SPIEGEL ONLINE - 23. Juli 2006, 10:37
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Krieg in Gaza
 
Die zweite Front
Aus Gaza berichtet Mathieu von Rohr
Die Augen der Welt sind auf den Libanon gerichtet, doch im Gazastreifen wird heftiger gekämpft denn je. Die israelische Armee macht täglich Jagd auf Terroristen. Militante Palästinenser feuern Raketen gegen israelische Städte. Die Menschen im Krisengebiet fühlen sich von der Welt verlassen.
Gaza - Die Soldaten sind weitergezogen, in Beit Hanoun haben sie Zerstörung hinterlassen und Wut. Vor seinem Haus sitzt Jawad Masri auf einem weißen Plastikstuhl, er ist 35, ein bärtiger Mann, er schaut ins Leere, auf die verwüsteten Felder, die zerstörten Häuser.
AP
Kampf im Flüchtlingslager: Militanter Palästinenser
Die Israelis seien mit ihrer Armee gekommen und mit ihren Bulldozern, sagt Jawad Masri. "Sie haben alles eingeebnet und umgegraben, sogar den Friedhof haben sie zerstört." Von Haus zu Haus seien sie gegangen, alle Familien hätten sie in einem Raum zusammengetrieben. "Die Panzer haben alles überrollt, die Soldaten haben uns behandelt, als ob wir keine Menschen wären. Alle sind gerannt, Bomben fielen, wir leben hier immer noch unter Besatzung."
Schwarzer Rauch hängt über dem Gazastreifen, das Donnergrollen der Panzergeschosse, der Lärm der tieffliegenden F-16-Jets. Fast jeden Tag dringt die israelische Armee in das vollkommen abgeriegelte Palästinensergebiet ein, die Kämpfe werden immer heftiger. In Gaza herrscht Krieg, fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - die sieht nur noch die Schreckensbildern aus dem Libanon und die Angst in Nordisrael.
Jagd auf Terroristen
In Gaza begann vor vier Wochen die jüngste Eskalation im Nahen Osten, hier entführten militante Palästinenser den 19-jährigen Grenzsoldaten Gilad Schalit. Seither macht Israel unerbittlich Jagd auf die Terroristen und ihre Infrastruktur - es will ihre Waffenlager ausheben, ihre geheimen Tunnel entdecken. Es will seine schlimmsten Gegner töten.
Spezialeinheiten der Armee durchkämmen Häuser, sie liefern sich Straßenkämpfe mit palästinensischen Militanten. Gekämpft wurde gegen Ende der vergangenen Woche vor allem im Flüchtlingscamp Mugazi, hier vermuten die Israelis Unterschlüpfe und Waffendepots der Terroristen. Jeden Tag werden neue Opferzahlen bekannt. Schon über hundert Palästinenser haben die Israelis seit Beginn der Offensive getötet - darunter auch zahlreiche Zivilisten.
In Beit Hanoun, wo Jawad Masri lebt, waren die Soldaten auf der Suche nach den selbstgebastelten Kassam-Raketen, die von hier aus täglich auf die nur sechs Kilometer entfernte israelische Stadt Sderot abgefeuert werden - sie treffen Schulen und Synagogen, sie töten Zivilisten.
Aus Straßen werden Dreckpisten
Jetzt haben die Panzer aus den Straßen von Beit Hanoun unbefahrbare Dreckpisten gemacht. Viele Häuser sind von den Kämpfen schwer beschädigt. Die umliegenden Felder, auf denen sonst Gemüse und Oliven wachsen, sind verwüstet. Das Gebäude der palästinensischen Sicherheitsbehörde, das ein hundert Meter entfernt liegt, ist eine Ruine.
Jawad Masri ist traurig und er ist wütend - auf die Israelis, auf die Amerikaner, auf die Europäer. "Um uns kümmert sich keiner", sagt er, "so schlimm wie jetzt war es noch nie."
Gaza ist ein gespenstisches Niemandsland geworden, zugänglich fast nur für Diplomaten und Medien. Der gigantische Checkpoint bei Erez, wo früher jeden Tag Tausende Palästinenser nach Israel zur Arbeit pendelten, ist ausgestorben. Kilometerlang marschiert man auf der israelischen Seite durch menschenleere Sicherheitsportale, durch sich selbständig öffnende und schließende Türen, als ob man ein Gefängnis betritt. Auf der palästinensischen Seite sitzt ein einsamer schnauzbärtiger Uniformierter an einem Holztisch. Willkommen in Gaza.
Strom nur stundenweise
Der schmale Landstrich ist gezeichnet von vier Wochen Kriegszustand. Schwerer Gestank hängt in den Straßen, der Müll liegt überall haufenweise. Weil es kaum noch Diesel für die Lastwagen gibt, wird der Müll nicht eingesammelt. Kleine Jungen fahren mit Eselskarren durch die Gegend, sie transportieren Gasflaschen, damit zu Hause gekocht werden kann. Seit die Israelis das einzige Elektrizitätswerk des Gazastreifens bombardiert haben, gibt es Strom nur stundenweise - dafür hört man jetzt überall dass sonore Summern der Generatoren. Die Wasserversorgung funktioniert kaum. Auch manche Lebensmittel werden knapp. Hilfsorganisationen und Diplomaten sind besorgt, dass sich die humanitäre Situation schnell verschlechtern könnte.
Noch hängen überall in Gaza vergilbte Wahlplakate vom vergangenen Januar, doch es scheint bereits eine Ewigkeit her, dass dieses anarchische Land eine Regierung hatte. Ihre Mitglieder gehören der Hamas an und sie verstecken sich, seit Israel klargemacht hat, dass sie alle ihre Vertreter als Angehörige einer terroristischen Organisation und damit als Ziele betrachte - selbst Premierminister Ismail Hanijah.
Ein Hamas-Politiker kommt aus der Deckung
Yahya Mosa al-Abadsi, 47, empfängt in seiner Wohnung in Khan Yunis, sein Sohn serviert frische Limonade. Er ist der stellvertretende Fraktionschef im Parlament, einer der wenigen Politiker der Hamas, die im Moment bereit sind aus ihrer Deckung zu kommen. Er sitzt auf seiner crèmefarbenen Sitzgarnitur, sein Bart ist gepflegt, er trägt schwarze Hosen und ein schwarzes Hemd, er sagt: "Gaza wird massakriert. In Gaza findet ein Holocaust statt, jetzt und seit 58 Jahren."
Er faltet seine Hände, er redet bedächtig, aber er betont jede Silbe. "Die Israelis sind Idioten, sie sind Opfer ihrer Führer. So gibt es hier keine Zukunft für sie. Sie hatten keinen Tag des Friedens, seit sie hier leben und sie werden auch die nächsten 1000 Jahre keinen Tag des Friedens haben, wenn sie sich weiter wie Tiere verhalten. Wir leiden, aber sie werden auch leiden."
Israel werde nicht überleben - aber nicht die Palästinenser würden Israel zerstören, Israel werde sich selber zerstören. "Was ist Israel? Eine Armee, die einen Staat hat!"
Gegen das Waffenarsenal der Israelis seien die Kassam-Raketen der Palästinenser nur Kinderkram, sagt er. "Unsere Raketen haben 5 Kilo Sprengstoff, ihre haben 1 Tonne. Sie haben F-16, wir haben Papierflugzeuge. Die haben jede Waffe der Welt, wir haben nichts, was sollen wir denn tun?"
Er legt die Hand auf die Schulter seines Sohnes, der im blauen T-Shirt neben ihm sitzt und sich an der Nase kratzt. Er sagt: "Mohammed ist acht Jahre alt. Seine ganze Hoffnung ist es, als Märtyrer zu sterben. Habe ich ihm das beigebracht? Nein! Die Bilder, die er Tag und Nacht sieht, haben es ihm beigebracht. Das macht die Besatzung aus den Leuten."
Palästina gehöre den Palästinensern sagt er, Israel sei nur 58 Jahre alt, ein europäisches Projekt. Aber die Hamas sei realistisch. "Wir wollen verhandeln. Wir wollen eine Lösung. Wir fordern nur einen Staat von 22 Prozent Palästinas, die Rückgabe der besetzten Gebiete von 1967. Das ist das Minimum."
" Sie werden ihre Leute nicht umsonst kriegen"
Die Israelis müssten jetzt verhandeln, sie seien näher daran die Sonne zu fangen als ihre Soldaten zu finden. "Mit Gewalt werden sie sie nicht zurückerhalten. Sie haben zehntausend Palästinenser in ihren Gefängnissen. Sie werden ihre Leute nicht umsonst kriegen."
Aber solange unterstütze er den Kampf der Hisbollah. "Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wir sind alle mit der Hisbollah, nicht nur die Hamas, sondern alle Palästinenser."
Doch viele Palästinenser sind des Kämpfens müde. Das Radio meldet Tote in Mughazi, es berichtet von schweren Gefechten, von toten Zivilisten und von einem israelischen Kriegsschiff, das einen Krankenwagen getroffen habe.
Jawad Masri, der Mann, der in Beit Hanoun auf seinem weißen Plastikstuhl sitzt und traurig ins Leere blickt, sagt, es müsse endlich ein Ende haben. "Feinde führen Krieg, das stimmt. Aber Feinde können auch Frieden schließen." Er wolle, dass sich alle endlich an einen Tisch setzten - die Israelis, die Fatah und auch die Hamas. "Das ist schließlich unsere Regierung, wir haben sie gewählt."
Doch der Frieden ist im Moment weiter entfernt denn je. Die Israelis sind entschlossen, ihre Offensive zu Ende zu bringen und die Terroristen in Gaza entscheidend zu schwächen. Die zornigen jungen Männer der palästinensischen Terrorgruppen sind ebenso entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen.
" Wir wollen Rache", lässt ein Sprecher der Al-Aksa-Brigaden die Welt wissen. "Die Frauen wollen Rache, sogar die Kinder wollen jetzt schon Rache. Jeder Palästinenser will ein Märtyrer sein."
 
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Redaktion
Afganistan: Taliban droht mit Anschlägen
Die Taliban haben in einer Erklärung mit verstärkten Angriffen auf die ausländischen Truppen in Afghanistan gedroht. Kämpfer wollen "neue Fronten" eröffnen.
Man werde in den kommenden Tagen im ganzen Land „neue Fronten“ eröffnen, hieß es in einem E-Mail vom Mittwoch, das ein Reporter der Nachrichtenagentur AP in Pakistan erhielt. Es wurde von Mohammed Hanif abgeschickt, der häufig Stellungnahmen im Namen der Taliban veröffentlicht. Seine genauen Verbindungen zur Führung der Organisation sind jedoch nicht klar
23. Juli 2006
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IRAK
Anschlag auf Marktplatz, viele Tote
Die Serie der blutigen Gewalttaten im Irak reißt nicht ab. Gestern kamen durch Attentate und Schießereien 17 Menschen ums Leben. Heute Morgen explodierte auf einem Markt in Bagdad eine Autobombe. Mindestens 26 Menschen starben.

Von Gaza nach Beirut
Die Hisbollah hat Israel den perfekten Vorwand geliefert, den Libanon anzugreifen.
Doch auch dieser Krieg wird nur zu einem weiteren fragilen Waffenstillstand führen
Was hat sich Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nur dabei gedacht, als er entschied, seine Miliz die Grenze zu Israel überqueren und eine Guerillaaktion durchführen zu lassen, die zum aktuellen Hexensabbat im Libanon geführt hat? Warum hat er es getan? Und warum zu diesem Zeitpunkt?
Jeder hält Nasrallah für eine kluge Person, er gilt als besonnen. Seit Jahren hat er einen großen Vorrat an Raketen aller Art angelegt, um eine Art Balance des Terrors herzustellen. Er wusste, dass die israelische Armee nur auf die Gelegenheit wartete, sie zu zerstören. Trotzdem hat er eine Provokation riskiert, die der israelischen Regierung den perfekten Vorwand lieferte, den Libanon anzugreifen - mit dem vollen Einverständnis der Weltgemeinschaft. Warum?
Möglicherweise war er vom Iran und von Syrien, die ihn mit Raketen ausstatten, aufgefordert worden, etwas zu tun, um den amerikanischen Druck von ihnen abzulenken. Und tatsächlich hat die plötzliche Krise die Aufmerksamkeit von den iranischen Bemühungen im Nuklearbereich abgelenkt. Es scheint sogar, als habe sich Bushs Haltung gegenüber Syrien verändert.
Aber Nasrallah ist weit davon entfernt, eine Marionette des Iran oder von Syrien zu sein. Er führt eine nationale libanesische Bewegung an und wägt sein eigenes Für und Wider ab. Wenn er vom Iran oder von Syrien gefragt worden wäre, etwas zu tun - wofür es keinen Beweis gibt -, und er gesehen hätte, dass dies nicht mit den Zielen seiner Bewegung übereinstimmt, dann hätte er es nicht getan.
Vielleicht hat er aus innerpolitischen Gründen gehandelt. Das politische System im Libanon war stabiler geworden, und es war nun schwieriger, den militärischen Arm der Hisbollah zu rechtfertigen. Ein neuer bewaffneter Vorfall hätte helfen können. (Solche Überlegungen sind uns selbst keineswegs fremd, besonders nicht vor Budgetdebatten.) Aber all dies erklärt nicht den Zeitpunkt. Nasrallah hätte einen Monat vorher oder einen Monat später handeln können, ein Jahr früher oder später. Es muss einen triftigeren Grund gegeben haben, der ihn davon überzeugte, genau jetzt in solch ein Abenteuer zu schlittern. Und diesen Grund gab es: die Lage in Palästina.
Vor zwei Wochen hat die israelische Armee einen Krieg gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens begonnen. Auch dort bot eine Guerillaaktion, in der ein israelischer Soldat gefangen genommen wurde, den Vorwand. Die israelische Regierung packte die Gelegenheit beim Schopf und führte einen seit langem vorbereiteten Plan aus: den Widerstandswillen der Palästinenser zu brechen und die neu gewählte palästinensische Regierung zu zerstören, die von der Hamas dominiert wird. Und natürlich auch, um die Kassam-Raketen von dort zu stoppen.
Die Operation im Gaza-Streifen ist eine besonders brutale. Schreckliche Bilder erscheinen täglich und stündlich von dort in den arabischen Medien. Tote, Verletzte, Zerstörung. Wassermangel, fehlende Medikamente für die Verwundeten und Kranken. Ganze Familien getötet. Kinder schreien in Agonie. Mütter weinen. Gebäude stürzen in sich zusammen.
Die arabischen Regime, die alle von Amerika abhängig sind, kommen nicht zu Hilfe. Da sie alle von islamischen Oppositionsbewegungen bedroht sind, betrachten sie mit einiger Schadenfreude, was mit der Hamas geschieht. Aber auch zehn Millionen Araber vom Atlantik bis zum Persischen Golf schauen zu. Sie werden über ihre Regierung wütend und rufen nach einem Führer, der den Brüdern in Palästina zu Hilfe eilt. Vor einer Woche sah sich Nasrallah vor diese Versuchung gestellt. Er forderte Israel und indirekt auch die USA und die gesamte westliche Welt heraus. Er begann den Angriff ohne Verbündete und wusste, dass weder der Iran noch Syrien es riskieren würden, ihm zu helfen.
Vielleicht wird er fortgerissen wie Abdel-Nasser und Saddam Hussein vor ihm. Vielleicht hat er die Gewalt des Gegenangriffs, den er erwartete, unterschätzt. Vielleicht glaubte er wirklich, dass unter dem Gewicht seiner Katjuscha-Raketen Israels Etappe zusammenbrechen würde (so wie die israelische Armee glaubte, die israelische Zerstörung würde das palästinensische Volk im Gaza-Streifen und die Schiiten im Libanon zerbrechen). Aber eines ist klar: Nasrallah hätte diese Gewaltspirale nicht begonnen, wenn die Palästinenser ihn nicht um Beistand gebeten hätten. Aus kühler Berechnung, aus wahrer moralischer Entrüstung oder wegen beidem, Nasrallah eilte zur Rettung des belagerten Palästinas.
Die israelische Reaktion hätte man erwarten können. Seit Jahren warten die Armeekommandeure auf eine Gelegenheit, das Raketenarsenal der Hisbollah zu vernichten und diese Organisation zu zerstören oder sie wenigstens zu entwaffnen und sie sehr weit weg von der israelischen Grenze zu befördern. Sie versuchten dies auf die einzige ihnen bekannte Weise: durch weit reichende Zerstörung, damit die libanesische Bevölkerung aufsteht und die Regierung zwingt, Israels Forderungen zu erfüllen. Aber geht das überhaupt?
Die Hisbollah ist die authentische Vertretung der schiitischen Gemeinschaft, die etwa 40 Prozent der libanesischen Bevölkerung ausmacht. Zusammen mit den andern Muslimen bilden sie die Mehrheit im Land. Der Gedanke, dass die schwächliche libanesische Regierung, die auf jeden Fall auch die Hisbollah einschließt, in der Lage wäre, diese Organisation zu liquidieren, ist lächerlich. - Israels Regierung verlangt, die libanesische Armee solle an der Grenze entlang aufmarschieren. Dies ist jetzt zu einem Mantra geworden. Es zeugt von totaler Ignoranz. Die Schiiten haben bedeutende Positionen in der libanesischen Armee inne. So gibt es nicht den Hauch einer Chance, dass sie einen Bruderkrieg beginnen werden.
Im Ausland nimmt ein anderer Gedanke Gestalt an: Eine internationale Truppe sollte entlang der israelisch-libanesischen Grenze aufgestellt werden. Die israelische Regierung ist strikt dagegen. Eine wirklich internationale Truppe - nicht wie die unglückliche Unifil, die seit Jahrzehnten dort ist - würde die israelische Armee daran hindern, das zu tun, was sie will. Außerdem: Sollte sie dort ohne das Einverständnis der Hisbollah aufgestellt werden, würde ein neuer Guerillakrieg beginnen. Würde solch einer Truppe - ohne wirkliche Motivation - das gelingen, was der mächtigen israelischen Armee nicht gelungen ist?
Dieser Krieg mit seinen hunderten von Toten und Wellen der Zerstörung wird höchstens zu einem anderen fragilen Waffenstillstand führen. Die israelische Armee wird den Sieg ausrufen und behaupten, sie habe die "Spielregeln" verändert. Nasrallah (oder seine Nachfolger) werden behaupten, ihre kleine Organisation habe sich gegen eine der mächtigsten Militärmaschinen der Welt erhoben und ein weiteres leuchtendes Kapitel über Heldentum in die Annalen der arabisch-muslimischen Geschichte geschrieben. Aber es wird keine richtige Lösung geben, weil die Wurzel des Übels nicht angegangen wird: das palästinensische Problem.
URI AVNERY
taz Nr. 8028 vom 22.7.2006, Seite 11, 241 Kommentar URI AVNERY, taz-Debatte
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Die jüdische Misere

Isreal als späte Nation

muss nochmal durch, alles durchmachen, zur Gründung. Kriege und Rassismus schon in den Schulen zur Erziehung der Selbstbehauptung von ganz unten, wir sind die Grössten, die Ärmsten, die Einzigen, wir dürfen das, Krieg, Waffen, Kampf, die ganze Welt daran genesen und soll es sehen, fühlen, wie wir leiden. Die Welt als Geisel, die Technik der Kommunikation macht es möglich, das ist ihr Fluch, und alle guten Freunde zum Schweigen gebracht, die raten müssten, hört auf.

Und das im 21. Jahrhundert.
Das ist ihre Tragik. Die sie nicht in ihrem Buche stehen haben.

SPIEGEL ONLINE - 22. Juli 2006, 14:39
URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,428046,00.html
Israels Kriegsplanung
 
" Wir kämpfen bis zum Ende"
Von der libanesischen Grenze berichtet Matthias Gebauer
Im Norden marschieren Truppen auf, Tag und Nacht nimmt die israelische Armee aus der Luft und mit Artillerie den Libanon unter Feuer. Mittlerweile ist eine Bodenoffensive nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens dann kommt der Krieg in eine neue, blutigere Phase.
" Abschuss", ruft der junge Mann aus seinem gepanzerten Geschützstand. Dann ein ohrenbetäubender, dumpfer Knall. Die Erde bebt kurz. Überall um die tonnenschwere totach, einer der Dutzenden israelischen Artilleriekanonen, steigt der staubige Boden auf. Es riecht verbrannt. Zwei andere Soldaten rennen los, schleppen einen Sack mit TNT und eine neue 155-Millimeter-Rakete herbei. Keine Minute später katapultiert die Kanone das nächste schwere Geschoss über die Bergkette nördlich der Stellung.
AFP
Israelischer Panzer: Wichtiger Aspekt in der Strategie
500 Meter weiter nördlich, gleich hinter dem Berg, liegt der Libanon. Seit einer Woche feuern die Männer hier aus fünf Rohren Tag und Nacht um die 200 Geschosse auf vermeintliche Hizbollah-Stellungen. Sehen kann man nicht, wo die tödlichen Sprengkörper einschlagen. Dafür steht hinter den schweren Kanonen ein Kommandowagen. Dort laufen ständig Informationen aus der Luftüberwachung und der Geheimdienste ein. "An Zielen mangelt es uns nicht", sagt einer der Soldaten.
Die Stellung, zu der die Pressestelle der Armee eingeladen hat, ist nur eine von etwa einem Dutzend solcher fire bases, von denen seit vergangener Woche mehrere Tausend Geschosse abgefeuert wurden. Überall im Norden hört man Tag und Nacht die dumpf knallenden Abschüsse, die viele fälschlicherweise für Einschläge von Katjuscha-Raketen halten.
Die schwere Artillerie ist ein wichtiger Aspekt der israelischen Strategie bei ihrem Kampf gegen die Hizbollah. Aus der Luft wird Tag und Nacht gebombt, bis zum Freitag warfen die Kampfjäger nach Armeeangaben über 3000 Bomben auf rund 1500 Ziele ab. Vom Wasser schießen die Kriegsschiffe vor der Küste Libanons ferngesteuerte Raketen ab. So viele, dass Israel letzte Woche noch einmal eine Lieferung in den USA bestellt hat, wie US-Zeitungen berichten. Ein Ende der massiven Bombardements ist also nicht abzusehen.
Die Armee ist gerade erst am Anfang
Alle Zeichen stehen in Israel auf Krieg. Die Armee ist gerade erst am Anfang ihrer Strategie, lautete die Nachricht bei einem Briefing mit dem Brigadegeneral Ido Nehushtan. "Die Hizbollah ist geschwächt, doch sie kann immer noch Raketen abfeuern", so der Militärplaner. Deshalb suche man weiter nach Abschussbasen und dem Standort der Führung der Gruppe. "Unser Ziel ist es, die Hizbollah so zu verkrüppeln, dass sie keine Gefahr mehr für Israel darstellt".
Generäle wie Nehushtan machen keinen Hehl daraus, dass die israelische Strategie auch Tote in der Zivilbevölkerung fordern wird. Nach internen Angaben waren 100 der etwa etwa 300 im Libanon getöteten Menschen Hizbollah-Kämpfer - die Zahl stammt von israelischen Militärs. "Die Stellungen sind in Dörfern, in Moscheen oder Schulen versteckt", so Nehuschtan, "deshalb sind Zivilisten sehr gefährdet". Gerade deshalb solle die Bevölkerung kooperieren oder fliehen. "Wer auf einer Bombe schläft, ist ein Ziel für uns", sagt er.
Luft-Operationen sind in diesem Kampf nur die Vorbereitung. Seit Tagen schon zieht die Armee an der Grenze massiv Bodentruppen und Panzer zusammen, jeden Tag gibt es bereits Kommandoaktionen auf libanesischem Gebiet. "Ich kenne keine Armee dieser Welt, die eine Terror-Gruppe einzig aus 10000 Meter Höhe schlagen kann", erklärt der Militär-Experte Ephraim Sneh. Er kennt sich gut aus, in den frühen 80er Jahren kommandierte er für die Israelis die Sicherheitszone im Süden Libanons.
Strategisch steckt die Armee in einem Dilemma. Hinter vorgehaltener Hand geben führende Militärs zu, dass der Luftwaffe die Ziele ausgehen - auch, weil der Geheimdienst wenig über Stellungen und Waffenlager liefern kann. Öffentlich beschreibt General Nehushtan das Problem als asymmetrische Kriegsführung. "Wir haben einen Gegner ohne große Basen, Schiffe oder Panzer", sagt er, "er ist gut verteilt und versteckt". Genau diese können nur Bodentruppen finden und zerstören.
Besonders deutlich wird das Problem bei der Jagd auf den Hizbolla-Chef Hasan Nasrallah. Seit dem Beginn der aktuellen Krise hat Israel mehrmals erklärt, dass man den Anführer ausschalten wolle. Am Donnerstag dann meldete das Militär nachmittags, man habe einen Bunker Nasrallahs bombardiert und ihn dabei möglicherweise getötet. Wenige Stunden später erschien der Totgeglaubte auf dem arabischen TV-Sender al-Jazeera und verhöhnte den Gegner. Es gehe ihm gut, die Hizbollah freue sich auf den weiteren Kampf mit der israelischen Armee.
Szenen wie diese muten fast schon wie die endlose Jagd auf den Terror-Chef Osama Bin Laden an. Ohne die Festnahme oder Tötung des Kopfs der Hizbollah wird Israel kaum in der Lage sein, einen Sieg zu erklären. Gleichsam ist abzusehen, dass Nasrallah ähnlich wie Bin Laden vom Katz-und-Maus-Spiel mit dem offensichtlich militärisch überlegenen Gegner nur profitieren kann.
" Wir kämpfen diesen Krieg bis zum Ende"
Auch wenn es bisher noch niemand öffentlich sagt, ist der Einmarsch der Truppen nur noch eine Frage der Zeit. Noch drücken sich die Politiker etwas um die Frage herum. "Die Art des Angriffs wird nach den operativen Notwendigkeiten entschieden", wich Verteidigungsminister Peretz am Freitag bei einem seiner sehr raren öffentlichen Termine einer entsprechenden Frage aus. Am Ziel aber ließ auch er keinen Zweifel. "Wir kämpfen diesen Krieg, der uns aufgezwungen wurden, bis zum Ende".
Auch wenn laut Umfragen rund 95 Prozent der Bevölkerung hinter dem offensiven Vorgehen der Regierung steht, lässt sich Premier Ehud Olmert auf ein riskantes Manöver ein. Erst sechs Jahre ist es her, dass sich Israel aus dem Libanon zurückzog - nicht zuletzt, weil der Armee die Kontrolle entglitten war und viele Soldaten starben. Die ersten Toten bei den Kommandoaktionen der ersten Tage könnten nur ein Vorgeschmack auf eine neue, blutige Phase des Kriegs sein.
Ein blutiger Bodenkampf könnte exakt das Kalkül der Hizbollah sein. Erst am vergangenen Freitag sprach ein jordanischer Journalist, früherer Mitarbeiter des Hisbollah-Senders al-Manar, am Telefon mit einem Vertrauten des Hizbollah-Chefs Hasan Nasrallah. "Wir sind sehr entspannt", habe man ihm mitgeteilt, "es hat noch gar nicht richtig angefangen."
Die radikalislamische Schiitenmiliz blicke einer Invasion Israels mit Zuversicht entgegen und habe auch schon eine blutrünstige Parole: "40 tote israelische Soldaten jeden Tag" - nicht durch Raketenbeschuss hinweg, sondern durch Guerillakampf im Libanon.
Yassin Musharbasch berichtete für diesen Artikel aus Amman in Jordanien.
 
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