Yadzek

Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach der Kindheit wieder in ihr Dorf kam, waren die großen Scheunen links und rechts von Hof und Haus weg und durch LPG-Schuppen ersetzt, so waren die Bäume und Beete weg in Garten und Park, wie alle Teiche dort und auf den Koppeln. Das Haus war kaum noch zu erkennen. Aber neben den Ställen aus Backsteinen stand noch dies einfache Haus, worin die Stellmacher arbeiteten, neben den Garagen, unter dem Fenster des Schlafzimmers, am Fuß des Storchennestes auf der verschwundenen Kuhstall-Scheune. Ich dachte an Yadzek,

meinen großen Freund aus Polen damals in der Uniform der Gefangenen, den der Vater auf Ehrenwort zur Hochzeit seiner Schwester nach Hause fahren ließ, aufgefangen von der Feldgendarmerie und gerade noch entgangen dem, was daraus hätte folgen können. Für beide.

Es war einer jener Coups im Alltag, die meinen Vater auszeichneten, einfallsreich und mutig, wofür er im ersten Weltkrieg wohl sein Eisernes Kreuz erhielt. Dachte nun an die Werkbank, Hämmern und Sägen, Feilen und Stemmen, Hobeln, an den Geruch und die verschiedene Beschaffenheit der Hölzer oder Nägel und Schrauben, für Wagen und Räder, Speichen und Deichseln oder Achsen und Schwengel, wo die Eisen draufkamen, beim Schmied, wie alles passen musste und wie er lachte, wenn's geschafft war. Freude. So zu allen, die Werkzeuge wie beim Schmied Zangen und er und in der Sattlerei die Nadeln, Stichel und Fäden, Leder. Früher war das die Arbeit des Suhrbier,

 jetzt Vorarbeiter auf dem Hof, da die Anderen im Krieg waren, immer in der Weste unter der Arbeitsjoppe, wie alle anderen und Vater meines Freundes Gerhard im gleichen Alter oder des Werner, der etwas älter war und den es noch gibt. Vor einiger Zeit kam ein Brief von der übriggebliebenen Frau des Yadzek aus Polen, ob ich bescheinigen könnte und würde, dass er, und wie lange dort bei uns gewesen, für eine Rente aus Deutschland. Wie gerne. Und ich konnte noch einmal was für ihn tun. Ich kleiner Junge von damals, ihm, der mir soviel zeigte. Und der immer da war, wenn alle Anderen wieder einmal weggelaufen waren, weil ich schlafen musste, nach dem Essen am Mittag.

Nun haben sie auch dieses einfache Gebäude abgerissen, das so treu gedient, als Werkstatt, mit Gedanken, dass ich lächle, und sie wissen nicht, warum; so viel wäre zu erzählen, dachte ich mir. Abgerissen vor kurzem durch die Treuhand, während ich dachte, die seien für die Abwicklung der Verkäufe zuständig, als Bewahrer. Und erfuhr nun, dass sie auch an anderen Stellen und überhaupt für Abrisse aktiv waren. So geht das Nachbargut mit Gutshaus und Ställen ("Stadtgut") auf deren Rechnung, wenn das Gewissen in solchen Kategorien gilt. Aber die leerstehenden LPG-Ruinen blieben und stehen noch heute ohne Eignung als Denkmal einer untergegangenen Kultur. Und die Anderen lernten schnell. Wie zuletzt im Falle der Abrisse nun noch der Pferde- und  Schweineställe aus den alten Materialien und Arbeiten früherer Generationen der Väter. Oder der Dependance , wo der Sattler Schrader den Koffer gemacht für die Flucht, die wir nie antraten, nun wieder zurückgekommen.

Das alles war nicht im Stil Kunst-historischer Interessen, aber von altem Material, vier Wände, ein Dach, ein Raum mit Fenstern, wie sie heute niemand mehr macht, Steine, Holz, Werkstatt wie Loft in New York, Studio in Paris oder Ateliers in Berlin. Heute steht da nichts mehr. Brache. Aber alle Plattenbauten der LPG rundum stehen noch da. Leer auch sie und unbeachtet.

Diese ruinösen Schuppen, und das ist noch ein zu altes Wort, für diese neue Augen-Wunde, stehen nun da ohne jede Tugend des Vergehens. Aus unhistorischen Billigteilen und formlos ohne kulturelle Behauptung eher Leichenteilen ähnlich, vermodernd unter dem Schrott der Geschichte, die keine hat. Den leerstehenden Tierbaracken am Dorfrand auf den Feldern gleich, wie KZs der Seelen, nicht nur jener getöteten Wesen, die da einmal lichtlos auf die Maschine warteten, die sie als Produkt ihrem Ende zuführten. Ost wie West - alle gleich im Vermarkten des Lebens. Wer genau hinsieht, erkennt die Ähnlichkeit zu den Platten aus Beton an der Mauer mit der sich das System umgab, das solche Grenzen brauchte, um zu überleben. Wie im Ganzen so auf dem Lande gut zu sehen ohne Herkunft in Form und Materie wie im Denken, möchten wir glauben, so in der Geschichte ohne Identität. Blühende Landschaften hieß es, dem, der darauf setzte gewählt zu werden, für den Augenblick. Nicht nur ungerecht ohnegleichen denen, die da leben, kein Motiv zu geben wozu, sondern tief schmerzlich zu sehen, wie wenig die Kultur noch gilt auf dem Lande, das man aufgegeben, wenn es nach Zahlen geht und bloßem Brauchbarkeits-Prinzip.

Preußen ohne Land, aber auch ein Land ohne Preußen, wenn niemand mehr weiß, wozu und wofür und das Woher verloren ist im Solitär der Geschichte. Beladen mit dem Schicksal, das nicht altern kann. Der andere Teil vom Fluch des schicksal-losen Alterns.