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Nachrichten : Kultur
31.05.2002
 
Mordversuch um jeden Preis
 
Was wirklich drin steht: Martin Walsers neuer Roman beschädigt vor allem seinen Autor
 
Hellmuth Karasek
 
Beginnen wir mit den kargen Fakten: Martin Walser also hat einen Roman geschrieben, der den Titel "Tod eines Kritikers" trägt. Er hat ihn dem Feuilleton der "FAZ" zum Vorabdruck angeboten; die "FAZ" war bisher auf Vorabdrucke von Walser-Romanen so gut wie abonniert. Am Donnerstag hat Frank Schirrmacher, der (für den Kulturteil zuständige) FAZ-Herausgeber und Walser-Betreuer - er hielt die Laudatio vor der berüchtigten "Moralkeulen-Rede" auf den Friedensnobelpreisträger Walser - in einem Artikel öffentlich begründet, warum die "FAZ" das neue Walser-Buch nicht in täglichen Tranchen vorabdrucken werde: Der Roman, ein kaum literarisch verbrämtes Porträt und Pamphlet über Marcel Reich-Ranicki sei "ein Dokument des Hasses", eine "Mordfantasie", in der es nicht "um die Ermordung des Kritikers als Kritiker gehe", sondern "um den Mord an einem Juden".
Diese öffentliche Verurteilung und Vorverurteilung von Walsers Roman löste einen Skandal aus. Kein Wunder, fiel doch der Vorwurf, das Buch arbeite Walsers Hass auf Marcel Reich-Ranicki (im Buch als André Ehrl-König) mit Hilfe antisemitischer, bösartiger Klischees ab, in die Zeit der Möllemann-Äußerungen. Und: Der Vorwurf trifft einen Autor, der spätestens seit seiner berühmt-berüchtigten Paulskirchen-Rede unter dem Generalverdacht steht, einem unterschwelligen und stammtischnahen Antisemitismus Vorschub zu leisten. Dieses Ressentiment hat Henryk M. Broder auf das Bonmot gebracht: "Die Deutschen können den Juden nicht verzeihen, dass sie sie in Auschwitz ermordet haben."
Frank Schirrmacher hat also Walsers "Tod eines Kritikers", einem gerade mal 150 Seiten umfassenden, thematisch besessen engstirnigen Buch, durch die Ankündigung des Nicht-Vorab-Erscheinens lange vor dem Erscheinen ein aberwitziges Entree verschafft. Aber um welchen Preis? Bevor auch nur eine Zeile des Buchs publiziert und der Text stattdessen nur in wenigen Sätzen zitiert worden war, klebte an Walser zum zweiten Mal der in Deutschland zu Recht schlimmste Verdacht: der bewusst geschürten Judenfeindlichkeit. Und, etwas was Walser besonders empfindlich treffen wird : Es gelingt ihm nur dadurch, auf die Titelseiten der Zeitungen, in die Spitzenmeldungen des Fernsehens, ins pralle Licht der Kommentare zu geraten, indem er sich an seinen lebenslangen Intim-Feind Reich-Ranicki mit der Absicht klammert, diesen wenigstens verbal umzubringen. Oder, wie's Kollege Ulrich Weinzierl in einem Fax an Reich-Ranicki formuliert hat: Dies sei ein schreckliches Selbstmordattentat (Walsers), bei dem aber glücklicherweise nur der Täter, nicht das angepeilte Opfer (Reich) zu Tode komme.
Fragen wir, was passiert wäre, wenn Frank Schirrmacher den (handels)üblichen Weg anstelle des Offenen Briefes gewählt hätte: Dann hätte er Walser geschrieben, der Autor müsse verstehen, dass sein Roman mit einem negativen Heldenpopanz, der unverkennbar M. R. R. sei, nicht ausgerechnet in der "FAZ" erscheinen könne, die bis heute untrennbar mit dem Namen und der Mitarbeit des im Buch Attackierten, Brüskierten und mit Hass Beleidigten verbunden sei. Im übrigen, hätte Schirrmacher hinzufügen können, finde er das Buch befremdlich. Er hätte es, nach Erscheinen, auch sogleich rezensieren und dann begründen können, warum es nicht vorabgedruckt worden sei. Schirrmacher hätte Walser damit die Voraus-Schau gestohlen - und ihm vielleicht auch viel erspart.
Dokument des Hasses
Im Suhrkamp Verlag ist es angeblich zum Streit darüber gekommen, ob man das Walser-Werk überhaupt veröffentlichen wolle. Günter Berg, designierter und amtierender Nachfolger des schwer erkrankten Verlegers Siegfried Unseld, soll für eine Veröffentlichung, Unseld dagegen votiert haben. Überhaupt gibt es, behauptet Walser in einem Interview, "nur vier professionelle Leser", die das Manuskript kennen: "Siegfried Unseld, Günter Berg, Thorsten Ahrend und Hubert Spiegel." Letzterer ist Literaturredakteur der "FAZ".
Inzwischen kennen, nach hastiger Lektüre, einige weitere "professionelle Leser" den Roman. Auch ich, der ich 14 Jahre lang an der Seite und im Schatten Marcel Reich-Ranickis im "Literarischen Quartett" mitwirkte, das als "Sprechstunde" im "Tod eines Kritikers" vorkommt - und nicht nur eben so vorkommt. Es ist vielmehr die Hauptursache dafür, dass Walsers Held, sein literarisches Alter Ego Hans Lach, den "Kerritikerr" André Ehrl-König (M. R. R. also) mit berechtigten Gründen, wie das Buch nicht müde wird, polemisch eifernd zu belegen, (scheinbar) zu ermorden.
Ich will hier auch sagen: Martin Walser war ich über viele Jahre schon durch eine gemeinsame Theaterarbeit ebenso freundschaftlich verbunden, wie ich es Reich-Ranicki bis heute bin. Ich wäre sonst ein Monstrum - auch an Undankbarkeit. Also galt es, bei der Schnellgang-Lektüre sich das Buch möglichst objektivierend vom Leib zu halten. Die erste Feststellung nach dem Lesen: Ja, Schirrmacher hat in einem, dem wesentlichen Punkt völlig Recht! Dieses Buch ist das literarische Dokument eines schier übermenschlichen Hasses, der den Autor überwältigt, weil er sich sein Leben lang unter der Fuchtel von Reich-Ranicki sah und scheinbar ohnmächtig mitansehen musste, wie dessen Ruhm durch die verbale Vernichtung Walsers wuchs. Walser weiß sicher, oder er ahnt es, dass die dumpfen Ausfälle seiner Paulskirchen-Rede ihn zwanghaft okkupiert hatten, nachdem Reich dem "Springenden Brunnen" und anderen Werken Walsers Gleichgültigkeit gegenüber den Nazi-Schandtaten und deren Verschweigen apodiktisch vorgeworfen hatte. Das rechtfertigt Walsers Keulen- und falsche Zungenschläge nicht, aber es erklärt sie.
Ein Werk des Hasses, das müsste noch kein Fehler sein. Hass macht wie die Liebe nicht nur blind, sondern auch sehend und scharfsichtig; und es gibt in dem Buch Passagen, die den literarischen Betrieb, etwa bei TV-Sendungen oder Parties im Hause Unseld, in eine sardonisch überspitzte, dennoch treffende Satire treiben. Manchmal blitzen sie sogar vor Swiftscher Misanthropie. Auch finde ich, dass Schirrmacher Unrecht hat, wenn er die lautmalerische Nachmache von Reichs Sprache durch Walser als bösartiges Jüdeln kennzeichnet. In der Tat ist Reich mit seinem unverwechselbar rollenden "R" der Meistparodierte Deutschlands .
In Walsers Roman wird, um es kurz zusammenzufassen, der Kritiker Ehrl-König, nachdem er Lachs neuestes Buch "Das Mädchen ohne Zehennägel" im Fernsehen gnadenlos niedergemacht hat, im Hause des Verlegers Pilgrim (Unseld) vom Autor verbal angegriffen. Lach wird des Hauses verwiesen. Auch Ehrl-König verschwindet kurz darauf. Alle glauben, dass Lach ihn ermordet hat, zumal er sich nach seiner Verhaftung so in Mordfantasien und Selbstbeschuldigungen steigert, dass alle den vermeintlichen Mord, den Lach längst vorgedacht und vorvollbracht hat, billigend verstehen: Der Ermordete hat's nicht anders verdient.
Mädels bei Teestunden
Und hier wird das Buch in der Tat zum verstörenden üblen Pamphlet. Der (scheinbar) Ermordete (der in Wahrheit mit einer Frau zu einem Seitensprung ausgebüchst ist) trägt so unverkennbar ins Popanzhafte gesteigert Züge Reich-Ranickis, er hat so viele Reich-Ranicki-Eigenschaften, dass die ungezügelte Mordlust, die Walsers Buch beherrscht, wie eine Wiederholung der Mordlust wirkt, mit der Reich-Ranicki als Jude von den Nazis verfolgt wurde. Walser, und das ist das Schlimmste, holt literarisch nach (und bremst sich dabei nur im allerletzten Moment), was den Nazis nicht gelungen ist. Und leider, bedient er sich dabei fast bedenkenlos antisemitischer Klischees, angefangen bei der Tatsache, dass der Kritiker sich als Pseudonym den Namen seines Onkels "Wasserfall" zulegt (da grüßt der "Stürmer"-Humor), dass seine kettenrauchende Frau nicht einmal Deutsch kann, dass der Alte ein geiler Bock ist, der Dichterinnen als "Mädelchen" und "Mädels" bei Teestunden im Hotelzimmer sexuell bedrängt, dass er es mit Vorliebe mit Schwangeren im 5. Monat treibt - und so weiter und so fort.
Hier die schlimmste Passage, die nicht dadurch besser wird, dass Walser sie zwei betrunkenen Autoren in den Mund legt: "Seit Freisler (so Lach über Ehrl-König im Fernsehen) hat doch keiner mehr so vor laufender Kamera rumgerudert und rumgebrüllt. Man müßte mit den Kameraleuten reden, daß die ihm einmal mit dem Zoom aufs Mundwerk fahren, daß endlich einmal das weiße Zeug, das ihm in den Mundwinkeln bleibt, groß herauskäme, der vertrocknete Schaum ... ,Scheißschaum', so gellte Bernd Streiff (ein anderer von Ehrl-König gedemütigter Autor), das ist sein Ejakulat. Der ejakuliert doch durch die Goschen, wenn er sich im Dienst der doitschen Literatur aufgeilt. Der Lippengorilla, der elendige."
Eine literarische Ermordung? Doch eher ein literarischer Selbstmord!
 
 

Nachrichten : Kultur
1.06.2002
 
Kulturnachrichten
 
Der Turner-Preis hat seine Nominierungen bekannt gegeben: Die Fotografie eines Pissoirs, ein vorgelesenes Pornofilm-Drehbuch, ein Glas Wasser auf dem Boden und zwei identische Fotos von einem Schreibtisch gehören zur diesjährigen Auswahl der mit 20 000 Pfund (32 000 Euro) dotierten Auszeichnung, die am 8. Dezember verliehen wird. Wie das federführende Museum Tate Britain mitteilte, heißen die vier nominierten Künstler Catherine Yass, Keith Tyson, Liam Gillick und Fiona Banner.
 
Nachtrag Leica M7, die neue

Wie war das damals.
In der FAZ Schirrmacher(Seite 1 oben links) Im SPIEGEL Karasek, die bekennenden "Schüler"("Marionetten") des RR. Das war erst der Anfang. Das Buch hiess Vom Glück und Unglück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege. Sie sagten, es sei antisemitisch. Und dann begann es. Vor 12 Jahren. Emigration. Erfolgreich. Nicht mehr in ihrem Land. Nicht mehr mitspielen. Als die Leiterin der documenta vor 10 Jahren, aus Frankreich, einen Raum, den grössten, zur Verfügung stellte, aus alter Treue zu dem Cineasten ihrer Erinnerung aus dem Paris der 7oer Jahre, warnten sie alle aus Deutschland um sie. Als der Raum dann stand und erfolgreich besucht wurde, sagten sie hier: wie konnte das geschehen. Sie ist doch eine von uns.

Aus dem >>>>>>Tagesspiegel
Herausgeber KarasekWalser sucht neues Walsertal
Martin Walser überlegt seinen Umzug nach Österreich. Die Antisemitismus-Debatte um seinen Roman „Tod eines Kritikers“wecke in ihm den Wunsch wegzugehen, sagte der am Bodensee lebende Autor der Wiener Zeitschrift „News“. „Vorarlberg ist ja nicht weit und ein schönes Land. Meine Vorfahren sind erst 1720 aus dem Großen Walsertal hierher gezogen.“ Mehr als die Kritik von Marcel Reich-Ranicki habe ihn sein bisheriger Freund Hellmuth Karasek mit der im Tagesspiegel erschienenen Kritik („Selbstmord eines renommierten Schriftstellers“) getroffen. „Wir kennen einander seit 40 Jahren. Wenn man liest, was er jetzt geschrieben hat, glaubt man nicht, dass man dableiben kann. dpa