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CHAOS NACH STROMAUSFALL
Nordostamerika versinkt im Dunkeln
Es ist der größte Stromausfall, den Amerika je erlebt hat. 50 Millionen Menschen waren im Nordosten der USA und im Süden Kanadas ohne Strom, viele sind es immer noch. Manhattan liegt im Dunkeln, die Ursache für den Blackout ebenso. In Ottawa kam es zu Plünderungen. Und New Yorks Bürgermeister warnt: Noch ist nicht alles überstanden.
AP
Manhattans ungewohnte SkylineNew York - "Alle sind einfach ausgeflippt", beschrieb eine Krankenschwester in New York die Reaktionen, als der Strom ausfiel. "Plötzlich denkt man an den 11. September." Eine andere Frau berichtete, sie sei auf dem Dach des Empire State Building gewesen. "Wir mussten 86 Stockwerke nach unten laufen", sagte sie. "Ich musste immer an die Zwillingstürme denken, und wie ich nach unten kommen würde, aber alle blieben ruhig."
In der kanadischen Hauptstadt Ottawa kam es zu Einbrüchen, Fensterscheiben wurden eingeworfen. Auch Diebstähle wurden gemeldet. "Es gibt ernsthafte Plünderungen", sagte der Polizeichef von Ottawa, Vince Bevan.
Neun Atomkraftwerke wurden abgeschaltet, und der Verkehr brach zusammen, als um 16.11 Uhr Ortszeit der Strom weg war. Die Staaten New York und New Jersey riefen den Notstand aus. US-Präsident George W. Bush sagte den betroffenen Regionen rasche Hilfe zu. "Langsam aber sicher werden wir mit diesem massiven, nationalen Problem fertig", sagte Bush in San Diego. Eine sofortige Rückkehr zur Normalität dürften die Betroffenen jedoch nicht erwarten. "Das ist eine ernste Situation", sagte Bush. Es habe sich aber mit Sicherheit nicht um einen Terrorakt gehandelt. Bush nannte den Blackout eine "Lektion für unser Land".
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Der Stromausfall legte in New York U-Bahnen, Aufzüge und die drei Flughäfen der Stadt lahm. Einige Pendler saßen noch Stunden nach Beginn des Ausfalls in U-Bahnen fest. Inzwischen sollen alle Menschen befreit sein. Auch die Gebäude der Vereinten Nationen und der Börse waren betroffen. Tausende Menschen strömten aus den Hochhäusern von Manhattan und machten sich bei Temperaturen über 30 Grad zu Fuß auf den Weg nach Hause. Die Telefonverbindungen waren zum Teil gestört. Der Staat New York war zu 80 Prozent ohne Elektrizität.
Widersprüchliche Angaben über Ursache
Der Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, kündigte an, die Stromversorgung werde voraussichtlich innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt. "Wir haben es aber noch nicht überstanden", sagte er. Es sei niemand verletzt worden, betonte Bloomberg. Mehr als 40.000 Polizisten und Feuerwehrmänner wurden in New York eingesetzt, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.
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Etwa 50 Millionen Nordamerikaner waren ohne StromDie New Yorker Polizei beorderte alle Beamten zum Dienst und postierte Wachen an Banken und Geldautomaten. "Wir haben keine Fälle von Plünderungen, aber wir sind zu beschäftigt, um jeden Kleindiebstahl zu verfolgen", sagte ein Polizeisprecher. Während Stromausfällen in den Jahren 1977 und 1965 hatten Plünderer Millionenschäden angerichtet.
Der Ausfall habe vermutlich in der Gegend der Niagara-Fälle begonnen und sich durch New York nach Connecticut, New Jersey und Ohio ausgebreitet. Betroffen waren auch Teile von Michigan, Pennsylvania und Vermont sowie die kanadischen Großstädte Toronto und Ottawa. Das Gesamtgebiet, das ein Dreieck bildet, umfasst eine Fläche von rund 200.000 Quadratkilometern. Das entspricht etwas mehr als der Hälfte Deutschlands oder ist fast drei Mal so groß wie Bayern. Am Abend wurde in einigen Städten der Ausfall behoben, wenig später gingen auch in New York die ersten Lichter wieder an.

"Ich war da, als der Strom weg war"
Bloomberg rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. "Stellen Sie sicher, dass eine Unannehmlichkeit nicht zur Tragödie wird", sagte der Bürgermeister am Abend (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz. Der Bürgermeister kündigte eine umfassende Untersuchung über die Ursache an. Er rief die mehr als acht Millionen New Yorker auf, ihre Lichter und Klimaanlagen auch nach Wiederherstellung der Stromversorgung zunächst nicht anzuschalten.
AFP
Bilder wie beim Marathon: Heimweg über die Brooklyn BridgeDie Brücken nach New York wurden für den Verkehr stadteinwärts gesperrt. Mit Blick auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 sagte Bloomberg: "Wir werden dies hier als weiteren Test für New York in Erinnerung behalten."
Die meisten Krankenhäuser könnten ihren Betrieb mit Notstrom fortsetzen, berichtete Bloomberg. In einer Klinik in Brooklyn sei der Strom allerdings ausgefallen. Sein Rat: "Verbringen Sie die Zeit, gehen Sie in Gaststätten, und morgen früh können Sie sagen, ich war da, als der Strom weg war."
Die meisten Geschäfte waren auch Stunden nach dem Blackout noch verriegelt. Einige Menschen standen mit Transistorradios an den Straßenecken und hörten in lokalen Rundfunksendern neueste Informationen zur Lage.
Bereits 1965 und 1977 war es in Nordamerika zu vergleichbaren Blackouts gekommen. Während es 1977 aber zu hunderten von Plünderungen und Unruhe gekommen war, gab es offiziellen Angaben zufolge diesmal keine solchen Vorfälle.


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AP
Eine Gruppe orthodoxer Juden versammelt sich vor einem Bus, der auf der Fifth Avenue im Verkehrschaos steckenblieb. Der Stromausfall brachte den öffentlichen Nahverkehr in Manhattan innerhalb weniger Minuten völlig zum Erliegen.