SPIEGEL: Die Zeiten ändern sich.
Schmidt: Und mit den Zeiten ändert sich das Fernsehen. Heute muss man in
Köln schon Fünfjährigen erklären, was Schwule und Lesben
sind. "Lassie" wäre da überfordert gewesen. Als ich Kind
war, wurde bei uns zu Hause nur gehüstelt, warum Lou van Burg ...
SPIEGEL: ... in den sechziger Jahren Moderator der Show "Der Goldene Schuß"...
Schmidt: ... beim ZDF rausgeflogen ist. Es hieß immer: weil er eine Geliebte
im Wohnwagen hat. Heute würde man sagen: "Kinder, ihr glaubt es nicht,
da moderiert ein Hetero! Das ist unglaublich, der hat was mit Weibern, die warten
im Wohnwagen, kommt mal gucken."
Schmidt: Ein richtiges Event, wie wir heute bei der ProSiebenSat.1 Media AG
sagen. Manchmal durfte ich mitkommen, wenn meine Eltern von Bekannten zum Kulenkampff-Gucken
eingeladen wurden, bei Schnittchen und Sekt.
SPIEGEL: Hans-Joachim Kulenkampff moderierte damals die Rate-Show "Einer
wird gewinnen". Ein Vorbild für Sie?
Schmidt: Kuli hat damals nichts anderes gemacht als das, was ich heute versuche.
Kam raus und hat 20 Minuten erzählt, dass er vom Hessischen Rundfunk neue
Schuhe gekriegt hat. Großartig! Mein eigentliches Idol war jedoch Rudi
Carrell. Seine Shows waren revolutionär: Einmal hat Muhammad Ali gegen
eine Rentnerin geboxt.
ENTERTAINER
"Mutter warf mit dem Filzschuh" (2)
SPIEGEL: Leiden Sie, wenn Sie mitbekommen, wenn sich bei einigen Fernsehhelden
Ihrer Jugend die Karriere-Kurve neigt? Schmidt: Manchmal. Mir tut es ein bisschen
weh, wenn ich sehe, neben wem Rudi bei "7 Tage - 7 Köpfe" sitzt.
Ich habe noch die Zeiten erlebt, als ihm beim WDR ein Wassereimer hinterher
getragen wurde, damit er trotz Rauchverbot im Studio rauchen konnte. Dabei
konnte er damals nicht mal drohen: "Wenn ich hier nicht rauchen darf,
rauche ich bei RTL." Es gab ja nur die Öffentlich-Rechtlichen.
SPIEGEL: Das heißt, ein TV-Star sollte aufhören, solange er noch
Wasserträger hat?
Schmidt: Wenn man mal der große Rudi Carrell war, sollte man sich jedenfalls
nicht von Kalle Pohl auf der Mundharmonika vorspielen lassen müssen.
SPIEGEL: Ertappen Sie sich heute manchmal bei dem Gedanken "Ich werde
schon wie Carrell"?
Schmidt: Klar. Die Carrell-Haltung "Alle scheiße - außer
mir" habe ich voll übernommen. Wenn ich jüngere Moderatoren
sehe, kriege ich Anfälle. Das geht Carrell genauso: Seine frühere
Lebensgefährtin hat mir erzählt, sie habe jedes Mal neues Geschirr
kaufen müssen, wenn Rudi mich in "Verstehen Sie Spaß?"
gesehen hatte. Er hat vor Wut das Geschirr zerdeppert und dabei gerufen (mit
Carrell-Akzent): "Gott, verdammich!"
SPIEGEL: Andere Archetypen der TV-Steinzeit wie Walter Sparbier, der legendäre
Geldbote vom "Großen Preis", haben dagegen keine Nachfolger
gefunden. Wie kommt das?
Schmidt: Sparbier hat dafür gesorgt, dass der Frohsinn beim "Großen
Preis" nicht überschwappte. Mit solch einer Haltung gilt man beim
Fernsehen heute schnell als Spielverderber.
SPIEGEL: Aber fehlen solche Typen nicht als Kontrast zum organisierten Comedy-Frohsinn
auf allen Kanälen?
Schmidt: Statt Sparbier haben wir heute Franz Müntefering und Friedrich
Merz. Aber wer damals Sparbier nicht mochte, konnte im Fernsehen auch Dietmar
Schönherr und Vivi Bach sehen, die erste transparente Bluse und Romy
Schneiders Bekenntnis in einer Talkshow, dass ihr der Bankräuber Burkhard
Driest gefällt. So was vermisse ich heute.
SPIEGEL: Inwiefern wirken Fernseherlebnisse identitätsstiftend für
eine Generation? Was verbindet Sie mit den Menschen, die mit den gleichen
Sendungen aufgewachsen sind?
Schmidt: Alles. Das merke ich ja bei uns in der Show. Wir brauchen uns nur
Stichworte zurufen, dann ist sofort die Titelmusik einer alten Sendung da.
SPIEGEL: Wenn Sie mit Zerlett reden, der etwa so alt ist wie Sie, gibt es
diese gemeinsamen Erlebnisse, aber Ihr Redaktionsleiter Manuel Andrack, der
acht Jahre jünger ist ...
Schmidt: Da kippt es schon. Und noch jüngere Leute bei mir im Team wissen
nicht mehr, wer Uwe Seeler ist. Wirklich wahr! Wenn Sie da einen Begriff wie
Wankdorf reinschmeißen, da passiert gar nichts mehr. Feierabend, Pisa
at its best. Da merkt man eben, dass man selbst ein alter Sack wird.
SPIEGEL: Florian Illies schreibt in seinem Bestseller "Generation Golf",
er habe nie wieder ein so sicheres Gefühl gehabt, genau das Richtige
zu tun, wie Anfang der achtziger Jahre "Wetten, dass ...?" mit Frank
Elstner zu gucken. Gibt es bei Ihnen ähnliche Erweckungserlebnisse?
Schmidt: Ich weiß nur, dass mich einmal ein so genannter Straßenfeger
unglaublich beeindruckt hat, "Babeck" von Herbert Reinicker oder
Francis Durbridge.
SPIEGEL: Und wenn Sie das mit heutigen Krimis vergleichen, dem "Tatort"
etwa?
Schmidt: "Tatort" gucke ich eigentlich sehr gern, von Ausnahmen
abgesehen. Zum Glück ist man ja immer vorgewarnt durch den Sender. Also:
Finger weg beim Saarländischen Rundfunk! Dieser Kommissar Palu - mentales
Baguette, auf dem Rad durchs Grenzgebiet -, und permanent ruft einer im Dudenhöffer-Dialekt:
"He, Palu, hasch de Mord geklärt?" Ganz schlimm. "Das
Wichtigste an der Late-Night-Show: fünf Jahre durchzuhalten".
SPIEGEL: Aber Sie gucken es trotzdem?
Schmidt: "Tatort" ist für mich Meta-Fernsehen. Man guckt es
und kommentiert, was gleich passiert. Es wird ja auch selten die Handlung
stringent durcherzählt, sondern es kommen Parallelhandlungen, Sozialkritik.
Wenn ein "Tatort" im Drogenmilieu spielt und irgendwelche traurigen
Gestalten von der Landesbühne mit Pudelmütze durchs Bild schleichen,
schalte ich sofort um. Weil ich weiß, dass ich jetzt eine halbe Stunde
nur versiffte Matratzen vorgesetzt bekomme. Ich möchte eigentlich nur
Morde im Besserverdiener-Milieu sehen.
SPIEGEL: Wenn es überhaupt eine Entwicklung in der TV-Geschichte gibt,
dann ist es die Beschleunigung der Bilder und des Erzählens. Komischerweise
sind Sie jemand, der immer langsamer wird. Ein absichtliches Nichtlernen aus
der Geschichte?
Schmidt: Mein Gefühl ist: Ich habe eigentlich schon alle Witze, die es
gibt, gemacht. Ich habe schon alle Perücken aufgehabt, ich habe schon
alle Bärte geklebt. Wen soll ich noch parodieren? Die neue Form ist,
einfach zu zeigen, wie Peter Struck von einem Mitarbeiter gegrüßt
wird. Mit einer Geste. Ohne die Vorwarnung: "Achtung, jetzt kommt was
Lustiges!"
SPIEGEL: Sie werden also leiser, nicht langsamer?
Schmidt: Je länger ich Becketts "Warten auf Godot" in Bochum
spiele, desto mehr habe ich das Gefühl, dass der Geist des Dichters auch
bei uns vorbeiweht.
SPIEGEL: Schmidts Late Night als Endspiel? Die TV-Geschichte währte 50
Jahre und nähert sich ihrem Ende? Schmidt: Ich versuche, abends ab und
zu im Fernsehen Pozzo zu spielen mit meiner Lieblingsszene: "Hören
mir alle zu?" Und dann holt er das Mundspray raus. Völlig sinnlos,
einfach, um die anderen warten zu lassen. "Sind alle da? Hören mir
alle zu? Ich spreche gern ins Leere." Auch das hemmungslose Auf-Zeit-Spielen
macht mir Spaß, das in der Sendung auszuprobieren.
SPIEGEL: Ein Beispiel dafür wäre Ihr endloses Gefummel an einem
CD-Spieler. Das sieht eher wie eine Panne aus. Oder ist in Ihren Augen der
tiefste Sinn des Mediums zu zeigen, dass in der Glotze die Zeit vergeht?
Schmidt: Ja, bei uns wird das sichtbar. Woanders versucht man durch bombastische
Materialantäuschung zu kaschieren, dass Zeit vergeht. Bei uns ist alles
reduziert: auf Waffelbacken, Wassertrinken zum Beispiel.
SPIEGEL: Das ästhetische Ideal nach 50 Jahren TV-Erfahrung soll somit
die Rückkehr zu einer solchen neuen spätexistenzialistischen Schlichtheit
sein? Nehmen Sie uns auf den Arm?
Schmidt: Eher nicht. Unser Motto heißt: Besser scheitern! Wir veranstalten
keine Kunstanstrengung mehr. Wir machen eigentlich Hörfunk. Wir wollen
auch nicht mehr um Aufmerksamkeit kämpfen. Auf die Frage: "Warum
machen Sie es noch?" sage ich: "Was soll ich sonst machen?"
Wir kommen einfach zum Dienst, und deswegen ist es das Wichtigste bei einer
Late- Night-Show, mindestens fünf Jahre durchgehalten zu haben.
SPIEGEL: Und die Zukunft? Die Fernsehgeschichte lehrt, dass es nicht um ästhetischen
Fortschritt und Endzustände geht, sondern um Zahlen. Mit dem kuscheligen
Existenzialisten Schmidt, dem Andrack viel Arbeit abnimmt, könnte es
bald vorbei sein, wenn sich ein neuer Sat.1-Eigentümer Ihre Zahlen ansieht.
Schmidt: Ich werde ständig angerufen: "An dir wird auch schon gerechnet."
Da sage ich: "Soll ich helfen?"
SPIEGEL: Sie haben keine Angst, weil Sie gute Zahlen haben?
Schmidt: Mir macht das Spaß. Noch in diesem Monat muss bei Kirch entschieden
werden. Irgendwie tickt ja die Insolvenzuhr. Mich fasziniert dieses Spiel:
Wer bleibt auf der Strecke? Der Schleudersitz ist ein Bestandteil unseres
Berufs. Wir hatten hier unter Kirch sieben perfekte Jahre ohne Druck von oben.
Aber ich mag es nicht, wenn sich Bequemlichkeit breit macht.
SPIEGEL: Auch eine Geschichtslehre? Der Philosoph Martin Heidegger schwadronierte,
alles Große stehe im Sturm.
Schmidt: Ja, diese Geworfenheit in der Unterhaltung. Es ist mal wieder Zeit
für einen großen Wurf.
SPIEGEL: Herr Schmidt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Das
Gespräch führten die Redakteure Nikolaus von Festenberg und Martin
Wolf.
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LESERBRIEF SCHREIBEN© DER SPIEGEL 50/2002