Fortsetzung Nossendorf

22. Mai 2000

meine lieben alten Freunde. Immer mehr verdichten sich die Anzeichen, dass nun 55 Jahre nach dem Ende des uns gemeinsamen Lebens mit den Tieren und Pflanzen, in den Gärten und auf den Feldern jetzt auch derenHäuser und Plätze, ihr letzter Platz unter Dach und als Ort der Ernte einfach so zerstört wurden, um etwas zu tun, obwohl ich doch erklärt hatte, zu kommen, es wieder herzurichten, mit euch, für euch auch und die, die da jetzt und in Zukunft leben. Und diese Zerstörung mit öffentlichen Mitteln als Vandalismus öffentlicher Hand, anstelle der Hilfe gemeinsam Gutes zu tun? Soviel Energie zu vernichten, mit dem Geld, das für Aufbaugedacht war und möglich wäre.Dazu das Verschweigen, dass es Pläne gab für ein ganz anderes Leben. Eben auch dieser Wände, Treppen, Böden und Steine der ehemaligen Ställe, nun für die Ernte des Menschen. Und was er aus seinem Leben von hier machen kann. Diese Zerstörung nun geschah mit dem Hinweis: der jetzige Eigentümer könne damit machen, was ihm beliebe. Und das wäre dann die Zerstörung dessen, was einmal war, was entstand ohne und was er nie bezahlt, redlich erworben durch eigene Arbeit oder Pflege. Aber Eigentum, so lernte ich es, unter Euch, und täglich aus der Tür über den Hof schauend, bevor ich zur Schule ging, durch das Tor, über den Friedhof, und zwischen den Pferden und Schweinen oder Kühen und Hühnern: verpflichtet auch. So steht es auch geschrieben. Und so hatte ich es gewollt, wenn ich es übernommen. Für, nicht gegen Euch, und für uns und das Leben.

Es gibt Dinge, die gehören nicht uns, wenn auch zeitweiliges Menschenrecht uns sagt, dass wir uns ihrer bemächtigen dürfen. So haben wir nicht das Recht über Leben und Tod. Über Tiere und Pflanzen. Sofern sie nicht einem Lebensgesetz unterstehen, dem wir gehorchen.So haben wir nicht das Recht über eigenes Leben, und Vorsicht vor denen, die anderes sagen, und Trauer über die anderes müssen und dies vergessen. Aber noch weniger haben wir das Recht über das, was wir nicht geschaffen haben, an historisches Erbe Hand anzulegen oder selbst an die von uns scheinbar selbst geschaffenen Dinge, wenn es nicht der Erhaltung dient, der wir verpflichtet sind. Niemand hat dasRecht zu zerstören, einfach und nur so, oder aus geschäftlichen Gründen sich zu bereichern daran. Es lastet ein Fluch darauf. So sehe man das Ende dessen, was als DDR mit dem Abriss der alten historischen Mauern in der Mitte Berlins begann. Von Schloss und Wilhelmstraße, den Räumen der Geschichte, aus der wir kommen. Und man bedenke, mit welchem Abscheu wir heute von denen sprechen und denken, die dort als Abdecker des Lebens selbst nun enden.

Und das zehn Jahre nach dem Ende der Weisungen der Geschichtshasser als Staat, der außer wegzunehmen und Verrottung nichts anzubieten und hinzuzusetzen hatte, was als Eigenes zu hüten wäre, dass es uns gehöre.

Was wäre,

wenn es so wäre. Alles nur weggerissen, um zu entsorgen. Statt versorgen, besorgen, einfach sorgen, sich. Geschichte, Leben unseres, der Menschen vom Ort. In Mauern, Steinen, Holz und Arbeit daran, dafür, in Form, geworden. Nun von Geschäften bestimmt. Darf ich da eingreifen. Stören. Von ferne, in dieses Leben, das sich nun ein anderes Leben wählte, andere Chefs, die bestimmen, sucht. Eine andere Welt. Aber was für eine. Nicht mehr die meine. Wie ich nicht mehr der ihre?

R., damals schon 7 Jahre älter, als ich mit ihr in dieselbe Schule und Klasse ging, sagt: "Wenn das noch mein Großvater gesehen hätte". Und sie sagt: "Kaputt. Alles. Kaputt". Für ihn?

Still sehe ich ihn, aufrecht, demütig, stetig, seine Wege gehen.Von den Ställen der Pferde und Schweine zu der Scheune. Und von der Scheune zu den Ställen. Die Eimer an dem Schulterholz, zu jeder Seite einen. Am Haus vorbei. Mit schlurfendem Schritt der Holzpantinen. Ob er wohl merkte, dass ich ihn sah. Noch 60 Jahre danach. Und manchmal immer wieder und wieder, wie all die anderen dort. Dafür? Damit nicht auch das entsorgt ist, wovon, woraus wir leben?

Als ich vor zehn Jahren, nach dem Fall der Mauern, zurückkam, fand ich den einzigen Blick noch, erhalten wie früher, den vom Bodenfenster über der Küche, nach Norden, über die Dächer der Ställe von Schweinen und Tauben und Hühnern, letzte Obstbäume am Eingang des Gartens, Sommerscheiben, immer die ersten -von den vielen überlebt, was haben sie ihnen getan - bis über die Koppeln der Pferde,wo sonst alles weg war, nach Westen der Hof, verstellt und kaputt, und nach Osten Park und Gärten eine Wüste, und gegenüber dem Fenster des Kinderzimmers das Dach mit den Störchen plattgemacht, wie alles andere. Hier also noch wie es war und nun auch genommen. Jetzt auch hier die Ödnis der Kulturferne, ferne jener Kultur, die aus dem Wissen des Landbaus kam und aus der Nähe der Tiere und Pflanzen. Jener alten, richtigen Nossendorfer, wie R. sagt. Aber kamen, kommen die anderen nicht auch woher, wo es einmal so war, gelernt wurde. Noch. Wo eben noch Menschenwerk war und überhaupt ein Gleichgewicht von Natur und Menschen. Und wie es wieder werden soll. Sofern man mir den Auftrag gibt. Wenigstens hier. So weit und klein.

Auch sie, die von woanders kamen, hatten ihre Vergangenheiten, aber andere, und, wenn sie nicht wollen und nicht sorgsam sind, werden sie hier nicht erfahren, was denen, die da leben, wichtig war und ist. Auch Stettin zum Beispiel hatte seine Kultur, aber der Sohn ist schon ein DDR-Gewächs. Von anderen weiß man überhaupt nicht, woher sie kommen. Und sie werden mit dem hier gefundenen umgehen wie Fremde, weswegen man dann auch immer Angst hat, vor den Kommenden, Fremden, die nichts wissen und überhand nehmen, zerstören, statt aus Geschichte und Natur, wie da ist, zu leben. Und zu handeln. In Eintracht. Ohne Gefahr. Für geprägtes Leben.

Am Beispiel N. sieht man, wieviel stetiger Umsicht es bedarf, alltägliche Sorge zu organisieren, im Gleichgewicht der Dinge und des Lebens, dass Wege nicht zuwachsen und doch Leben zulassen, am Rande und in der Anlage ihrer Beschaffenheit, aus Sand, Erde, Steinen, durchlässig dem Wasser, dass Gärten gedeihen, Dächer nicht einfallen, aber leben eben auch, wie mit Stroh, wie die Mauern aus handgefertigten oder handgesammelten Steinen, und wie das, was anvertraut ist, zu pflegen ist, Gräben, Felder, Häuser, Tiere, Bäume und Pflanzen, wie die Menschen, und nicht durch Unnatur verkommen zu lassen, auf Kosten anderer Interessen. Dass das alles ursprünglich aus Kargheit und Sumpf dort oder Sand geborgen wurde, nicht durch Vorteile von Wetter oder Vorgeschichte begünstigt, immer bedroht und wieder zu errichten, tief im Boden versinkend oder über staubige Ebenen zu gehen, schwer zu ernten, da alles bezeugt den Geist der Väter, die man Preussen nannte.Jeder an seinem Platz und nun lächerlich oder verachtet, dem Einsturz preisgegeben allerorten und in jeder Weise. Das Unbeliebte, Gefürchtete, weil auch beneidet, wie alle, die mit Mühe durchkommen und überleben aus Trotz und eben Mühsal, war nur ein anderer Ausdruck dessen, was sie Strenge, Disziplin und Ordnung der Dinge und Systeme, täglich abgerungen, nannten, in Uniformen dann und Waffen, auch des Überlebenstriebes, etwas aus dem Geschick zu machen, bis zur Hybris auch, jedem das Seine, und immer derselbe: Mensch. So auch sahen ihre Häuser und Künste, die Ställe und Scheunen, Gutshäuser, Schlösser, Parks aus, wie die Menschen, die Leute dort und Kirchen, deren Prinzen süße Kirschen nicht erlaubt waren, bis ihre Bräute von woanders ihnen welche lachend zusteckten und sie dachten, sie seien aus Cytera selbst. Und dieseKultur, die daraus wuchs, nun konfrontiert mit den Nachgeborenen eines Ulbricht-Abriss-Erbes und seiner Kretin-Ästhetik. Was in Jahrhunderten wuchs, in ihnen, ist hin. Auf immer ? Überlagert von ganz anderen Früchten. Ohne Ernte, wie kann das gutgehn, gutsein.

Was für ein Glück.

19. Juni 2000

Was zerstört wurde, weg ist, veranlasst oder verkommen von denen, die die Namen der Enteigneten aus der Geschichte in den Grundbüchern schwärzten, ist nicht des Haus des ehemaligen Herren. Zuerst fielen die Scheunen ein, für die Tiere das Haus des Futters, dann fällten sie die Bäume in dem Garten und Park und ließen sie die Beete verkommen, dann fiel der Kirchturm ein und blieb liegen. Das Dorf, die Felder in den alten Linien sind kaum noch zu erkennen, Teiche ausgetrocknet, Dächer, Gräben, Sträucher, wo sind sie geblieben, warum. Nun waren auch die Ställe dran für Pferde und Schweine. Viel Arbeit vieler Hände und Leben voriger Generationen. Nur der Kern des Gutshauses steht noch, wie zur Mahnung geschändet in seiner Not. Zu kultivieren aus dem Geist von innen. Den Alben des Lebens als unser Werk aufgegeben, treueste Ernte oder ehrende Falle eines falschen Glücks ?

 

20. Juni 2000

Die Antwort auf die Frage nach dem Verbleib der Backsteine aus den Resten der Ställe, gibt Auskunft über alles. Achtung vor Geschichte der Arbeit und Vernichtungsgleichmut, Tendenz und Wut. Zehn Jahre nach der Übergabe durch die Bundesrepublik an die, die bisher nur als Arbeits-Eigentümer eingetragen waren und deren Scheitern am Gedanken von Obhunt und Verpflichtung an dem, was war und woraus es kam. Der Backstein aus vielhundertjähriger Tradition über Holland und Italien, als die Hände noch Maß waren dessen, was sie heute schreddern - wie Autovernichtungsmaschinen - zerschreddern wie Stasi-Akten unserer Schande, das, wovon man auf ewig nichts mehr wissen will, wie Asche im Wind der Schuldigen unserer Geschichte, zerstreut, hier unter die Straße gekehrt, und wie die Leichen einbetonieren, dass man's nie mehr findet, was war, als Zeichen der Schuld. Hier derjenigen, die das entschlossen, befürwortet, daran abkassiert, verheimlicht und sich bereichert, dass es nicht mehr ist, was war.Wo nun nichts mehr ist als ihre Leere.

Was nach äußeren Einwirkungen, durch unsere Schuld, nur mehr als Fassade war, galt als unrentabel für benutzbaren Bau und Raum, heute ist's den Hütern der erkennenden Schützer ein Denkmal, wenn es gut geht, ohne Kern-Bewahrung. Nach der Entkernung erscheint die Frage der Funktion und unserer Armut auf andere Weise. Als Irren ohne Ende. Wo doch einfach zu erkennen wäre, was da war, und was wir heute sind, haben und können und woraus, von innen zu füllen die zu erhaltenen Gehäuse mit neuer Ernte aus geschichtlicher und gegenwärtiger Identität. Nicht nur gotische Kathedralen und Industriegebäude waren aus diesen handgebackenen Steinen unseren Augen wert und den Herzen oder Seelen und praktisch als erhaltbares Material, auch die Ställe auf dem Lande begleiteten Generationen, die dort geboren wurden, aufwuchsen und gaben Maß und Ordnung von Fuge und Härte gegen Wind und Wetter. Wie darf man das je verachten - es sei denn, sich selbst.

Und das Gleiche, was hier für die Backsteine gesagt wird, als Material und form-bestimmendes Werk der Menschen Hand, das wäre zu sagen über Holz und Balken (handbehauen, nicht mit der Säge geschnitten), Bretter der Böden oder Treppen und Tragepfeiler der Gerüste, die uns sichtbar und fühlbar und sicher waren als Haus und Hülle, in dem wir uns bewegten. Zwischen Tragen, Stützen, Verbindungen als Koordinaten unseres Seins festgefügt. Alles einfach weg. Wie Achselzucken vor den Plänen aus Brüssel zur Industrialisierung der europäischen Landwirtschaft, die Mindesteinnahmen garantiert und Überproduktion, das heißt, Fruchtbarkeit aus der Chemie verhindert, die Schweine und Rinder als Produkte handelt, zu befruchten wie Menschen, mit Abtreibungsordnungen nach Plan. Schubladen viele für Vorteilsnahmen jeder Art auf Kosten aller und uns selbst. Wenn wir nicht aufpassen.

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