jährige litt unter seiner Isolation so sehr, dass er sich mit einem Betttuch erhängen wollte. Erst als er zwei Tage später wieder in der Krankenstation aufwachte, wurde ihm gesagt, dass er nur zur Befragung festgehalten wird. Und erst dort versprach ihm ein Amerikaner, dass er eines Tages auch wieder nach Hause kommen werde.
 
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