Vor einiger Zeit entdeckte man die sogenannte Flackhelfer-Generation. Das waren diejenigen, die noch nicht im Kriege waren, aber schon am Ende, oft von der Schule weg, an den Waffen zuhause tätig wurden und einiges erlebten, besonderes, wie andere nicht. Leute, die später überlebten und wichtig wurden, obwohl sie den Tod erlebt hatten. Von eigener Zeugenschaft, auch der Verwandlung in Gegnerschaften zum Kriege, beeinflusst, durch Erinnerungen naher Schuld und Opfer. Deren schnelle Empörung gegen den Krieg konnte sich ändern in spätere Nachdenklichkeiten.
Aber es gibt auch jene,
die den Krieg als Kind erlebten. Deren Kindheit der Krieg war. Denen der Krieg
Kindheit wurde. Und das ist hier in Nossendorf geschehen. Für alle, die
ich kenne, die mit mir aufwuchsen. Und das ist wieder ein anderer Fall.
Wir begrüssten die Abzeichen des Winterhilswerks, wie kleine Puppen,
aus Porzellan mit Märchenfiguren oder Vögel und historische Geistesgrössen
des Reichs, Runen und Trachten, zum Anstecken oder Bernsteinanhänger,
zum Sammeln und Tauschen, wir zählten die Schlachtennamen,wie heute die
Jungen Auftritte der Popkonzerte und beschrieben die Flugzeuge und Schiffe
und Kanonen, wie Spielzeug und kannten uns aus. Um uns verschwanden die Grossen,
Väter, Brüder,so der Mann des Kindermädchens Herta, die letzte
und sehr geliebte, weil noch so nahe, der in Stalingrad fiel, oder der Melker,
der nicht mehr zurückkam. Wenn sie zurückkamen, erzählten sie
abenteuerliche Dinge, waren in Uniformen, Helden der Geschichten, wie Märchen
in Natur, wo der tapfere siegt und das Gute. Das waren sie und wir.
- Und so wird es erzählt werden, zeitweilig umgekehrt im Leben, am Ende
wiederhochkommen, eine andere Geschichte, als die derer, die in den Krieg
mussten, und die die danach geboren sind. Und anders auf dem Lande als in
den Städten. Nur, dass die in den Dörfern meistens nicht reden,
nicht schreiben, verstummen. Anders als hier.-
Es wurde getuschelt, von Russen, bevor sie kamen, was sie dann machen würden,
Angst war in den Heimlichkeiten der Väter, als der meinige die Nachrichten
hörte mit den Trommeln und seltsamen Stimmen. Der Vater versuchte zu
entkommen, immer neue Krankheiten erfindend und Ärzte, die es bescheinigten.
Da war die Parteifrau, Frauenschaftlerinnnen, Ortsbauenführerin, vor
denen man sich vorsehen musste, sie schwärzten an. Wurde vom Vater von
der Tür gewiesen. Blass kam er zurück. das war unklug. Aber er konnte
nicht anders, endlich hatte er es einmal gesagt, offen, laut, und Todesgefahr
stand im Raum, wir sassen am Tisch und assen stochernd weiter.
-Später schickte sie die letzten Blüten von der Linde hinter dem
Haus (in der Nacht,1984verwendet) und schrieb den anrührendsten Brief
zum Todes des Vaters. Auch das gehört daher. Kindheit ohne zu wissen,
vom späteren Leben. Damals war sie böse und alles andere schon in
ihr, für uns, die wir, klein, alles anders sahen, als die Grossen im
Kampf solcher Zeiten.
Flugzeuge, die über uns flogen wie die Gänse im Herbst, mit den
silbernen Streifen, Lametta wurde gefunden auf den Feldern und Warnungen gab
es, nichts anzufassen, was von oben kam,abgeschmissen aus den Flugzeugen,
es könnte vergiftet sein, um Kinder zu töten. Bomben überall.
In der Ferne Rostock. Man sah den Feuerschein am Himmel, 8o Kilometer entfernt.
Hölle in der Geichtern der Grossen, als sie zurückkamen nachts in
das Haus. Hamburg, Lübeck, es fielen die Städte in Asche, in Nachrichten
und Berichten derer, die zu uns kamen und am Ende die Kinder und Frauen aus
dem Osten selbst. HJ Uniformen, schwarze Hosen und goldblonde Jacken der Mädchen,
samtene, wie heute Jeans, als Kleidung der Ärmeren trugen sie alle rundum,
die Kinder der Schule und auf dem Hof. Ich nie, war auch nicht dabei, als
sie sich trafen und ihre Spiele spielten, was wir auch ohne deren Führer
taten.Spiele von jagen und fangen, weglaufen und verstecken und finden.Diese
kleinen Freiheiten der Absonderungen als Zeichen der Exklusivität, eines,
der nicht mitmachen musste. Unter Leitung eines anderen.
Von der Schule noch nichts gesagt und den Liedern oder Tafeln und Fibeln und Heimatkarten und Sagen. Wenn dieser Ort zum Kunstwerk wird, nicht nur der Erinnerungen, sondern einer verlorenen Welt, auch aller, dann wird man auch diese Zeiten der Krieges mit einflechten. Und vielleicht ist es darum, warum es nicht sein darf. Denn er war nicht böse. Und er war es doch. Für soviel andere und am Ende für die selbst, die ihn begonnen. Und doch auch nicht eigentlich selbst. Wie alles immer Ursache hat und wieder und wider. Nur einmal ist Anfang aller Anfänge und Ende aller Enden. Fast wie hier jetzt. Wenn wir von solchen Welten noch reden wird es bewusst.
Die Geschichte wäre zu schreiben, eines Lebens auf dem Dorfe, dem Gut des Vaters in Pommern, während des Krieges. Man könnte auch sagen, die Kindheit war der Krieg. Und der fand statt auf dem Land. Fernab der Bomben und Heere und Schiffe aus den Büchern des Vaters aus dem ersten Kriege in bunten Bildern und Dwingers Geschichten oder Skrowoneks Romanen danach, als schon einmal alles brannte und zusammenbrach. Sonst war dort
alles still und selbst die Gefangenen waren beste Freunde. Und doch waren da die Stimmen aus dem Radio mit den Fanfaren der Siege, die am Ende übergingen in die Trommeln aus London, die geheim waren, und die sagten nichts Gutes. Auch waren da die Kinder verschickt aus den Städten, die brannten, wo auch die Mutter, die getrennte, lebte und die Schwester, die halbe. Und zuletzt kamen die Fliehenden aus dem Osten , aus Schneidemühl und Gumbinnen und Stolp in Wagen und Teppichen darüber als Dach und brachten eine neues Leben mit. Was sie erzählten war schlimm.Als die Russen kamen, brach alles zusammen, was vorher war und zusammenhielt. In Schule und Kirche und Haus oder Hof.
So müsste, könnte es beginnen.
Doch was war böse. Zunächst waren es die Russen als sie kamen. Vor denen der Vater um sein Leben fürchten musste und vor denen die Frauen sich versteckten, mit geschwärzten Gesichtern, wenn sie kamen mit den Taschenlampen und suchten nach ihnen, und die alles zerschlugen, mitnahmen. *
Zwar waren wir auch geschützt,
durch besondere Papiere, aber die da kamen lachten und lasen nicht und kehrten
sich nicht, waren ohne Disziplin. Das war böse**, denn es kam alles durcheinander
und ging kaputt. Die Leherin vergewaltigt, Tochter des Kantors, Schwestern
der Freunde aus dem Dorf, Mütter, Frauen der Tagelöhner, Flüchtlinge
eben entkommen, Schulmädchen, die angebeteten. Einfach so. Viel weinen
und grenzenlose Schwärze. Kaputt.
Was bis dahin die Welt war, und richtig und falsch. Später sagten sie,
das wäre gewesen, weil die Deutschen es vorher ihnen angetan. Die Väter
der Freunde und Brüder und der Mann des Kindermädchens Herta? aber
wer hatte es ihnen angetan. Gesagt. Gelehrt.
Man sagte, dachte, hielt es für richtig, was nun gesagt wurde, weil so die neue Zeit dachte und schrieb und alles auch so sein konnte und es gut war, wenn man es sagte und dachte und tat. So bekam man Geld für die Dinge, die man machen wollte, wurde angehört, konnte sprechen und wurde eingeladen und war gern gesehen, wie sonst nicht, wer nicht mitmachte. Und irgendwie waren ja auch die anderen, neuen, nicht nur böse, wenn auch nicht eben gut, und so gut, wie man sich wünschte, schon gar nicht und oft viel weniger. Aber auch die eigenen Leute waren nicht nur gut und oft noch viel weniger, weil sie sich so anstrengten gut zu sein und darüber Böses taten. Das Entscheiden über gut und böse musste also neu definiert werden, und es war wichtig, wer das tat. Die Menschen lieber nicht, denn sie waren alle beteiligt, wollten was, haben oder strafen für irgendein Leid, das man ihnen zugfügt hatte oder waren sonstwie aus irgendwelchen Gründen interessiert, dies oder das zu kriegen oder zu wollen oder zu tun, könnte man sagen. Aber Götter oder den Gott hatten sie abgeschafft. So könnte man denken als Kind nochmal.
Viel wichtiger als Geld und Arbeit oder Freiheit oder Gleichheit, so auch, wer sie regiert, wie immer gesagt wird, ist, wie sie miteinander sind, auskommen, sich lieben oder hassen, was sie gut finden oder böse eben, oder was sie schön finden oder falsch und richtig, vor allem, was sie als das Erstrebenswerte erklären, das Glück. Wer ihnen das sagt, hat die Macht und bestimmt, was sein darf und leben darf und wie, essen und trinken, bauen und reisen,sich kleiden, kaufen oder stille sein, lesen oder reden. Wer das erkennt, sich verschafft, braucht keine Mehrheiten, wie sie immer sagen, muss nur listig sein und so, dass er es verbirgt. Schon damit keine Abwehr entsteht, denn das erzeugt Gewalt, und die, so haben wir gelernt, soll man meiden. Alles geht auch so und viel besser.