Werner-Gegnerschaft im Regietheater jener Zeit genauer anschauen und beides vergleichen, so entpuppt sich der ganze Popanz jener
"Melancholie der Zeit" genannten Ästhetik als Sentimentalität, Larmoyanz und als Manierismus einer Ausstattungsdramaturgie technokratischer Macher-Aktivitäten der als Aufklärung verkauften '68er-Ideologie
eines Ensemble-Tricks aus nicht zu leugnender "Psycho-Kiste", woran Medien-Funktionäre, hilflos-aggressiv gegen die Väter-Generation, gar nicht vorbei konnten. Der Absturz war programmiert, wenn solche
Liebesgeschichten sich dann als das erweisen, was sie sind, sobald der Gefühlsrausch abfällt, nämlich als lärmendes Nichts, hier dann auch noch zynisch ausgegeben als eben echtes Theater der Lügen-Masken von Grund auf
und als Marktwert-Qualität im Augenblicksgetümmel jenes Pakts mit dem Establishment der Zeit. Dabei war eine Lösung zu finden gerade in
dieser Zeit, in der Theater möglich war wie noch nie mit experimentalen Freiheiten nach allen Seiten offener Formen. So sagt man. Nicht als sich totlaufende Interpretationsvarianten zu sich nicht vermehrenden Texten,
sondern aus der Ich-Autorenschaft der Darstellenden, auf der Bühne und im Publikum oder auch vermengt, wenn sie souverän gewesen wären. Aber waren sie denn das, an allen Irrtümern, die das Leben spannend machen, ehrlich
scheiternd, authentisch in der Tragik unserer Zeit, identisch mit diesem Lande an diesem Ort, Kämpfende, nicht alle offenen Türen der Öffentlichkeitsorgane Einrennende, sondern als Leidende, die man braucht, selbst wenn
man sie bekämpft ?Brecht schrieb 1953, als die Funktionäre des Ostens seinen "Urfaust" nicht wollten, über die "Einschüchterung durch Klassizität". Das war gegen die offizielle Linie
der östlichen Nachkriegsästhetik am prominentesten Theater der Ostrepublik. Wo machte einer und schrieb einer von unseren wichtigen Leuten am prominentesten Haus im freien Westen etwas gegen die offizielle Linie,
etwa über die Einschüchterung durch Aufklärungs-Modernität ? Der falsch verstandenen Aufklärung z.B. ohne Mut, weil kein Anlass und alles offen, erlaubt, frei ? Kein Brecht ? Eine Generation ohne Entwicklung, aus
falscher und präpotenter Schülerschaft ? Gute Schüler, aber keine Menschen. Was war der Impetus des "Urfaust" Brechts ? Eine neue Ästhetik der Abtrünnigkeit. Des sonst Geschätzten ? Es war
einfach, er war der Darstellerin des Gretchen im Herzen zugetan. Und das merkte man der Aufführung an. Sie war nicht sensationell als Gegenmodell zum eigenen"Epischen Theatersystem", sondern unter deutlich von
allen Mitwirkenden beklagter Vernachlässigung aller anderen Stränge eine nahezu monologisch sich auswirkende Bevorzugung und Stärkung eines Gretchens aus herzlicher Sorgfalt und neuen Gedanken. Und darin war er modern
im besten Sinne neuer Einsamkeiten auf der Bühne, Beckett vergleichbar, hier aus der Praxis seines Theater-Lebens. Und als Kortner vor der Kamera auf der Bühne noch einmal seine alten Text e zitierte und sprach und
damit eins wurde, war er interessant plötzlich als Ich-Figur in seinen Rollen. Das war ausbaufähig. 47Nein, Oskar
Werner hatte keine Chance mit solchen Gegnern, unter Blinden und Tauben, ohne eigene Ästhetik neuer Darstellungs-Autoren, trotz einer Freiheit der Formen wie nie, selbst unerlöst und ohne Hilfe. In einer Demokratie, die
ihren Kunstauftrag nie fand. Sicher ist es immer eine Frage der Macht, sich mit allen Mitteln die Anderen vom Leibe zu schaffen, die Benutzbaren zu unterwerfen und dienstbar zu machen, zu zerstören und sein Gen
fortzupflanzen auf den Ruinen der Vernichteten der Zeiten und Länder und Existenzen rundum. Aber wenn nichts ist als bloßes Machen, ohne Herz und Verstand, die miteinander untrennbar Verbundenen, und die gebrochene
Unheilbarkeit der Zeiten sich mit der brutalen Machtgier verbindet, dann ist das nassforsche und zerstörerische Selbstbehaupten dieser Existenzen Ursache aller Verhinderungen und Untergänge solcher letzten Emanationen
theatralischer Kunst, wie sie mit einem Oskar Werner endeten, in altem Wissen, was hier mit intuitivem Gefühl gerade noch einmal erreicht wurde jenseits des Betriebs und mit Hilfe jener geistigen Koordinaten, die solche
Höhe halten und alleine garantieren. Eine Generation, die sich mit Preisen im Namen Kortners oder als seine sogenannten Schüler gerne schmückt, hat es nicht geschafft, Oskar Werner den Abtritt von der
Bühne zu bieten, der ihn zumindest sachlich dokumentiert hätte. Er war nicht direkt konfrontiert ihr Gegner, und doch haben sie ihn auf dem Gewissen der Scham und haben Schuld, nicht einmal den Ernst dieses Abgangs
wahrgenommen zu haben. Im dritten Fall wird weiter unproduktiv gehandelt. Und wenn man sie fragt, so wissen sie nichts, nicht einmal, worum es eigentlich geht. Alle. Selbst die Freunde. Unwissenheit im Bereich der Kunst
aber ist nur dem erlaubt, der aus Eigenem ist, existiert und schafft. Wo aber wäre denn dies Eigene von Anfang an je auch nur gewollt ? Schlimm jedoch und unendlich traurig, auch tragisch, ist das Scheitern aus
Schwäche im System dieser demütigen Unproduktivität des Geistes, wenn die Flügel beschnitten, der Käfig nun zur Welt heroisiert wird, Käfig einer einmal erreichten Freiheit ins neue Land, wie abgründig auch immer. Aber
nicht zu verzeihen ist jenen Ausbeutern, die an dieser Not sich nähren. 48Der Versuch unserer Zeit zur Ich-Form,
den Kosmos aus dem eigenen Erleben zu verantworten, auch auf der Bühne zu versuchen, scheitert immer wieder in kümmerlichen Ansätzen oder in unerlösten Experimenten und am Widerstand eingeübter Theaterpraxis aus
verschiedenen Gründen von Ignoranz bis hin zu böswilliger Eifersucht oder Angst. Was in Literatur und Malerei oder sonstiger Kunstbehauptung geläufig ist, endet auf dem Theater am Widerspruch zwischen monomanischem
Regietheaterkonzept des ichsüchtigen Dieners an Partitur und Ensemblegeschehen und jener Phobie, produktiv sich zu bekennen und vielleicht auch am Unvermögen zu lösen und zu leisten, was da zu tun wäre. Oskar Werner
drängte kraft seiner Aura zum monologischen Theater von "Tasso" über "Hamlet" bis zu seinem letzten "Homburg", ohne den Mut gefunden zu haben, das offen zu sagen und zu behaupten, wenn er
auch in der geplanten Faust-Mephisto-Einheit schon weit ging oder in jener von Freunden bezeugten Operndemonstration der Zauberflöte durch ihn allein mit allen Stimmen und Hauptinstrumenten dazu. Erlöst aber war dieser
Wunsch nicht. Soweit ersetzten auch die Gedichte ohne Raum in vielen Lesungen schon das Theater des Betriebs. Wenn nun dieser "Homburg"-Film nachträglich als Monolog verstanden wird und,
nur seine Linie herausgenommen, ihn gerade noch umgeben von den anderen zeigt und ihn dann herauslöst, so wird diese Lösung nur gerechtfertigt sein in ihrer Höhe, wenn sie allein ihm gewidmet ist und beweist, was er
wollte. Daß in ursprünglichen Zeiten dieses Theaters einmal aus dem Chor der einzelne heraustrat und so zum Einzel-Ich wurde im Dialog mit den Anderen, ist lang vergessen, versäumt und wäre doch wert, bedacht zu werden:
Was das hieß und noch immer bringt gerade in unserer Zeit der Kunstlegitimation aus der Ich-Darstellung und ihrem Verständnis. Man überlege die läppischen oder großen Schlußworte des "Homburg" im Heilgetöse
("Sieg, Sieg, ins Feld, ins Feld") und im chorischem "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs", wenn das zurückgegeben werden kann in einen Mund, aus dem es kam, dem Dichter-Ich des Darstellers. Und
man erwäge Hölderlins Schicksal, aufgeteilt und wieder zusammengeführt in einer Seele, in die vielen Gestalten seines Ichs, oder Richard Wagners Möglichkeiten, wenn man seine seltsam maskierten Figuren eines
historisierenden Jahrhunderts ins Ich verlegt, dessen Flucht Nietzsche ihm vorwarf, dieser offene Bekenner seines Irrens. Wieviel wäre da noch zu tun und zu finden und lange kein Ende. 49Eine mögliche Bühnen-Ästhetik, die das heutige Ich-Universum im Seelen-Drama individueller Innenwelterfahrung als
Erforschung und Verantwortung des äußeren und erweiterten Kosmos ernst nimmt, wird einen anderen Typus der Darsteller brauchen und entwickeln. Nicht den Masken-Menschen, der sich in vielen verschiedenen Rollen anderer
Figuren erfährt, sich prostituierend wie eine "Hure" (Minetti), im "Bordell"-Vergleich (P.Stein:"Früher war das um die Ecke"), in immer mehr Nacktheit und Intimität, wie Wachstumsraten des
Jahres zu messen, daß uns Angst wird, wohin das nach dem Ende solcher Wachstums-Ideologie dann führen soll, wenn nicht in Wellen der Moden immer wieder zurück und von Neuem als blödes Spiel. Es wird jene Darstellung und
Menschen der Ich-Aussetzung geben, die, in sich gehend, eine Linie der offengelegten Schichten zeigen, Schichten unserer aller Neugier, Erfahrung und - in unumkehrbaren Entwicklungen - Figuren des Alterns, der Freude
und des Schreckens, aller Erfahrungen des Lebens also, aber als Ensemble, Dinge und Landschaft der Seele selbst, worin jeder sich erkennen kann als neue Empirie der Zeit, - auf spannende Weise alten Menschentönen
gemäß mit neuen Melodien. Um die Praxis dieser Möglichkeiten in verschiedenen Varianten zu versuchen, wäre es hilfreich zu fragen, was das Urgestein des Theaters, der Chor, eigentlich war und uns heute sein kann. Der
Chor vor der Landschaft statt unserer heutigen Höhlen und Techniken von Beschallung und Licht und welche Funktion Ton und Bild in diesem verändertm Kosmos des Ichs dann übernehmen können. Oder Projektionen und leere
Räume, begehbar und mit Video-Augen, live oder weit darüber hinaus. Oder nichts als der Mensch, der dort oben steht. Oder einer, so verstanden unter anderen, oder die anderen um ihn oder nur sie. Ist das aber einmal
erfaßt, erlaubt es kein Zurück. Diese neue Ich- und Welterfahrung schließt jeden Handel mit den alten, musealen, entkräfteten Maskenspielen als Erforschung unserer weitertreibenden Seelenwelten aus. Oskar Werner nahm
lieber sein verhöhntes Scheitern und isoliertes Leben als Zuerkennung eines höchsten Triumphes auf sich, verglichen mit den kleinen Siegen, den schändliche Erfolge auf den Schlachtfeldern des Betriebs ihm noch
garantiert hätten. 50So wäre es auch möglich, mit den nachgelassenen Tönen eines Menschen zu sprechen, auf sie zu reagieren, sie
zu beantworten in Totengesprächen, neuen Dialogen mit dem Jenseits, klagend erfüllend, was hier vorher nicht möglich war, Antwort zu geben, auch mit dem Körper des Zuhörens, und zu ergänzen das Unfertige. Oskar Werners
Faust-Fragmente auf dem Band so |