Donnerstag, den 12. Dezember
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Haftbefehl gegen hessischen Kannibalen
Gegen den Hessen, der unter Verdacht steht einen Mann verstümmelt, getötet und teilweise aufgegessen zu haben, ist Haftbefehl erlassen worden. Ihm wird Mord vorgeworfen, erklärte die zuständige Staatsanwaltschaft in Kassel am Morgen.
Kassel - Der 41-Jährige aus dem nordosthessischen Rotenburg war am Mittwoch festgenommen worden. Er hatte gestanden, einen 42-Jährigen mit dessen Einwilligung vor laufender Videokamera getötet, zerschnitten und teilweise gegessen zu haben. Am Dienstag hatten die Ermittler bei einer Hausdurchsuchung Skelettteile, etliche Videos und eingefrorenes Menschenfleisch in der Wohnung des Verdächtigen entdeckt. Die Tat soll bereits im Frühjahr 2000 geschehen sein. Von dem Opfer fehlte seither jede Spur.
Das umfangreiche Geständnis des Mannes zu prüfen, werde "eine Weile dauern", erklärte Staatsanwalt Hans-Manfred Jung in Kassel. Wahrscheinlich würden die Ermittlungen sich über mehrere Tage hinziehen. Nähere Kenntnisse über den Fortgang der Ermittlungen lagen am Donnerstagmorgen noch nicht vor.
Angeblich soll es sich bei dem mutmaßlichen Kannibalen um den Computerfachmann Armin M. handeln. Das Opfer, dessen Name mit Bernd Jürgen B. angegeben wird, sei ein Diplom-Ingenieur, der bei Siemens in der Chipentwicklung beschäftigt gewesen sein soll, berichtet die "Bild"-Zeitung am Donnerstag.
Die beiden Männer hatten sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft über das Internet kennengelernt. Angeblich soll der Hesse nun erneut auf der Suche nach einem Opfer gewesen sein. Er habe Anzeigen aufgegeben, in der er einen Mann suchte, der bereit wäre, sich von ihm töten und essen zu lassen. Nach Angaben der "Bild"-Zeitung sollen sich auf die 80 Anzeigen fünf Männer gemeldet haben.

Heller: Ich wünsche mir, wie mein Freund Qualtinger sagte, schonungslose Unterstützung. Wenn man viel versucht, geht naturgemäß doch einiges schief.
SPIEGEL: Auch Ihnen?
Heller: Aber selbstverständlich. Hören Sie sich nur meine Lieder aus den siebziger Jahren an! Es gibt höchstens 15, die gelungen sind. Viele andere zeugen von einem Taumel zwischen Kitsch und Überdrehtheit. Aber ich war damals einfach nicht weiter. Ich habe zwar Frank Zappa bewundert, aber Lieder geschrieben wie ein Udo Jürgens für Kursbuchleser. Das ist mir heute rätselhaft.
SPIEGEL: Also ist Ihnen das Zeug inzwischen peinlich?
Heller: Ja, aber ich muss mich zu dem bekennen, der ich war. Ich hoffe, dass ich heute um 30 Jahre weniger peinlich bin als damals.
DPA
Dramatikerin Jelinek: "Ich verzeihe einer großen Dichterin so ein Detail"SPIEGEL: Haben Sie sich in einen anderen Menschen verwandelt?
Heller: Natürlich. Ich hätte doch mein Leben verschwendet, wenn ich nicht immer wieder lernend ein anderer geworden wäre. Oft genug von Irrtum zu Irrtum, mich mit mir selbst und meinen Fähigkeiten und Unfähigkeiten bekannt machend.
SPIEGEL: Klingt sehr weise. Sind Sie eigentlich religiös?
Heller: Ich bin ein spirituelles Wesen, das davon überzeugt ist, dass es nichts Sinnhafteres gibt als zu lieben und geliebt zu werden. Ich weiß auch aus tausendfacher Erfahrung, dass man die Energien zurückerhält, die man aussendet. Aber ich gehöre zu keinem Verein, nicht zum FC Vatikan, zum FC Bhagwan oder zum FC Judentum, obwohl mir am Judentum immer gefallen hat, dass man mit seinem Gott streiten darf. Die religiöse Idee, die mir am meisten Angst macht, ist die der Wiedergeburt. Falls an der etwas dran sein sollte, bitte ich die zuständigen Instanzen in meinem Fall von Wiedergeburt gnädig abzusehen. Dieses Imponiergetue, die Missverständnis- und Dummheitsquote auf diesem Stern entsprechen nicht meinem Ideal. Auch mein persönliches Negativplansoll ist erfüllt.
SPIEGEL: Sie meinen, Sie haben genug schlimme Dinge angestellt?
Heller: Ich habe früher in einer Art Hybris viele Menschen verletzt oder aufs Originellste gekränkt - auf dem Sektor gibt's für mich nichts mehr dazuzulernen.

SPIEGEL: Die Zeiten ändern sich.
Schmidt: Und mit den Zeiten ändert sich das Fernsehen. Heute muss man in Köln schon Fünfjährigen erklären, was Schwule und Lesben sind. "Lassie" wäre da überfordert gewesen. Als ich Kind war, wurde bei uns zu Hause nur gehüstelt, warum Lou van Burg ...
SPIEGEL: ... in den sechziger Jahren Moderator der Show "Der Goldene Schuß"...
Schmidt: ... beim ZDF rausgeflogen ist. Es hieß immer: weil er eine Geliebte im Wohnwagen hat. Heute würde man sagen: "Kinder, ihr glaubt es nicht, da moderiert ein Hetero! Das ist unglaublich, der hat was mit Weibern, die warten im Wohnwagen, kommt mal gucken."
SPIEGEL: War Fernsehen nicht überhaupt viel mehr Ereignis als heute?
Schmidt: Ein richtiges Event, wie wir heute bei der ProSiebenSat.1 Media AG sagen. Manchmal durfte ich mitkommen, wenn meine Eltern von Bekannten zum Kulenkampff-Gucken eingeladen wurden, bei Schnittchen und Sekt.
SPIEGEL: Hans-Joachim Kulenkampff moderierte damals die Rate-Show "Einer wird gewinnen". Ein Vorbild für Sie?
Schmidt: Kuli hat damals nichts anderes gemacht als das, was ich heute versuche. Kam raus und hat 20 Minuten erzählt, dass er vom Hessischen Rundfunk neue Schuhe gekriegt hat. Großartig! Mein eigentliches Idol war jedoch Rudi Carrell. Seine Shows waren revolutionär: Einmal hat Muhammad Ali gegen eine Rentnerin geboxt.
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"Mutter warf mit dem Filzschuh" (2)


 

SPIEGEL: Leiden Sie, wenn Sie mitbekommen, wenn sich bei einigen Fernsehhelden Ihrer Jugend die Karriere-Kurve neigt? Schmidt: Manchmal. Mir tut es ein bisschen weh, wenn ich sehe, neben wem Rudi bei "7 Tage - 7 Köpfe" sitzt. Ich habe noch die Zeiten erlebt, als ihm beim WDR ein Wassereimer hinterher getragen wurde, damit er trotz Rauchverbot im Studio rauchen konnte. Dabei konnte er damals nicht mal drohen: "Wenn ich hier nicht rauchen darf, rauche ich bei RTL." Es gab ja nur die Öffentlich-Rechtlichen.
SPIEGEL: Das heißt, ein TV-Star sollte aufhören, solange er noch Wasserträger hat?
Schmidt: Wenn man mal der große Rudi Carrell war, sollte man sich jedenfalls nicht von Kalle Pohl auf der Mundharmonika vorspielen lassen müssen.
SPIEGEL: Ertappen Sie sich heute manchmal bei dem Gedanken "Ich werde schon wie Carrell"?
Schmidt: Klar. Die Carrell-Haltung "Alle scheiße - außer mir" habe ich voll übernommen. Wenn ich jüngere Moderatoren sehe, kriege ich Anfälle. Das geht Carrell genauso: Seine frühere Lebensgefährtin hat mir erzählt, sie habe jedes Mal neues Geschirr kaufen müssen, wenn Rudi mich in "Verstehen Sie Spaß?" gesehen hatte. Er hat vor Wut das Geschirr zerdeppert und dabei gerufen (mit Carrell-Akzent): "Gott, verdammich!"
SPIEGEL: Andere Archetypen der TV-Steinzeit wie Walter Sparbier, der legendäre Geldbote vom "Großen Preis", haben dagegen keine Nachfolger gefunden. Wie kommt das?
Schmidt: Sparbier hat dafür gesorgt, dass der Frohsinn beim "Großen Preis" nicht überschwappte. Mit solch einer Haltung gilt man beim Fernsehen heute schnell als Spielverderber.
SPIEGEL: Aber fehlen solche Typen nicht als Kontrast zum organisierten Comedy-Frohsinn auf allen Kanälen?
Schmidt: Statt Sparbier haben wir heute Franz Müntefering und Friedrich Merz. Aber wer damals Sparbier nicht mochte, konnte im Fernsehen auch Dietmar Schönherr und Vivi Bach sehen, die erste transparente Bluse und Romy Schneiders Bekenntnis in einer Talkshow, dass ihr der Bankräuber Burkhard Driest gefällt. So was vermisse ich heute.
SPIEGEL: Inwiefern wirken Fernseherlebnisse identitätsstiftend für eine Generation? Was verbindet Sie mit den Menschen, die mit den gleichen Sendungen aufgewachsen sind?
Schmidt: Alles. Das merke ich ja bei uns in der Show. Wir brauchen uns nur Stichworte zurufen, dann ist sofort die Titelmusik einer alten Sendung da.
SPIEGEL: Wenn Sie mit Zerlett reden, der etwa so alt ist wie Sie, gibt es diese gemeinsamen Erlebnisse, aber Ihr Redaktionsleiter Manuel Andrack, der acht Jahre jünger ist ...
Schmidt: Da kippt es schon. Und noch jüngere Leute bei mir im Team wissen nicht mehr, wer Uwe Seeler ist. Wirklich wahr! Wenn Sie da einen Begriff wie Wankdorf reinschmeißen, da passiert gar nichts mehr. Feierabend, Pisa at its best. Da merkt man eben, dass man selbst ein alter Sack wird.
SPIEGEL: Florian Illies schreibt in seinem Bestseller "Generation Golf", er habe nie wieder ein so sicheres Gefühl gehabt, genau das Richtige zu tun, wie Anfang der achtziger Jahre "Wetten, dass ...?" mit Frank Elstner zu gucken. Gibt es bei Ihnen ähnliche Erweckungserlebnisse?
Schmidt: Ich weiß nur, dass mich einmal ein so genannter Straßenfeger unglaublich beeindruckt hat, "Babeck" von Herbert Reinicker oder Francis Durbridge.
SPIEGEL: Und wenn Sie das mit heutigen Krimis vergleichen, dem "Tatort" etwa?
Schmidt: "Tatort" gucke ich eigentlich sehr gern, von Ausnahmen abgesehen. Zum Glück ist man ja immer vorgewarnt durch den Sender. Also: Finger weg beim Saarländischen Rundfunk! Dieser Kommissar Palu - mentales Baguette, auf dem Rad durchs Grenzgebiet -, und permanent ruft einer im Dudenhöffer-Dialekt: "He, Palu, hasch de Mord geklärt?" Ganz schlimm. "Das Wichtigste an der Late-Night-Show: fünf Jahre durchzuhalten".
SPIEGEL: Aber Sie gucken es trotzdem?
Schmidt: "Tatort" ist für mich Meta-Fernsehen. Man guckt es und kommentiert, was gleich passiert. Es wird ja auch selten die Handlung stringent durcherzählt, sondern es kommen Parallelhandlungen, Sozialkritik. Wenn ein "Tatort" im Drogenmilieu spielt und irgendwelche traurigen Gestalten von der Landesbühne mit Pudelmütze durchs Bild schleichen, schalte ich sofort um. Weil ich weiß, dass ich jetzt eine halbe Stunde nur versiffte Matratzen vorgesetzt bekomme. Ich möchte eigentlich nur Morde im Besserverdiener-Milieu sehen.
SPIEGEL: Wenn es überhaupt eine Entwicklung in der TV-Geschichte gibt, dann ist es die Beschleunigung der Bilder und des Erzählens. Komischerweise sind Sie jemand, der immer langsamer wird. Ein absichtliches Nichtlernen aus der Geschichte?
Schmidt: Mein Gefühl ist: Ich habe eigentlich schon alle Witze, die es gibt, gemacht. Ich habe schon alle Perücken aufgehabt, ich habe schon alle Bärte geklebt. Wen soll ich noch parodieren? Die neue Form ist, einfach zu zeigen, wie Peter Struck von einem Mitarbeiter gegrüßt wird. Mit einer Geste. Ohne die Vorwarnung: "Achtung, jetzt kommt was Lustiges!"
SPIEGEL: Sie werden also leiser, nicht langsamer?
Schmidt: Je länger ich Becketts "Warten auf Godot" in Bochum spiele, desto mehr habe ich das Gefühl, dass der Geist des Dichters auch bei uns vorbeiweht.
SPIEGEL: Schmidts Late Night als Endspiel? Die TV-Geschichte währte 50 Jahre und nähert sich ihrem Ende? Schmidt: Ich versuche, abends ab und zu im Fernsehen Pozzo zu spielen mit meiner Lieblingsszene: "Hören mir alle zu?" Und dann holt er das Mundspray raus. Völlig sinnlos, einfach, um die anderen warten zu lassen. "Sind alle da? Hören mir alle zu? Ich spreche gern ins Leere." Auch das hemmungslose Auf-Zeit-Spielen macht mir Spaß, das in der Sendung auszuprobieren.
SPIEGEL: Ein Beispiel dafür wäre Ihr endloses Gefummel an einem CD-Spieler. Das sieht eher wie eine Panne aus. Oder ist in Ihren Augen der tiefste Sinn des Mediums zu zeigen, dass in der Glotze die Zeit vergeht?
Schmidt: Ja, bei uns wird das sichtbar. Woanders versucht man durch bombastische Materialantäuschung zu kaschieren, dass Zeit vergeht. Bei uns ist alles reduziert: auf Waffelbacken, Wassertrinken zum Beispiel.
SPIEGEL: Das ästhetische Ideal nach 50 Jahren TV-Erfahrung soll somit die Rückkehr zu einer solchen neuen spätexistenzialistischen Schlichtheit sein? Nehmen Sie uns auf den Arm?
Schmidt: Eher nicht. Unser Motto heißt: Besser scheitern! Wir veranstalten keine Kunstanstrengung mehr. Wir machen eigentlich Hörfunk. Wir wollen auch nicht mehr um Aufmerksamkeit kämpfen. Auf die Frage: "Warum machen Sie es noch?" sage ich: "Was soll ich sonst machen?" Wir kommen einfach zum Dienst, und deswegen ist es das Wichtigste bei einer Late- Night-Show, mindestens fünf Jahre durchgehalten zu haben.
SPIEGEL: Und die Zukunft? Die Fernsehgeschichte lehrt, dass es nicht um ästhetischen Fortschritt und Endzustände geht, sondern um Zahlen. Mit dem kuscheligen Existenzialisten Schmidt, dem Andrack viel Arbeit abnimmt, könnte es bald vorbei sein, wenn sich ein neuer Sat.1-Eigentümer Ihre Zahlen ansieht.
Schmidt: Ich werde ständig angerufen: "An dir wird auch schon gerechnet." Da sage ich: "Soll ich helfen?"
SPIEGEL: Sie haben keine Angst, weil Sie gute Zahlen haben?
Schmidt: Mir macht das Spaß. Noch in diesem Monat muss bei Kirch entschieden werden. Irgendwie tickt ja die Insolvenzuhr. Mich fasziniert dieses Spiel: Wer bleibt auf der Strecke? Der Schleudersitz ist ein Bestandteil unseres Berufs. Wir hatten hier unter Kirch sieben perfekte Jahre ohne Druck von oben. Aber ich mag es nicht, wenn sich Bequemlichkeit breit macht.
SPIEGEL: Auch eine Geschichtslehre? Der Philosoph Martin Heidegger schwadronierte, alles Große stehe im Sturm.
Schmidt: Ja, diese Geworfenheit in der Unterhaltung. Es ist mal wieder Zeit für einen großen Wurf.
SPIEGEL: Herr Schmidt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Das Gespräch führten die Redakteure Nikolaus von Festenberg und Martin Wolf.


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LESERBRIEF SCHREIBEN© DER SPIEGEL 50/2002

von mir eingeführter Begriff, vor 8 Jahren, für ganz andere Beispiele und Leute, die da schreiben. Also Leute, die es nötig haben.
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