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Kritiken zum "Homburg" in Krems:  Premiere am 7. August 1983
"Oskar Werner hat sich selbst hingerichtet".
"Hinrichtung".
"Selbstmord".
"Tragischer Abgang".
"Debakel".
"Warnungen."
"Keinen längeren Monolog von  sich zu geben (imstande). Dieser Mann ist am Sterben".
"Wer weiterhin die nahestehende Katastrophe verschweigt, der darf sich nicht mehr guten Gewissens als Verehrer und Freund des bedeutenden Schauspielers bezeichnen"(Die Presse, Endler, 23.Juli 1983)
"Das Fest soll aus irgendwelchen Gründen der Krankheit, Organisationsschwierigkeiten im letzten Moment abgesetzt werden. Es soll nicht stattfinden."
"Oskar Werner flennt, bramarbasiert und säuft."
"Der österreichische Geniekult ist ein menschenverschlingender und ein menschenverachtender Kult. Die Nahrung muss ihm sofort verweigert werden. Der Mensch Oskar Werner hat ein Recht darauf, vor der letzten Selbstzerstörung bewahrt zu werden." (S.L. "Profil" No. 32 / 83).

Da werden die so aufgeklärten Klugen kommen und sagen, gerade die Mangelhaftigkeit des Videomaterials beschönige wie der Gesang die Realität. Man höre und vergleiche. Gerade dieses Material beweist die Seele der Bewegungen und die jahrelang totgetriebene und -gesagte Aura mehr als plumper Realismus der alltäglichen Kritik noch nach Jahren als einfachen Sieg der Künste gegen jene "Liebesbeziehungen" mit den aufgeklärten Medien seiner geschickteren Kontrahenten.

 

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Aus Anlass des zehnten Todestages wurde im Fernsehen (ORF) ein Sechzig-Minuten-Monolog von Oskar Werner gesendet ("Ich durfte am Tisch der Götter sitzen") in seiner vom Alkohol gezeichneten Existenz, so wie er ein halbes Jahr vor seinem Tode erschien. Immer wenn Passagen von Kunst-Erinnerungen kamen, hellte sich das sonst grausam zerstörte Gesicht auf und die Sprache wurde, wie von einem Wunder berührt, leicht. Diese Phase seines Äusseren änderte sich in den nächsten Monaten bis zu neuer verfeinerter Durchsichtigkeit, von innen gleichsam, auch im Alltagsbild seiner Erscheinung.

Der in seinem Lande verehrte Schauspieler und Sänger W. starb in Moskau nicht zuletzt am Alkohol. Täglich liegen frische Blumen auf seinem Grab und in seiner Garderobe des Theaters hinter dem Spiegel, vor den sich niemand sonst zu setzen wagt. Niemand hätte angesichts der nachlassenden Kräfte in seinen letzten Jahren ihn dafür gehöhnt, als er sich mit den Offiziellen seiner Zeit überwarf, oder hätte, wenn er mit schwerer Zunge auftrat, gelacht, oder hätte, wenn er etwas wiederholen mußte oder ausließ und steckenblieb, ihn deshalb weniger geliebt. Denn in Russland sind die Trinker heilig, was aber nicht gilt für die des Lasters unserer Zeit. Da ist es, wo der Rassismus der Aufgeklärten beginnt, wenn sie raten, man möge diese Leute von den Menschen und ihren Auftritten fernhalten. Ausschließen, ausradieren, verbrennen, ausrotten, verweigern, verschweigen - beginnt im Intellekt und mit seinen Worten.
Der von den Göttern der Musik begnadete Svjatoslav Richter spielt in den seltenen Konzerten gerne abseits und nur vom Blatt der Partituren, die man ihm wenden muß, und manchmal sind nicht alle Töne exakt, wie es heißt. Aber sonst ein Gott der Töne, unserer inneren Töne, würde niemand es wagen zu gehen oder einen Auftritt zu versäumen, sobald er in der Nähe ist, oder sich seinen Exerzitien entziehen, wenn er unbehindert und unbeirrt von den Eitelkeiten des Mittelmaß-Interesses wohlgepflegter Betriebsamkeiten seine Kreise zieht.

In den USA war Elvis Presley gerade am Ende seines Drogenweges luzide und von seinen Anhängern geliebt wie nie zuvor.

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Bruno Ganz, der Darsteller des"Homburg", 1972 (Schaubühne - Peter Stein), wirft sich schreiend auf die Erde, als er vom Grab spricht, und schaut betreten nach unten, wenn er jeden Anspruch aufgibt auf Glück und seine Liebe verrät. Er wendet sich nach hinten, wenn er zur Geliebten sagt: "Du, armes Mädchen weinst" (sie mit dem Rücken dazu, daß man beide Gesichter nicht sieht). Das darauf folgende :"Deine Miene sagt mir, treu wie Gold" ist in Berlin gestrichen. Und wenn er das Leben und den Tod bedenkt im Derwisch-Vergleich, legt er sich so auf den Boden, daß man sein Gesicht nicht mehr sieht. Angst vor Gefühlen, Pathos ? Leere? Identitätsprobleme ? Die Kostüme zeigen Kinder in Latzhosen, teuer hergestellt, traumhafter Infantilismus als Flucht ? Der Regisseur macht "traumhaft" schöne Bilder, bis hin zum exzentrischen Kurfürsten als  Vater, dem man eigentlich Kinder nicht zutraut.
Aufklärungsgeneration ? Vom Kopf her ja, nicht mit dem Herzen und gar nicht mit dem Verstand künstlerischer Verantwortung nach sicher akademisch genauen Proben. Man vergleiche.

Wenn Oskar Werner auf den Knien - wie vom Autor gewünscht - sagt: "Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben", wühlt er sich, die Mutter umarmend, die vor ihm steht, in den Rock ihres Kleides, sein Gesicht verbergend, und sein Körper drückt sich in einem konvulsivischen Bogen letzten Flehens und Aufbäumens der Kreatur an sie. Und wenn er beschwört, er gebe jeden Anspruch auf Glück auf, sieht man beim Wort und Gedanken, man möge ihn aus dem Heer entfernen,  ihn sich mit der Hand vor die Stirne fahren und lange innehalten und schreiend höhnisch die eigene Liebe verraten. Dagegen sieht man ihn ganz sanft werden, wenn er anbietet, den Hof zu verlassen, um fernab des Lebenskreises von Morgen bis Abend zu jagen, bis er stirbt, - wie er sich selber sieht. So hat man in seinen Worten Berge und Sonne und Gesinde immer deutlich vor Augen, und klar, mit reicher Fülle und ohne Larmoyanz den Tod. Wenn er "Du armes Mädchen weinst" sagt, senkt er den Kopf, selber in der Geste schamhaft verborgener Trauer über seinen Verrat eben noch, als er sie nicht mehr zu wollen vorgab, als könnte eben das sein Leben retten. Und wenn er von des Lebens Reise spricht ( - wie der Derwisch sage -), dann sieht man ihn ruhig und nachdenklich, Hamlet gleich, den Tod bedenken, aus kleiner Handbewegung des   Lebens Spanne umreissen, mit gesenkten Lidern, den Kopf fallen lassen, und den Himmel oben und die Erde unten, alles wie Vorhang und Bühne, durch die geöffneten und geschlossenen Augen. Das alles kann man genau sehen, hören, benennen, vergleichen und erkennen, so einfach, wie die Töne, wenn einer sie spielt. Vom Anschlag und den Pausen oder seiner Aura gar nicht zu reden.

 

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Mimen-Theater.
Als der Doyen unter den Schauspielern, also der älteste und würdigste seines Gewerbes, gefragt wurde, was sie denn machen könne als jüngere, aber durch viele Jahre anderer Übungen auf dem Theater außerhalb des Gewerbes gereifte Kollegin, wenn sie nun versuchen müsse, sich wieder einzufügen in eben dies Gewerbe, was so gar nicht gelingen wolle, verzweifelt als letztes Zeichen der Ehre für die andere Kunst, da antwortete jener alte Meister: "Na, wären Sie besser nicht weggegangen" aus dem, was er zuletzt noch als "Huren"-Beruf beschrieben ("wir sind doch alles Huren"). Und Glenn Gould......?
Jener, der überall als Letzter seiner Art und als Gigant Gehandelte, war ein Nichts, wenn er den Raum betrat, seit 10 Jahren neben ihr wie das "Als ob" neben der Liebe oder der Gestus neben der Natur. Nun nahm er Rache, grausam, vor allen am Tisch, denn sie hatte sich auf seine Ebene erneut begeben, wo Solche Könige sind. Sie war davor dort, wo er nie hinkam, nicht einmal ahnend: die Liebes-Kunst. Und nicht nur die Ebene verkennend sondern auch das Theater.
So wurde aus dieser Frau, eben noch Göttin ihres Ichs, das die Welt einschloß und deutete, eine Bettlerin des Nichts. Und die eben noch Dienerin war von Hölderlins Worten und Kleistschen Liebesvisionen, wurde eine unter anderen.

 

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 Auf fürchterliche Weise ist das Theater jetzt Spiegel der heutigen Welt, die auf heutige Weise eine fürchterliche ist - gerade mit der uns aufgeladenen und unbewältigten Freiheit. Es ist das Licht als Design, der Ton als Beschallung, die Pluralität der Kostümierungen und Raumzitate aus der Geschichte nach immer neuesten Ideologien. Akademische, ideologische Utopien bestenfalls oder Provokationen, die dann der Regisseur bestimmt, von dem die Darsteller eingesetzt werden in Teilen ihres Wesens, wie im Film durch Schnitte partiell verwendet, groß oder separat. Es ist nicht die Psychologie der Führung von Auftritten allein und das ursprüngliche Arrangement, sondern das Wirken der Schichten von Bild und Ton und Text, was gegeneinander eine neue Spannung ergibt. (Richard Wagner in der Reichskanzlei oder auf dem Obersalzberg, Verdi im Puff der Geschichte, sind noch die kleineren Spiele ohne Ende der surrealen Phantasien, wie Computer es nun mit einem Knopfdruck jedem besser und in jedem Kostüm ins Haus liefern). Der Film hat dazu erzogen, die Zeitentwicklungen machen es intellektuell möglich, das Publikum wurde verwöhnt und springt, wie vor dem Fernseher, von einem Reiz zum anderen. Die Medien vermitteln die obsessiven neuen Trends, auf die man sich einigt;  der siegreich einst gefeierte Verlust der Aura der Persönlichkeit und der Einheit des Wesens und ganzer Charaktererscheinungen wird so ersetzt, und manchem ihrer Lehrer würde heute schwindlig werden, wenn er diese flinke Gelehrsamkeit der Schüler sähe.
Die Frage, ob vielleicht solche Spiegel-Kunst aller heute nicht eher durch andere Welten, und sei es aus Sehnsuchtsbereichen und Erinnerungskraft und Vorstellungsmöglichkeiten, kontrastiert werden sollte, wenn es noch geht, wird wahrscheinlich aus einem Schutzmechanismus heraus weggedrängt oder verdächtigt. Die technische Aura zumindest wäre vielleicht gerade noch möglich: Wie eine letzte Ahnung dessen, was wir verloren, wir, die großen Gewinner über Geschichte und Natur. Und gerade aus der Kenntnis alle Verluste gelingt ja manchmal noch etwas am Rande, an einem Punkt, wie als Ziel aller Dinge, wie ein Wunder noch einmal und zum ersten Mal. Und keiner sieht's und will es haben. Schon hören wir das Lachen der Freunde - das war doch schon immer und überall so, und der Verzweifelte weiss seine Werke unrealisiert.

Die monologische Darstellungsform ist, obwohl heute inflationär der Zeit gemäss, eine bisher ungeübte Kunst. Kortner brauchte die anderen am Ende, um sich darzustellen, und Oskar Werner wagte den Schritt in seinem letzten, realisierten Abschied des monologischen "Homburg" nur mit Hilfe anderer um ihn noch. So gewaltig als Vortragender im Lesen, blieb dafür der Raum ihm noch versperrt.
Vielleicht waren die Erfindungen des Films nötig und damit die speziellen Loslösungen vom Theatralischen, um nun vom Film her in einem Menschen die Welt und diese im Raum der Bühne zu wagen.

 

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Da sind noch viele Wege offen - und wohl auch mit anderen wieder zusammen - zur Musik in vielen Varianten. Immer weiter. Wer das aber ausbeutet, ohne alle Hüllen nacheinander abzuwerfen, zu immer neuen Häutungen, wer sich nur austobt und sich selbst ausbeutet, das, was eben

Oskar Werner Gefild der Schlacht

noch unmöglich erschien, der wird am Ende trauriger dastehen als die müden Krieger des Theaters mit immer neuen Reizungen ihrer Provokationen oder jener Museumsroutine ehemaliger Gesellschaftsrevolutionäre ihrer eigenen Kunstansprüche. Denn es ist der Seele Nahrung, die sich da verzehrt, und die ohne immer neue Wagnisse des Geistes lieblos wird und stirbt. Was die persönliche Situation betrifft, aus der wir schöpfen, so war, an diesem Punkte angekommen, Osakr Werner nicht der, der den Tod einsetzte,um ihn, sich opfernd, darzustellen, sondern es war die Erkenntnis ohne Rückkehr, mit der er zahlte.

Den "Homburg" als Monolog einer Frau darzustellen, versuchten wir ab 1990 auf der Bühne, 1994 im Film, ("Ein Traum, was sonst?"), wie auch das Ende des Faust dann, nicht als Provokation oder theatralisierten Manierismus, sondern in einem anderen Rahmen als Zitat im tragischen Raum unserer Geschichte und auch aus der Gewissheit heraus, daß heute Männern diese Worte nicht mehr möglich sind, wenn sie nicht schlapp oder denunzierend wirken sollen. Die Entdeckung dieses "Homburg" von einem Mann am Rande des Getriebes und noch nach seinem Tode ein Zufall auf der Fährte der Ahnungen, ist wie ein Wunder mit einigen Folgen des Nachdenkens, was da geschah und was das heißt an Leidensspur, unter Aufwand eines Lebens, mit Weltabschied, daß erst aus der Gebrechlichkeit des Großen selbst das Grandiose sich sein Recht erkämpft, obwohl so verlacht und gemordet, indem nun überliefert werden soll, wie hier einer litt und doch siegte.

Fortsetzung folgt

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