SPIEGEL
ONLINE - 19. Januar 2006, 18:14
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Reaktionen
Heftige Kritik an Chiracs Atomdrohung
Von Sebastian Fischer und Yassin Musharbash
Aufregung in Berlin: Chiracs Atomwaffendrohung gegen Terror-Staaten stößt
bei den außenpolitischen Experten der Parteien auf einhellige Ablehnung,
vor allem, weil sie nicht mit den europäischen Partnern abgesprochen war.
Einzig CDU-Mann Polenz äußert Verständnis.
Berlin - Was Jacques Chirac auf dem abgelegenen U-Boot-Stützpunkt Ile Longue
vor der bretonischen Küste verkündete, schlug rasch hohe Wellen im
Berliner Regierungsviertel: "Das ist eine unilaterale Erklärung des
französischen Präsidenten, die er vorher mit den europäischen
Partnern hätte absprechen sollen", sagte der SPD-Außenexperte
Gert Weisskirchen SPIEGEL ONLINE.
Chirac hatte den Anführern von Staaten, die terroristische Mittel "gegen
uns" einsetzen würden, Vergeltung in "nicht konventioneller"
Weise angekündigt. Fortan solle ein "flexibler" Einsatz französischer
Atomwaffen möglich sein. Sozialdemokrat Weisskirchen "dachte, in der
EU sei ein Reifegrad der Beziehung und Integration erreicht", der solche
Vorstöße verhindere: "Ich bedauere das."
"Atemberaubender Wechsel" der Militärstrategie
Jürgen Trittin, Vize-Fraktionschef der Grünen, erkennt in Chiracs
Äußerungen einen "atemberaubenden Wechsel" der französischen
Militärstrategie: "Ich bin überzeugt, dass das die Welt nicht
sicherer macht", so Trittin zu SPIEGEL ONLINE. Die Bundesregierung solle
Frankreich nun auf eine gemeinsame europäische Linie drängen, so der
Ex-Umweltminister.
"Bundeskanzlerin Merkel muss den französischen Vorstoß zurückweisen",
fordert Monika Knoche. Die Außenpolitikerin der Linksfraktion erwartet
von der Bundesregierung "Deeskalation auf Grundlage der guten deutsch-französischen
Beziehungen". Chiracs nukleare Kursänderung "ist brisant und
birgt gefährliche Implikationen", sie trage nicht zur Entspannung
in der Iran-Frage bei, sagte Knoche.
"Franzosen setzen auf Nationalstolz qua Atommacht"
Nötig sei die "Glaubwürdigkeit in der Deeskalationsstrategie"
gegenüber Iran, deshalb sei weiteres Abrüsten von Atomwaffen nötig:
"Man kann die Forderung, keine Atomwaffen zu haben, nicht an sich auf diesem
Feld benachteiligt fühlende Staaten stellen, ohne selbst abzurüsten",
so Knoche. Die Franzosen aber würden derzeit "auf Nationalstolz qua
Atommacht" setzen.
Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz hingegen hängt Chiracs Äußerungen
tiefer: "Ich verstehe das nicht als Drohung, sondern als Erklärung
und Klarstellung zur französischen Atomwaffendoktrin." Er glaube nicht
an eine "grundlegende Veränderung" der französischen Doktrin:
"Deshalb geht auch die Forderung nach Zurückweisung durch die Bundesregierung
ins Leere, Chirac hat nichts Neues gesagt", so Polenz.
Bei den Freidemokraten ist man "ausgesprochen irritiert" über
Chiracs Äußerung. FDP-Außenexperte Werner Hoyer befürchtet,
dass "Iran auf diese Weise zur Bestärkung seiner antiwestlichen Haltung
gedrängt" werde.
Grosser: "Schlechte Pariser Tradition"
Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser beklagt die Nichtinformation
der Verbündeten durch Frankreichs Staatschef: "Das ist eine schlechte
Pariser Tradition." Auch als Chirac den Wehrdienst in Frankreich abgeschafft
habe, sei das vorher nicht mit der deutschen Regierung abgestimmt worden. Grosser,
Experte für die Befindlichkeiten diesseits und jenseits des Rheins, geht
davon aus, dass Merkel vom französischen Premierminister Dominique de Villepin
nicht informiert worden ist - obwohl der sich erst gestern in Berlin mit der
Bundeskanzlerin traf.
In Frankreichs Atomwaffendoktrin erkennt Grosser einen grundsätzlichen
Wandel. Zu Sowjetzeiten habe man die "strategie du faible contre le fort"
verfochten - der Schwächling Frankreich gegen die starke UdSSR - jetzt
habe Chirac umgeschwenkt auf "le fort contre les fous": das starke
Frankreich gegen die verrückten Terroristen.
Jacques Chirac nutzte die "force de frappe", die französische
Atomstreitmacht, während seiner bisherigen Amtszeiten immer wieder als
präsidentielles Herrschaftsinstrument: So führte er der Welt in den
neunziger Jahren bei umstrittenen Atomtests im Pazifik Frankreichs militärische
Stärke vor. Jetzt, glaubt Alfred Grosser, wolle Chirac vor seiner nahenden
Ablösung als Präsident ein letztes Mal "zur Atomwaffenfrage sprechen".
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Was ist los.
Wem will er sich andienen. Dem Land, das solche Präsidentenhat, wird
man sich fernhalten müssen, es zieht die bösen Energien an. Wer
klatscht. Wer daran rührt, ist des Teufels. Auch Worte sind Taten. In
den Köpfen fängt es an. Damit spielt man nicht. Das haben wir gelernt.
Und wenn überhaupt, der einzige Stolz der gilt.